In den kommenden zwölf Monaten erwartet Atradius einen spürbaren Anstieg der Zahlungsausfälle bei kleineren und mittleren deutschen Automobilzulieferern. Die Folge wird eine stark steigende Zahl an Insolvenzen im Jahr 2022 sein. Das geht aus einer neuen Analyse des zweitgrößten Kreditversicherer Deutschlands hervor, die der Automobilwoche exklusiv vorliegt.
Ganz akut belasten die Zuliefererfirmen die anhaltenden Produktionsverzögerungen bei den Herstellern infolge der Chipkrise, Lieferkettenengpässe sowie steigende Material- und Energiepreise. "Diese Herausforderungen werden zu erheblich mehr Insolvenzen unter den Zulieferern im kommenden Jahr führen", sagt Michael Karrenberg, Regional Director Risk Services bei Atradius.
Vor diesem Hintergrund stuft Atradius seine aktuelle Bewertung für die Automobilbranche wieder auf "schwach" herab. Noch im Juli hatte der Kreditversicherer die Lage der Automobilbranche angesichts positiver Marktsignale zu "mittelmäßig" aufgewertet.
Kleine und mittelständische Zulieferer in Deutschland haben laut der Studie ihre relativ gute Liquiditätslage infolge der Corona-Hilfen in den vergangenen Monaten kaum genutzt, um ihr Geschäftsmodell auf die zunehmende Nachfrage nach Elektrofahrzeugen umstellen. Der Kreditversicherer sieht aktuell nur wenige Transformationsinitiativen seitens der kleinen und mittleren Anbieter.
Das drängendste Problem aus Sicht von Atradius ist derzeit der anhaltende Mangel an Mikrochips, die für die Herstellung sämtlicher Fahrzeuge benötigt werden. Der Engpass hat den Produktionsfokus der Automobilhersteller erheblich in Richtung margenstärkerer Modelle wie Limousinen und SUVs verschoben. Die Herstellung von Kleinwagen hat dagegen oft das Nachsehen und wurde zuletzt häufiger unterbrochen. Dass weniger Kleinwagen vom Band laufen, geht zu Lasten von zahlreichen Zulieferern, deren Produkte in solchen Pkw verbaut werden. In den vergangenen Wochen waren dadurch bereits mehrere mittelständische Branchenakteure insolvent gegangen.
"Insgesamt sind mittelständische Zulieferer in Deutschland noch nicht ausreichend auf den abzusehenden Wandel hin zu deutlich mehr elektrisch angetriebenen Fahrzeugen vorbereitet, um hierbei eine ähnlich große Rolle zu spielen wie bei den Verbrennungsmotoren", konstatiert Karrenberg.
Geholfen hatte zuletzt die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht. Karrenberg: "Die staatlichen Hilfen im Rahmen Corona-Pandemie haben den Unternehmen zwar relativ viel Liquidität verschafft. Jedoch hatten gerade kleine und mittelständische Zulieferer kaum Kapazitäten, um diese Mittel für die Entwicklung von Automobilkomponenten der nächsten Jahre zu nutzen." Die Regelung der Aussetzung soll im April 2022 enden. Dann ist mit einer deutlichen Zunahme von Insolvenzanträgen zu rechnen. Zudem wird es zu mehr Übernahmen kommen.
Lesen Sie auch:
Mergers & Acquisitions: Wachsendes Interesse an deutschen Zulieferern