Seit dem 12. Dezember hat Audi immerhin eine Baustelle weniger. An diesem Tag hat der Aufsichtsrat den Niederländer Bram Schot zum neuen Vorstandsvorsitzenden ernannt. Der frühere Vertriebschef hat jedoch viel Arbeit vor sich, wenn er dem Autobauer seinen alten Glanz zurückgeben will. Und noch deutlich mehr, wenn er den Traum seiner Vorgänger Martin Winterkorn und Rupert Stadler verwirklichen will, Audi zum weltgrößten Premiumhersteller zu machen. Noch immer kämpft die Marke mit diversen Problemen, die zum Teil alle Hersteller betreffen, zum Teil aber Audi-spezifisch sind:
Keine Schonfrist für Bram Schot
Die politischen Rahmenbedingungen sind derzeit nicht ideal für die Autobauer: Noch immer ist nicht klar, ob, wie und wann Großbritannien aus der EU und aus dem gemeinsamen Binnenmarkt und der Zollunion ausscheiden wird. Für die Hersteller, deren eng getaktete Lieferketten auf freien Handel und reibungslosen Warenverkehr angewiesen sind, ist diese Unsicherheit Gift.
Hinzu kommen die hauptsächlich von US-Präsident Donald Trump ausgelösten Handelskonflikte zwischen den USA und Europa sowie zwischen den USA und China. Nur kurz konnten die Autobauer, die fast alle Werke in Mexiko unterhalten, sich über die Einigung zwischen den USA und ihrem südlichen Nachbarn freuen, da brachen ein Streit mit der EU und einer mit China los.
Mit China ist die Situation bereits eskaliert, was zu hohen Zöllen mit entsprechenden Folgen geführt hat. Momentan scheint sich die Lage gerade wieder etwas zu entspannen, aber Trump reagiert kurzentschlossen und unvorhersehbar. Hier bleiben also Risiken, die schwer einzuschätzen sind.
Im diesem Jahr hat die Umstellung auf den neuen Prüfzyklus WLTP zu starken Absatzschwankungen bei Audi geführt. Im Sommer gab es aufgrund von Rabatten deutliche Vorzieheffekte, im November lag der weltweite Absatz hingegen um mehr als 16 Prozent unter dem Vorjahreswert. "Auch in den kommenden Monaten wird dieser angespannte Zustand weiter andauern", hieß es im Dezember in einer Pressemitteilung. Wann alle Motor-Getriebevarianten der verschiedenen Baureihen wieder wie gewohnt lieferbar sind, ist noch nicht absehbar.
Im kommenden Jahr ist zudem kein starker Rückenwind von neuen Modellen zu erwarten. Der Q4 und der A3 Sportback werden aller Voraussicht nach zwar solide, aber keine exorbitanten Verkaufszahlen liefern. Wie sich das Elektro-SUV E-tron im Vergleich zu Mercedes EQC, Jaguar I-Pace und Tesla Model X schlagen wird, bleibt abzuwarten.
Grundsätzlich hat man bei Audi den Trend zum SUV rechtzeitig erkannt und ist mit einer breiten Palette von Q2 bis zum Q8 gut aufgestellt. Bei den Limousinen und Kombis sinkt die Nachfrage jedoch entsprechend.
Wenn nichts Unerwartetes passiert, werden 2019 in zahlreichen deutschen Großstädten Fahrverbote für Fahrzeuge mit Dieselmotoren eingeführt. Abgesehen von den Problemen für die aktuell betroffenen Kunden steht zu erwarten, dass sich der Rückgang der Diesel-Zulassungen dann beschleunigt fortsetzen wird. In diesem Jahr ist der Diesel-Anteil bei Audi bereits erheblich gesunken, im November lag er nur noch bei 29 Prozent.
Daraus folgt für Audi, ebenso wie für die anderen Autobauer mit zahlreichen schweren SUV-Modellen, direkt das nächste Umweltproblem. Denn wenn die Kunden ihren Q5 und Q7 mit Benziner statt mit Diesel fahren, steigt der CO2-Ausstoß, was künftig zu hohen Strafzahlungen führen wird – Geld, dass dem Autobauer an anderer Stelle fehlt, zum Beispiel in der Entwicklungsabteilung.
Das Problem hat sich kürzlich noch einmal verschärft, als die EU-Kommission strengere Grenzwerte als erwartet beschlossen hat: Bis 2030 soll der CO2-Ausstoß von Neuwagen im Vergleich zu 2021 um 37,5 Prozent sinken. VW-Konzernchef Herbert Diess sagte in einer ersten Reaktion, dafür müsse der Anteil der E-Autos auf mehr als 40 Prozent steigen. Mit dem bereits vorgestellten E-Tron und dem angekündigten E-Tron GT allein wird Audi das nicht erreichen, dafür müssten ganze Modellreihen wie der A3 oder der A4 auf Elektroantrieb umgestellt werden.
