Herr Haffner, wie ist die Corona-Situation aktuell bei Porsche?
Wir bilden den Durchschnitt der Bevölkerung ab. Aktuell haben wir weltweit etwa 100 Infizierte im Unternehmen. Zudem haben wir rund 100 Kontaktpersonen in Quarantäne. Das hat in den vergangenen drei Wochen nochmals eine ziemliche Dynamik erhalten. Umso wichtiger ist es, das Virus vor den Werkstoren abzuwehren.
Wie geht das?
Wir haben dazu eigene Corona-Teststationen in Zuffenhausen und in Weissach aufgebaut. Da kann sich jeder testen lassen, der Symptome einer Erkältung zeigt. Fällt das Ergebnis negativ aus, darf der Mitarbeiter an seinen Arbeitsplatz. Ist es positiv, muss er in Quarantäne. Wir müssen vermeiden, dass erkrankte Personen beispielsweise ans Band kommen und dann – trotz umfangreicher Schutzmaßnahmen – die Kollegen infizieren.
Gab es solche Fälle?
Wir hatten einen Kollegen, der seinen Ausstand mit mehreren Kollegen gefeiert hat. Dabei war eine infizierte Person, also musste fast die gesamte Abteilung in Quarantäne. Wenn plötzlich ein ganzer Bandabschnitt wegfiele, würde uns das natürlich schon zu schaffen machen. Aber bisher ist es nicht zu Beeinträchtigungen der Produktion gekommen.
Haben Sie das Sicherheits-Konzept nochmals nachgeschärft?
Prinzipiell haben wir ein sehr gutes Konzept. Dieses haben wir jetzt noch um die beiden Testcenter ergänzt. Sie sollen nochmals zusätzliche Sicherheit schaffen. Und die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit dieser Center. Bei 15 bis 30 Tests pro Tag haben wir in der aktuellen Phase zwischen drei bis fünf positive Ergebnisse. So können wir umgehend reagieren. Und die betroffenen Kolleginnen und Kollegen werden entsprechend professionell beraten.
Gibt es bei Porsche eigentlich noch Kurzarbeit?
Nein. Wir waren Anfang Mai einer der ersten Autohersteller, der die Kurzarbeit in der Produktion nach sechs Wochen beendet hat und zum eingeschränkten Normalbetrieb zurückgekehrt ist. Einzelne Verwaltungsbereiche waren noch bis Ende Mai in Kurzarbeit. Während der Kurzarbeit haben unsere Mitarbeiter 100 Prozent ihres Nettolohns erhalten. Damit bewegte sich der finanzielle Effekt bei uns im Übrigen auch in einem überschaubaren Rahmen.
Was war denn die wichtigste Lehre aus Corona?
Dass wir uns auf unser Team jederzeit verlassen können. Wir haben bei Porsche sehr schnell reagiert und ein sehr gutes Krisenmanagement aufgesetzt. Wir haben alles getan, um die Gesundheit unserer Mitarbeiter zu gewährleisten. Gleichzeitig haben wir uns immer eine optimistische Grundhaltung bewahrt, nach vorne geschaut und uns auf den Wiederanlauf konzentriert. In der Hochphase im Frühjahr sind wir im Vorstand, unter der Leitung von Oliver Blume, jeden Morgen die verschiedenen Bereiche durchgegangen – von der Produktion über den Vertrieb bis hin zur Beschaffung. Gerade die Beschaffung spielte ja eine entscheidende Rolle, weil die Lieferkette insbesondere durch die Situation in Italien nicht mehr aufrechterhalten werden konnte.
Die Reisetätigkeit ist praktisch zum Erliegen gekommen. Wie sieht es jetzt aus?
Wir haben schon vor Corona beschlossen, die Reisekosten um die Hälfte zu reduzieren und in der Zusammenarbeit verstärkt die Möglichkeiten der neuen Medien zu nutzen. Die zunehmende Digitalisierung ist ja nichts Neues, aber Corona war natürlich nochmals ein enormer Beschleuniger. Obwohl es also kein Neuland für uns war, waren wir dennoch positiv überrascht, wie gut die Arbeit im Remote-Modus in diesem Ausmaß funktioniert – innerhalb der eigenen Mannschaft, aber auch in der Zusammenarbeit im VW-Konzern oder mit unseren Geschäftspartnern. Die IT hat wirklich einen tollen Job gemacht. Inzwischen habe ich vier oder fünf verschiedene Apps auf meinem Tablet, mit denen ich Videokonferenzen durchführen kann.
Müssen Sie dadurch auch weniger Arbeitsplätze vorhalten?
Vor Corona sind wir davon ausgegangen, dass etwa zehn Prozent unserer Mitarbeiter nicht täglich vor Ort sind. Nach den Erfahrungen der vergangenen Monate halte ich es für möglich, dass wir künftig eher von 20 bis 30 Prozent reden. Das hat natürlich Auswirkungen auf die weitere Planung unserer Bürolandschaften. Wir gehen davon aus, dass wir in der Folge fast keine Büroflächen mehr zusätzlich anmieten müssen bzw. heutige Büroflächen abmieten können. Dadurch können wir längerfristig einen hohen zweistelligen Millionen Euro-Betrag einsparen.
Inwiefern hat das mobile Arbeiten zugenommen?
Durch die jüngsten Corona-Entwicklungen arbeiten unsere Mitarbeiter im indirekten Bereich soweit als möglich wieder von zuhause. Zuvor hatten wir eine Präsenz von rund 50 Prozent im Durchschnitt. Die Kollegen haben sich dabei in der Regel abgewechselt, insbesondere in systemkritischen Bereichen. Wichtig war und ist es uns, dass die Ab- und Anwesenheit eng mit den Führungskräften abgestimmt wird. Denn natürlich sind die Voraussetzungen sehr individuell.
