Herr Hirzel, was ist 2018 in den USA bei Autoneum schiefgelaufen?
Zu unseren Kunden in den USA zählen traditionell die drei großen amerikanischen Hersteller und alle japanischen. Unser strategisches Ziel war es, in den USA neue Aufträge von deutschen und anderen europäischen Kunden zu gewinnen, was uns erfolgreich gelungen ist. Für diese neuen Kunden haben wir neue Technologien in neuen Werken produziert. Unsere amerikanischen Kollegen haben die damit verbundenen Herausforderungen allerdings unterschätzt.
Lässt sich das konkretisieren?
Als die Modellneuanläufe 2018 starteten, mussten wir feststellen, dass die Produktentwicklung und Prozessgestaltung sowie die Industrialisierung in den US-Werken völlig unzureichend war. Dazu kamen Probleme in der Bedienung von vollautomatisierten Anlagen durch unqualifiziertes Personal. Wir haben heute noch Mühe, die Teile in der geforderten Menge und Qualität zu produzieren. Jetzt fahren die Anläufe hoch, die Modelle sind erfolgreich am Markt, und entsprechend kommt es zu großen Verlusten, weil wir kostspielig in Form von Sonderschichten und -frachten gegensteuern müssen, um unsere Verpflichtungen erfüllen zu können.
Wann werden Sie über den Berg sein?
Wir haben Anfang des Jahres einen umfangreichen Aktionsplan mit hunderten von Maßnahmen und wöchentlichen Ergebniskontrollen implementiert, aber angesichts der Dimension der Probleme wird die Business Group North America dieses Jahr noch Verluste schreiben. Für uns hat jetzt höchste Priorität die Lieferfähigkeit wiederherzustellen, um dann im zweiten Schritt an den Kosten zu arbeiten.
Wie gefährlich wäre für Autoneum ein drohender Handelskrieg zwischen den USA und China?
Wir sind davon kaum betroffen, denn wir produzieren lokal in der Nähe unserer Kunden. Handelsstreitigkeiten verunsichern aber die Verbraucher und führen zu Nachfragerückgängen, und das spüren wir in den jeweiligen Märkten natürlich auch. Derzeit leidet die gesamte Branche unter der Unsicherheit im Markt, insbesondere in China.
Wie stark wären Sie von einem harten Brexit betroffen?
Wir betreiben drei Werke in England und produzieren dort vor allem für Jaguar Land Rover, Toyota, Honda und Mini. Aber wir beziehen Rohmaterialien vom Festland und liefern aus einem Werk aufs Festland. Es gibt also auch Lieferströme über die Grenze hinweg. Wir sind daher im engen Austausch mit unseren Kunden und arbeiten an Notfallplänen.
Können Sie das konkretisieren?
Für den Fall eines harten Brexit haben wir die Lager- und Produktionsbestände von Materialien und Komponenten erhöht, um eine größere Flexibilität bei potenziell längeren Transportzeiten sicherzustellen. Das kostet Geld. Außerdem sind unsere Lieferanten angewiesen, die Warenmenge in den Lagern bei unseren Werken zu erhöhen.
Autoneum hat in den vergangenen Jahren vor allem in China zahlreiche neue Standorte eröffnet. Ist ihr Werkeverbund jetzt komplett?
Aus heutiger Sicht, ja. Auch für China gilt: Wir investieren nur dann in Produktionskapazitäten, wenn es die Nachfrage erfordert und die entsprechenden Aufträge seitens unserer Kunden vorliegen.
In welchen Ländern neben China sehen Sie das größte Wachstumspotenzial?
Angesichts des weiterhin schwachen Marktes über alle Regionen hinweg erwarten für 2019 den Konzernumsatz auf Vorjahresniveau halten zu können. In Asien, vor allem in China, haben wir noch einen geringen Marktanteil. Der Marktgröße entsprechend sehen wir dort für Autoneum das stärkste Wachstumspotenzial. In Nordamerika, Europa und auch Südamerika sind wir Marktführer, da sind kaum noch Zuwächse möglich.
