Krafcik, Huang, Shashua, Scheider und de Vos geben Antworten
Ist Level 5 autonomes Fahren unmöglich?
Waymo-Chef John Krafcik glaubt: Level 5 ist unmöglich. Hat er recht? Wir haben uns unter Zulieferer- und Entwicklungschefs, darunter Mobileye-Chef Amnon Shashua oder Nvidia-Chef Jensen Huang aber auch ZF-Chef Wolf-Henning Scheider umgehört.
Mittwoch, 16. Januar 2019, 11.37 Uhr
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Man muss schon einige Meter auf der CES in Las Vegas zurücklegen, bis man zwischen den vielen Messeständen der Hersteller und Zulieferer in der North-Hall ein Waymo-Fahrzeug findet.
Obwohl autonomes Fahren und Ridesharing-Dienste ein zentrales Thema auf der Tech-Show vor einer Woche waren, hatte die Schwesterfirma von Google aus dem Alphabet-Konzern keinen eigenen Stand, sondern zeigte einen seiner umgebauten Chrysler Pacifica Hybrid Minivan am Stand von Fiat-Chrysler.
John Krafcik, der Chef von Waymo, machte dennoch zur CES auf sich aufmerksam – und zwar medial. Mit einem CNN-Reporter unterhielt sich Krafcik übers autonome Fahren und über das, was mit all der Sensorik, künstlicher Intelligenz und Datenverarbeitung möglich sein wird.
Level 5, so nennen diese Stufe die Ingenieure, ist der höchste selbstfahrende Modus: Das Auto fährt ohne jedes menschliche Zutun, Fahrer, Lenkrad und Pedalerie sind überflüssig. Einfach einsteigen und egal, ob Regen, Wind, Schnee oder Eis - das Auto fährt jederzeit und über jede Straße ans Ziel – nicht nur in Städten, sondern über hunderte Kilometer. So die Idee.
Krafcik allerdings sagt dazu: „Level 5 ist unmöglich.“
Aber stimmt diese These?
Jensen Huang, Gründer und Chef des Grafikkartenherstellers Nvidia, schüttelt auf Nachfrage energisch den Kopf. „Ich glaube, er hat unrecht. Level 5 wird vielleicht nicht übermorgen auf den Straßen sein, aber wir alle, die ganze Industrie arbeitet daran. Und wir alle entwickeln die Technik, damit wir irgendwann eben doch solche Fahrten machen können“, sagt der Nvidia-Chef.
Ähnlich argumentiert auch ZF-Chef Wolf-Henning Scheider. Er überlegt lange, bis er eine Antwort gibt – gibt sie jedoch sehr bestimmt: „Er hat unrecht.“
Er vergleicht bei seiner Begründung die Entwicklung hin zum autonomen Fahren mit der, die das iPhone hingelegt hat. „Wir alle hätten vor 11 Jahren nicht gedacht, was alles mit dem iPhone möglich ist“, sagt der ZF-Chef. Denn ein klarer Treiber für digitale Technologien, beim iPhone genauso wie beim autonomen Fahren, sei die künstliche Intelligenz.
„Sie beschleunigt Technologie extrem. Bestes Beispiel ist die ZF ProAI, unser Großrechner. Vor zwei Jahren hatte sie 20, heute hat sie 600 Tera-OPS – diese Entwicklung hätte vor zwei Jahren allein von unserem Team keiner erwartet“, erläutert Scheider die Entwicklung. Es seien zudem so vielen verschiedenen kluge Köpfe mit dem Thema beschäftigt, dass sie auch Lösungen für Level 5 finden werden.
Ebenfalls mit den Worten „Er hat unrecht“ antwortet Mobileye-Chef Amnon Shashua auf die Frage, ob Krafcik mit seiner Einschätzung richtig liegt.
Warum? "Weil wir Menschen das beste Beispiel sind. Wir haben zwei Augen und ein Gehirn – und wir können Autofahren. Also können Kameras, Sensoren und eine intelligente und trainierte Software auch ein Auto lenken", erläutert der Mobileye-Gründer.
Allerdings, so Shashua, sei die heute vorhandene Sensor-Technologie noch lange nicht so weit, alle Wetterbedingungen richtige einzuordnen. "Das ist auch der Grund, warum alle Firmen derzeit in den Städten ihre selbstfahrende Technologie testen, in denen nahezu immer gutes Wetter herrscht. Denn Wetter ist unberechenbar für die Sensoren heutzutage." Aber das, so Shashua weiter, heiße bei weitem nicht, dass dies in Zukunft nicht möglich wäre. "Ganz im Gegenteil. Ich glaube daran, dass es irgendwann möglich ist. Level 5 ist nicht Science Fiction."
Zustimmung bekommt John Krafcik von Glen De Vos. Er ist Technikchef des Zulieferers Aptiv, einer der führenden Zulieferer für selbstfahrende Technik und derjenige, der mit seinem Team die selbstfahrende Technik für den amerikanischen Fahrdienst Lyft entwickelt. Für ihn kommt es ganz klar auf die genaue Definition von Level fünf an.
„Wenn Level 5 bedeutet, dass das Auto überall auf der Welt, auf jeder Straße zu jeder Zeit und zu jeglichen Bedingungen – auch zu jeglichen Wetterbedingungen und jeder Entfernung – fahren kann, da muss ich ehrlich sagen: Ich weiß nicht, wann das Realität werden soll“, so De Vos. "Reines Wunschdenken" nennt De Vos dieses Szenario des selbstfahrenden Autos, denn würde man diese Regeln zugrunde legen, werde Level 5 nie Realität werden. „Was wir uns bei Aptiv unter Level 5 vorstellen, ist ein Gefährt, das zwar auch ohne Fahrer fährt, aber auf kurzen Strecken pendelt. Es bringen Menschen zur Arbeit oder bringt Waren in Haushalte – und zwar auf Straßen, die man kontrollieren und in Gegenden, die man einschätzen kann“, sagt De Vos. Level 5 müsse trotz allem handelbar sein.
Waymo-Chef Krafcik argumentiert gegenüber dem CNN-Reporter, dass eine solche allumfassend selbstfahrende Technologie ja auch gar nicht gebraucht werde: „Dass das Auto so etwas kann, ist nicht notwendig, weil wir so selten von San Francisco nach Santiago in Chile fahren. Wir machen das einfach nicht", sagt er. Die Gewohnheiten und auch die Strecken, die die Menschen in der Regel zurücklegen, seien eher Pendelstrecken in Städten– wofür Krafcik den Mobilitätsservice von Waymo entwickelt.
Aber Menschen ändern sich – und mit ihnen die Gewohnheiten. Vielleicht ist es die neue Art des nachhaltigen Reisens, am Abend in ein Fahrzeug mit geringen Emissionen einzusteigen und am nächsten Morgen gut ausgeschlafen in Barcelona wach zu werden? Wer weiß es...