Was heißt das konkret?
Bereits vor Corona hatten wir eine Regelung, die Mobiles Arbeiten an bis zu zwei Tagen pro Woche ermöglichte. Dies werden wir in Zukunft sicherlich ausweiten. Vielleicht reden wir dann von zehn bis zwölf Tagen pro Monat. Wichtig ist aber auch: Unsere besondere Porsche-Kultur lebt davon, dass wir uns auch immer wieder vor Ort begegnen und persönlich austauschen. Das schafft diesen besonderen Spirit und lässt uns zu recht immer wieder von der Porsche-Familie reden.
Hat es dadurch einen Digitalisierungsschub im Unternehmen gegeben?
Ich denke, das muss man richtig einordnen. Sicherlich hat Corona dazu geführt, dass sich sehr viele Kolleginnen und Kollegen innerhalb kürzester Zeit intensiv mit den neuen Medien beschäftigen mussten. Aber wir haben schon vor Corona relativ umfangreiche Schulungen zu Konferenz-Tools gemacht, beispielsweise über unsere Porsche-Lernplattform. Da sind viele Lernvideos eingestellt, die sehr anschaulich die erforderlichen Fähigkeiten vermitteln. Ich habe mir das ebenfalls so beigebracht und der Umgang mit Microsoft Teams ist für mich heute Alltag.
Wo immer man derzeit in der Autoindustrie hinschaut, werden Stellen abgebaut. Wie sieht das bei Porsche aus?
Mit rund 36.000 Mitarbeitern haben wir bei Porsche sicher einen Punkt erreicht, an dem wir uns nur noch gezielt verstärken. Etwa mit Spezialisten rund um die Themen E-Mobilität, Digitalisierung oder Konnektivität. Aber auch das ist nicht neu. Wir haben immer gesagt, dass mit der Einführung des Taycan eine Konsolidierungsphase kommen muss. Auch wenn wir erst jüngst nochmals für die Produktion des Taycan rund 70 zusätzliche und bestens ausgebildete Mitarbeiter eingestellt haben.
Spüren Sie, dass wieder mehr Fachkräfte auf dem Markt sind?
Absolut, die Zahl der Bewerbungen bei uns ist nochmals deutlich nach oben gegangen, nachdem es zu Jahresanfang etwas ruhiger war. 2019 hatten wir rund 160.000 Bewerbungen und in diesem Jahr werden es wahrscheinlich nochmals mehr werden. Der momentane Druck im Arbeitsmarkt ist erkennbar.
Werden Sie wegfallende Stellen auch wiederbesetzen?
Ja. Im Moment gibt es keine Überlegungen, Instrumente wie die Altersteilzeit oder Fluktuation stärker zu nutzen und die Stammbelegschaft zu reduzieren. Prinzipiell steht die Zukunft bei uns aber unter der Überschrift "Umbau statt Aufbau". Das heißt, mit Hilfe eines fein ausgeklügelten strategischen Kompetenzmanagements ermitteln wir die künftigen Bedarfe. Mitarbeiter aus Bereichen, die wir vielleicht nach unten fahren wollen, qualifizieren wir dann für eine neue Aufgabe im Unternehmen.
Wen betrifft dies denn besonders?
Das betrifft letztlich das gesamte Unternehmen. Aber nehmen wir ein Beispiel aus der IT. Rechenleistung kommt künftig nicht mehr aus dem eigenen Rechenzentrum, sondern aus der Cloud. Damit können sich diese Mitarbeiter höherwertigeren Aufgaben widmen, wie zum Beispiel als Data Analysts oder Coder im Umfeld der Künstlichen Intelligenz. Hier bieten wir entsprechende Fortbildungen an. Aber auch bei der klassischen Motorenentwicklung ist absehbar, dass wir nicht mehr so viele Mitarbeiter benötigen. Deshalb haben wir schon vor längerer Zeit damit begonnen, die Kollegen gezielt für elektrische Antriebe weiterzubilden.
Können Sie da alle mitnehmen?
Die überwiegende Mehrheit schon. Wir kommunizieren ja auch sehr offen und gehen schrittweise vor. Zudem sind wir natürlich unverändert ein hoch attraktiver Arbeitgeber, bei dem die Mitarbeiter sich auch gerne entwickeln wollen. Zumal einem jeden bewusst ist, dass eine Verweigerungshaltung bei diesem rasanten Wandel in der Automobilindustrie keine Zukunftsperspektiven eröffnet. Aber natürlich suchen wir für ältere Kollegen, die sich mit einer Umstellung besonders schwertun, gemeinsam nach einer Regelung - beispielsweise in Form der Altersteilzeit.
Wie viele der Mitarbeiter müssen sich umorientieren?
Wir gehen davon aus, dass sich in der Porsche AG mit 22.000 Beschäftigten etwa jeder vierte umorientieren muss. Das Spektrum ist groß. Es reicht vom schon genannten Motorenentwickler bis hin zum Angestellten in der Buchhaltung, der bisher Rechnungen einzeln eingescannt und verarbeitet hat und dessen Tätigkeit in der Zukunft voll automatisiert und digitalisiert ausgeführt wird. Ziel ist aber, über das strategische Kompetenzmanagement alle Mitarbeiter weitestgehend an Bord zu halten und jeweils eine geeignete Tätigkeit zu finden.
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