Ihr Ziel ist es, in den Wachstumsmärkten Asien und Südamerika einen Umsatzanteil von mindestens 20 Prozent zu erreichen. Bleibt es dabei?
Ja. Allerdings werden wir das bis 2020, wie ursprünglich geplant, nicht mehr schaffen. Wir haben zwar die Aufträge, um dieses Ziel zu erreichen, aber so wie die Marktprognosen derzeit aussehen, rechnen wir damit, dass die Abrufe geringer ausfallen. Aber die 20 Prozent bleiben unser Mittelfristziel.
Sind Sie in Asien mit neuen Kunden ins Geschäft gekommen?
Wir beliefern sowohl etablierte chinesische Fahrzeughersteller wie Geely, BAIC oder SAIC, haben aber auch von neuen Anbietern wie Nio Aufträge für Elektromodelle. Wie mit unseren anderen Kunden arbeiten wir auch mit den chinesischen Herstellern bereits in der Vorentwicklung für individuelle Lösungen im Akustik- und Hitzemanagement eng zusammen.
Wie haben sich in China die Lohnkosten entwickelt?
In den vergangenen Jahren sind die Lohnkosten zweistellig gewachsen. Auch wir haben auch zunehmend Mühe, qualifiziertes Personal zu finden - insbesondere an der Ostküste. Doch China ist der größte Automobilmarkt der Welt und unsere Kunden produzieren vor Ort, daher haben wir auch in den vergangenen Jahren mit vier neuen Werken stark in unseren chinesischen Kapazitäten investiert. Unsere Produkte, zum Beispiel Teppiche und Unterböden, eignen sich auch nicht für lange Transportwege über mehrere tausend Kilometer: darunter würde die Qualität leiden und die Logistikkosten wären zu hoch.
Wie ist die Lage bei den Rohmaterialien?
Wir sind in allen Regionen und in den meisten Werken vertikal aufgestellt. Das heißt, wir kaufen Rohmaterialien vorwiegend regional ein und verarbeiten diese zu Basismaterialien. Das können Teppichrollen oder Fasermatten sein, aus denen dann Endprodukte wie Teppichsysteme oder Stirnwandisolationen produziert werden. Gerade letztes Jahre sind die Preise für Rohmaterialien wie Garne, Isolationsfolien oder Vliese deutlich gestiegen.
Konnten Sie die Preiserhöhungen weiterreichen?
Das ist uns leider nur zum Teil gelungen. Vor allem chinesische OEMs sind die Diskussion um Preiserhöhungen noch nicht gewohnt. Da müssen wir noch viel Überzeugungsarbeit leisten, dass wir Preise auch mal nach oben korrigieren müssen und nicht nur nach unten.
Können Sie bei den Rohmaterialien auf andere Materialien ausweichen oder sie aus anderen Regionen beziehen?
Wir haben vor einem Jahr begonnen, Aluminium in die USA zu importieren. Leider hat uns jetzt die US-Administration vor allem mit den Zöllen auf Aluminium einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ansonsten kaufen wir rezyklierte Fasern, Garne oder Schäume immer regional ein. Indem wir verstärkt unsere Produktionsabfälle in der Fertigung wiederverwenden, können wir auch den Anteil an eingekauften Materialien reduzieren.
Was waren die Gründe dafür, dass bei Ihnen das europäische Geschäft 2018 vergleichsweise gut gelaufen ist?
Wir sind stolz darauf, dass wir in diesem stagnierenden Markt den Umsatz steigern konnten, die von uns belieferten Modelle waren stark nachgefragt. Aber die Business Group Europe hatte mit über acht Prozent auch eine anständige Ebit-Marge. Die Mannschaft hat operativ sehr gute Arbeit geleistet, und die in Europa gemachten Erfahrungen wollen wir in den anderen Regionen gewinnbringend nutzen.
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