Herr Diess, mit dem Genfer Salon beginnt für die Fahrzeugbranche die erste Frühjahrsmesse in Europa. Welche Impulse erwarten sie davon für den VW-Konzern?
Elektromobilität, Digitalisierung und autonomes Fahren treiben die Transformation der Autoindustrie voran. Dementsprechend werden diese Themen auch den Genfer Salon bestimmen. Als Volkswagen-Konzern setzen wir mit unseren starken Marken dabei unsere eigenen Impulse. Wir schreiten mit unserer Elektro-Offensive und unserer innovativen MEB-Plattform, die wir auch für Dritte öffnen, voran.
In ihrer Weihnachtsbotschaft an die Belegschaft haben Sie mit Blick auf 2019 ein "wichtiges, kritisches Jahr" vorausgesagt. Was konkret meinten Sie mit "kritisch"?
Die Themen, die ich vor zwei Monaten als kritisch angesehen habe, sind nicht weniger geworden. Teilweise haben sie sich sogar verschärft. Der Zollstreit zwischen den USA und Europa, der die deutsche Automobilindustrie hart treffen könnte, spitzt sich weiter zu. Die Auswirkungen des Handelskonflikts zwischen den USA und China werden immer deutlicher spürbar. Wir stehen vor einem Brexit mit noch nicht kalkulierbaren Auswirkungen. Gleichzeitig kühlt sich die Konjunktur auf den Märkten ab. In der Dieseldiskussion in Deutschland, die teilweise Züge eines Feldzuges gegen die individuelle Mobilität annahm, mehren sich allerdings auch vernünftige Stimmen, denen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden muss.
Sie warnen seit Langem vor den Folgen eines "Handelskriegs zwischen den USA, China und Europa". Wie beurteilen Sie die Situation aktuell?
Der Handelsstreit der beiden größten Volkswirtschaften USA und China trägt zu einer Verschlechterung des globalen Wirtschaftsklimas bei. Diese ist in China spürbar und hat zu einer Dämpfung des Automobilabsatzes beigetragen. In den USA haben wir durch die geplanten Investitionen in Chattanooga in die MEB-Fertigung, die Allianz mit Ford zum Bau von Pick-ups und leichten Nutzfahrzeugen und auch durch die Kooperation mit Microsoft zur Entwicklung von Software deutlich gemacht, dass wir auf dem US-Markt dazu beitragen wollen, Arbeitsplätze zu schaffen und die lokale Produktion zu stärken.
Welche Signale senden Sie damit?
Wir machen hier klar: Basis für Wohlstand, Beschäftigung und Wachstum bei allen Beteiligten sind freier und fairer Handel sowie partnerschaftliche Zusammenarbeit. Zumal die Automobilindustrie mit langfristigen Investitions-, Produkt- und Produktionszyklen auf verlässliche internationale Rahmenbedingungen angewiesen ist. Die Erfahrung zeigt: einseitiger Protektionismus hat langfristig niemandem geholfen. Wie die Bundeskanzlerin in München unterstrichen hat, setzen wir auf einen konstruktiven Dialog zu Vermeidung einer Eskalation in der Handelspolitik. Dieser Dialog wird jedoch von der Politik geführt.
Die geplante Partnerschaft von VW und Ford wird weltweit beachtet. Worin sehen Sie die wesentlichen Vorzüge der Allianz für den VW-Konzern?
Beide Unternehmen können Kosten durch gemeinsame Nutzung von Ressourcen sparen. Im Rahmen der Zusammenarbeit wird Ford sowohl mittelgroße Pick-ups entwickeln und herstellen als auch für den europäischen Markt die Entwicklung und Produktion von größeren Transportern übernehmen, während wir für beide Partner einen City Van auf den Markt bringen werden. Weiterhin erörtern wir eine Zusammenarbeit bei Elektrofahrzeugen und dem autonomen Fahren.
Die Technologiekooperation von VW und Microsoft verbindet mit Mobilitäts- und IT-Branche zwei unterschiedliche Kulturen. Worauf sollten die Beteiligten bei der Umsetzung besonders achten?
Die Partnerschaft mit Microsoft ist ein wesentlicher Baustein, um Volkswagen zum softwareorientierten Mobilitätsanbieter weiterzuentwickeln. Wir müssen uns auf eine neue Arbeitsweise und neue Arbeitsprozesse einlassen. Die Entwicklung von Software und digitalen Services unterscheidet sich grundlegend von der Entwicklung von Fahrzeugen. Anstelle von Phasen mit langwieriger Ausplanung geht es bei Software um schnelle Prototypen und stete Verbesserung, um Agilität, um direktes Feedback von Kunden. Das müssen wir lernen, um erfolgreich zu sein. Wir werden dabei aber nicht unserer hohen Ansprüche an Qualität und Sicherheit aufgeben. Das wiederum schärft das Bewusstsein unserer Technologiepartner.
Die Dieselkrise hält auch VW weiter unter Dampf. Welche Schwerpunkte wird VW bei der Aufarbeitung im laufenden Jahr setzen?
