Herr Wilks, Sie haben ihr Amt bei Mann + Hummel Anfang des Jahres übernommen. Wie haben Sie den Start in so einer turbulenten Zeit erlebt?
Ein Vorteil ist, dass ich seit 1998 bei Mann+Hummel bin und das Unternehmen und viele Mitarbeiter sehr gut kenne. Ich mache oft Scherze darüber, dass ich wahrscheinlich auf mehr Geschäftsreisen mit Aufsichtsratschef Thomas Fischer als mit meiner Familie im Urlaub war. Trotzdem war es natürlich aufregend, als er mich bat, die Geschäftsführung zu übernehmen. Den 100-Tage-Plan, den ich gemacht habe, musste ich sehr schnell anpassen angesichts der jüngsten Entwicklungen.
Wie haben Sie den Beginn der Corona-Krise erlebt?
Wir haben im Januar die ersten Auswirkungen in China erlebt und mögliche Szenarien mit den Teams diskutiert. Danach ging es ziemlich schnell und wir standen auch in Europa und den USA vor ähnlich großen Herausforderungen. Wir tragen nun auch hier in den USA Schutzmasken. Das hätte ich mir vor einigen Wochen noch nicht vorstellen können.
Wie viele der Mitarbeiter bei Mann und Hummel sind in Kurzarbeit?
Die Situation ist über die Länder hinweg unterschiedlich. In Deutschland befand sich im April etwa ein Drittel der Belegschaft in Kurzarbeit, weil auch die Kunden wie VW, BMW oder Daimler ihre Produktion vorübergehend gestoppt hatten. In den USA mussten wir Mitarbeiter vorübergehend entlassen, da es hier kein vergleichbares Instrument gibt. Wichtig ist eine gute Kommunikation in dieser Zeit, damit die Mitarbeiter die Maßnahmen auch verstehen, beispielsweise bei den Hygieneregeln oder der Entzerrung von Schichten.
Ist schon absehbar, wann die Produktion wieder normal laufen wird?
Ich wünschte, die Ökonomen könnten uns eine präzise Prognose geben. Ich gehe davon aus, dass die Produktion auf absehbare Zeit nicht auf das Niveau von 2019 zurückkehren wird. Viele Experten haben mit einer Erholung in V-Form gerechnet. Ich gehe davon aus, dass es eher ein U wird und bis 2021 dauern könnte. Unsere Business Units Original Equipment, Automotive Aftermarket und Life Sciences & Environment sind dabei ganz unterschiedlich betroffen.
Inwiefern?
Der Bereich "Transportation", zu dem auch Produkte rund um Lkw gehören, ist am stärksten betroffen, weil unsere Kunden über Wochen nicht produziert haben. Wir hoffen, dass es im Laufe des Mai wieder richtig losgeht. Ich glaube allerdings, dass es noch Monate dauern wird, bis die Lieferketten vollkommen stabil sind. Aber natürlich bereiten wir uns akribisch darauf vor. Das gilt auch für den Aftermarket, der ebenfalls stark gelitten hat.
Gibt es auch Bereiche, die profitieren?
Im Bereich Life Sciences & Environment hatten wir die einzigartige Möglichkeit, in der Corona-Krise mit unseren Produkten Hilfe zu leisten. Wir verfügen über ein Produktportfolio an modernsten Hepa-Filtern, Filtrationstestlabore sowie anerkannte Expertise für die Filtration in Reinräumen und Operationssälen. In unserem chinesischen Werk in Kunshan haben wir eine Fertigung für Gesichtsmasken aufgebaut. Das kann den Wegfall in anderen Bereichen nicht kompensieren, lindert aber die Situation etwas.
Lässt sich das in Zahlen ausdrücken?
Das ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich. Wichtiger ist auch, dass wir in dieser Situation einen Beitrag zur Unterstützung leisten konnten. Ich bin stolz darauf, wie schnell unser Team hier reagiert hat und entsprechende Kapazitäten aufgebaut hat.
Wird die Nachfrage nachhaltig sein oder nur vorübergehend?
Saubere Luft und sauberes Wasser sind Themen, mit denen wir uns als Hersteller von Filteranlagen schon länger beschäftigen. Dafür wollen wir nun noch schneller Lösungen anbieten. Das ist Teil der Geschichte, die wir als Mann + Hummel erzählen wollen – ganz unabhängig von der aktuellen Bedrohung durch ein neuartiges Virus.
Ihr Vorgänger Werner Lieberherr hatte einen strikten Sparkurs verordnet und das Unternehmen tief verunsichert. Wie ist die Stimmung jetzt?
Werner Lieberherr hat den Fokus bei Mann + Hummel auf die Profitabilität gelenkt. Das ist für kein Unternehmen der Welt schlecht. Es geht darum, das Geschäft nachhaltig für alle zu gestalten, also unsere Eigentümer, unsere Mitarbeiter und die sonstigen Interessenvertreter. Vielleicht war eine interne Lösung mit mir am Ende passender, zumal ich als Amerikaner seit der Übernahme des US-Unternehmens Affinia im Jahr 2015 für die Ganzheitlichkeit des Unternehmens stehe.
Das Ziel war es, 100 Millionen Euro einzusparen und 1200 Stellen abzubauen. Ist dies gelungen?