Mehr als drei Jahre ist es mittlerweile her, dass amerikanische Behörden den Abgas-Skandal aufgedeckt haben. Zwar hat Audi mit der Zahlung eines Bußgeldes in Höhe von 800 Millionen Euro das Strafverfahren in Deutschland beendet, doch noch immer laufen Prozesse mit betroffenen Kunden, ganz zu schweigen von dem Imageproblem, das die Marke seitdem hat. Die interne Aufklärung läuft stockend, erst wenige Täter oder Mitwisser sind identifiziert, die Öffentlichkeit tappt nach wie vor im Dunkeln.
Noch immer sind zahlreiche Fahrzeuge mit Manipulationssoftware auf den Straßen unterwegs und belasten die Umwelt mehr als vom Hersteller angegeben. Audi ficht das nicht an: Die Autos seien "technisch sicher und fahrbereit". Doch Kunden und Behörden verlieren langsam die Geduld. Sie fühlen sich getäuscht, wenn herauskommt, dass auch Jahre nach Bekanntwerden des Skandals noch Fahrzeuge mit Manipulationssoftware verkauft wurden. Für den früheren Vorstandschef Rupert Stadler hingegen waren derartige Enthüllungen Belege für die Aufklärungsarbeit, die in seinem Unternehmen geleistet werde.
Insidern zufolge ist auch die Belegschaft beunruhigt durch die immer neuen Enthüllungen, es besteht jedoch die Hoffnung, dass die Ernennung von Bram Schot die Mitarbeiter beruhigen wird. Der neue Chef gilt als guter Zuhörer. Was noch wichtiger ist: Er ist garantiert unbelastet.
Im November hat Hans-Joachim Rothenpieler den Posten des Audi-Entwicklunsgsvorstands übernommen. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn er nicht schon der Fünfte auf diesem Posten innerhalb von sechs Jahren wäre. Die ständigen Wechsel gerade in diesem Ressort stellen das Unternehmen vor große Probleme.
Abgesehen von den allseits bekannten Herausforderungen Elektromobilität und autonomes Fahren hat Audi bereits seit Jahren nicht mehr durch technische Innovationen auf sich aufmerksam gemacht. Beim Thema E-Mobilität ist Tesla vorn, beim autonomen Fahren die Google-Tochter Waymo.
Im kommenden Jahr bringt Audi das Elektro-SUV E-Tron auf den Markt. Wie es sich gegenüber Konkurrenten wie dem Mercedes EQC, dem Jaguar i-Pace und dem Tesla Model X schlagen wird, bleibt abzuwarten. Immerhin scheint Audi hier den richtigen Zeitpunkt erwischt zu haben: Für die kommenden Jahre haben mehrere Hersteller Elektroautos angekündigt. Konkurrent BMW war mit seinen i-Modellen zwar vorn, konnte aber nicht mehr als einen Achtungserfolg erringen. Ähnlich wie Audis A2 zehn Jahr vorher waren die Modelle i3 und i8 ihrer Zeit zu weit voraus.
Technisch hat sich die Marke, deren Slogan immer noch "Vorsprung durch Technik" lautet, in den vergangenen Jahren jedenfalls nicht mit Ruhm bekleckert. Ob sich das unter Schot und Rothenpieler ändert, ist noch nicht absehbar. Schot ist ebenso wie Stadler, kein Ingenieur. Aber auch der legendäre Audi-Chef Ferdinand Piech, der die Marke erst zum BMW-Konkurrenten gemacht hat, hat nicht alle Innovationen persönlich entwickelt. Er hat die Ingenieure angespornt und ihnen den Rücken freigehalten. Um das zu tun, muss man nicht unbedingt selbst Ingenieur sein.
Einen großen Vorteil hat Audi gegenüber seinen Rivalen: Die Ingolstädter haben den VW-Konzern im Rücken. Damit können sie für alltägliche Komponenten oder allgemeine Herausforderungen wie E-Mobilität und autonomes Fahren auf Baukästen und Technik aus dem Konzernregal zurückgreifen und haben in der Entwicklungsabteilung entsprechende personelle und finanzielle Ressourcen für die Entwicklung innovativer Technologien frei.
Beim Design war Audi in den vergangenen Jahren nicht gerade mutig, der A4 beispielsweise ist nur bei genauem Hinsehen vom Vorgänger zu unterscheiden. Designchef Marc Lichte hat bereits Besserung gelobt. Doch da sich nur bei Modellwechseln, also etwa alle acht Jahre, die Gelegenheit bietet, das Design eines Fahrzeugs deutlich zu verändern, wird es noch dauern, bis die Änderungen im Straßenbild sichtbar werden.
Audi steht ein weiteres schwieriges Jahr bevor. Die Marke wird wohl erneut weniger Autos verkaufen als ihre direkten Rivalen. Doch wenn Bram Schot und seine Mannschaft die Zeit nutzen, den Abgas-Skandal und die WLTP-Probleme endlich hinter sich lassen und der Entwicklungsabteilung um Hans-Joachim Rothenpieler genug Geld und Freiraum zur Verfügung stellen, um technisch innovative und ausgereifte Produkte zu entwickeln, kann Audi gestärkt aus dem kommenden Jahr hervorgehen und 2020 wieder angreifen.
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