Unser Hauptziel in diesem Jahr ist das Einlösen unserer Zusagen aus dem Dieselgipfel. Wir arbeiten konsequent an der Entwicklung von Software für Euro-5-Dieselmotoren, die den NOx-Ausstoß um bis zu 30 Prozent senken soll. Intern arbeiten wir konzernweit weiter mit höchster Priorität daran, Prozesse und Maßnahmen rund um die Themen Integrität, Compliance und Unternehmenskultur zu starten und umzusetzen. Hier werden wir, unterstützt durch das eigens dafür geschaffene Projekt „Together4Integrity“ in diesem Jahr alle Marken und Regionen erreichen. Und natürlich werden uns auch die Gerichtsverfahren weiterhin beschäftigen.
Im September steht die zweite Phase von "WLTP" an. Sind vor allem die Marken VW und Audi darauf schon ausreichend vorbereitet?
Aufgrund unserer Erfahrungen haben wir die Prüfstandskapazitäten sowohl intern als auch extern bei den technischen Diensten erweitert. Wir haben die Anzahl der Messgeräte für RDE erhöht und weiteres Personal für die Durchführung der Messungen und die Erstellung der umfangreichen Dokumentationen bereitgestellt. Darüber hinaus achten wir noch stärker auf die Nutzung von Synergie-Effekten zwischen den Marken. Insgesamt sehen wir uns deshalb besser auf die diesjährigen Anforderungen durch WLTP vorbereitet.
Die energieintensive Produktion von Batteriezellen ist zu den hohen Strompreisen am Standort Deutschland nicht wirtschaftlich darstellbar. Macht sich VW für eine Senkung der Strompreise stark, um zumindest die Chance auf einen nachhaltig erfolgreichen "Business case" zu eröffnen?
Bis 2025 hat VW einen riesigen Bedarf an Batteriekapazität. Kernpunkte unserer Strategie sind daher Kapazitätsabsicherung, Technologieführerschaft, Kostenführerschaft und die Reduzierung von Abhängigkeiten. Deshalb streben wir den weiteren Ausbau unseres konzernweiten Kompetenzzentrums in Salzgitter an und eine enge Partnerschaft mit einem führenden Zellhersteller, die auch eine gemeinsame Zellfertigung in Europa beinhaltet. Eine Zellfertigung in Deutschland ist aufgrund höherer Personal- und Energiekosten, jedoch nur dann wirtschaftlich darstellbar, wenn Investitionsförderungen im Rahmen von Beihilfen (IPCEI) sowie unter anderem eine Befreiung von der EEG-Umlage für einen Kostenausgleich sorgen.
Wäre unter der Prämisse deutlich niedrigerer Strompreise in Deutschland ein Konsortium zur Zellproduktion hierzulande von Interesse für VW, etwa unter Einbeziehung eines Zulieferers wie Continental und/ oder in Hinsicht auf künftige Feststoffakkus?
Wir sind überzeugt, dass man in Deutschland diese Expertise selbst aufbauen sollte, um technologisch in der Entwicklung und Produktion die Weichen stellen zu können. Aber das ist nur unter wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen möglich. Aus heutiger Sicht ist Deutschland als Produktionsstandort in Europa nicht wettbewerbsfähig. Bei Lohnkosten, Energiepreisen und Steuern liegt Deutschland deutlich über dem Niveau anderer Länder in Europa. Bei einem attraktiven Gesamtpaket und geeigneten Rahmenbedingungen wäre aber Deutschland eine Standortoption, für die wir uns stark machen würden.
VW erwägt, den Ausstoß von CO2 als Kriterium in die Auftragsvergabe an Lieferanten einzubinden. Wann wird der Vorstand darüber entscheiden – und wie ist Ihre persönliche Tendenz?
Grundsätzlich untersuchen wir aktuell mögliche Ansätze, um systematisch Lieferanten und ihre CO2-Emissionen zu vergleichen und bewerten zu können. Dabei muss natürlich die gesamte Lieferkette betrachtet werden. Aus diesem Grund ist es aktuell noch zu früh, um über das Datum einer Entscheidung im Vorstand zu sprechen.
Mit Golf VIII und ID. wird die Hauptmarke VW Pkw noch in diesem Jahr recht schnell hintereinander zwei überaus wichtige Modelle vorstellen. Wäre eine zeitliche Entzerrung nicht besser, um jedem der Fahrzeuge mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen?
Mit Golf und ID. stellen wir das Beste aus zwei Welten vor. Das bietet eher eine große Chance. Wir werden die Vorstellungen so planen, dass jedes Fahrzeug die ihm gebührende Aufmerksamkeit erhält. Mehr will ich derzeit nicht verraten.
Die Holding Porsche SE ist ein zentrales Instrument zur Steuerung des VW-Konzerns. Streben Sie einen Sitz im Vorstand der Gesellschaft an?
Mit der Position des Vorstandsvorsitzenden bin ich für die Steuerung des Volkswagen-Konzerns verantwortlich. Dies ist ein Amt, das mich außerordentlich auslastet.
Das Interview führte Henning Krogh.
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