Das Programm, das ja alle Standorte weltweit betraf, war erfolgreich. Die Zahlen werden wir zu unserer Jahresbilanz im Juni bekanntgeben. Die Verbesserungen sind aber deutlich erkennbar. Jetzt müssen wir schauen, wie die Rückkehr zu einer neuen Normalität nach Covid-19 aussehen kann und dann evaluieren, ob weitere Maßnahmen notwendig sind.
Könnte es ein erneutes Sparprogramm geben?
Es war sicher ausreichend für die Zeit vor der Corona-Krise. Jetzt müssen wir uns genau anschauen, wie es danach weitergeht. Das können wir erst in einigen Monaten tun, wenn die Produktion wieder richtig angelaufen ist und wir alle Auswirkungen sehen. Ich will nicht zu lange warten, aber auch nicht zu früh Dinge entscheiden. Wir machen derzeit einen Geschäftsplan für 2021. Ich hoffe, dass die vollständige Erholung kommt, aber derzeit glaube ich noch nicht daran.
Das hört sich so an, als wäre ein weiterer Stellenabbau wahrscheinlich.
Wir brauchen etwas mehr Zeit, um zu verstehen, auf welches Niveau der Markt zurückkommen wird, aber können es nicht ausschließen. Falls erforderlich, werden wir die notwendigen Schritte unternehmen, um sicherzustellen, dass unser Unternehmen nachhaltig wirtschaften kann.
Ihr Vorgänger sprach auch von der Option, Produktion nach Osteuropa zu verlagern. Wie stehen Sie dazu?
Wir haben an einigen Standorten eine nicht ausreichende Wettbewerbsfähigkeit, das ist richtig. Wir schauen uns aber fortlaufend das Produktionsnetzwerk an und wollen immer die richtigen Produkte an den richtigen Standorten fertigen. Das kann bedeuten, dass wir bestimmte Umfänge von einem Land in ein anderes verschieben und Anpassungen vornehmen. Wir haben sehr wettbewerbsintensive Märkte, dem müssen wir uns stellen. Aber das ist normales Geschäft wie in jedem international aufgestelltem Unternehmen.
Eines der Hauptprobleme von Mann + Hummel ist die geringe Profitabilität der vergangenen Jahre. Wie wollen Sie diese verbessern?
Es gibt eine Vielzahl von Ansätzen. Einer war die genannte Anpassung der Größe des Unternehmens und die Verbesserung vieler Prozesse. Wir haben beispielsweise Entwicklungsschritte oder Fertigungsverfahren digitalisiert, um schneller zu werden. Diese Anstrengungen gehen weiter. Es geht darum, die Produkte noch schneller zu unseren Kunden zu bringen. Die größte Bedeutung haben nach wie vor Innovationen. Wir haben eine Reihe großartiger Produkte bei den Messen vorgestellt, die wir hoffentlich breit ausrollen können.
Können Sie dafür ein Beispiel geben?
Nehmen Sie unsere stationären Feinstaubfilter, die wir in Stuttgart und anderen Städten schon installiert haben. Wir sehen hier ein großes weltweites Interesse, etwa aus Brasilien oder Südkorea, wo wir bereits einen Freizeitpark mit unseren Säulen ausgestattet haben. Inzwischen haben wir 92 Säulen auf drei Kontinenten installiert. Sie können insgesamt 1,25 Millionen Kubikmeter Luft reinigen. Dazu kommen die innovativen Bremsstaubpartikelfilter für die Scheibenbremse. Ich bin überzeugt, dass wir diesen in den nächsten Jahren im Programm verschiedener Hersteller sehen werden.
Eine der Hauptsäulen von Mann + Hummel ist der Automobilsektor. Wo sehen Sie noch Potenzial für Wachstum?
Unsere Kernkompetenz ist die Filtration und damit das Trennen von Nützlichem und Schädlichem. Da gibt es beim Verbrennungsmotor noch genügend Ansätze, um die Leistungsfähigkeit von verschiedenen Komponenten zu erhöhen. Gleichzeitig passen wir unser Produktportfolio an die alternativen Antriebe an.
Was heißt das konkret?
Auch bei elektrisch angetriebenen Autos gibt es eine Nachfrage nach Filterlösungen. Beispielsweise können wir die Batterie vor schädlichen Partikeln in der Luft schützen. Unser Ionentauscher-Filter für die Brennstoffzelle reinigt die Kühlflüssigkeit von gelösten Salzen und verhindert so Kurzschlüsse am Brennstoffzellen-Stack. Hier gewinnen wir neue Kunden, vor allem in Asien, wo wir immer präsenter sind. Unsere Produkte sind besser als die der Wettbewerber, deshalb gibt es mit unserer Strategie noch genügend Platz für Wachstum.
Herr Wilks, wird Mann und Hummel diese Krise ohne größeren Schaden überstehen?
Die Krise wird uns 2020 sicher hart treffen so wie alle anderen in unserer Industrie auch. Aber wir sind finanziell gut aufgestellt, haben schnell reagiert und Kosten wo möglich kurzfristig reduziert. Ich bin überzeugt, wir kommen durch, aber das Unternehmen wird nicht mehr das gleiche sein. Denn wir werden mit den Änderungen noch so lange leben müssen, bis es ein Heilmittel gegen diese Pandemie gibt.
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