Haute Voiture aus der Oxford Road

Das also soll die „Fabrik der Träume“ sein? Wer ins Foyer der Special Vehicle Operations von Jaguar und Land Rover am neuen Hauptsitz in Coventry tritt, der beginnt den Besuch mit einer Enttäuschung. Denn ein bisschen mehr als die vielleicht 20 Quadratmeter Empfangsraum hätte man schon erwartet von einer Firmentochter, bei der sich mittlerweile 1200 Mitarbeiter um die ganz besonderen Kunden und ihre ganz speziellen Wünsche kümmern. Doch dann öffnet sich wie im James-Bond-Film eine versteckte Tür in der Wand und gibt den Zugang frei zu jenem Saal, in dem die Briten das beinahe Unmögliche möglich machen: „Willkommen in der Commissioning Suite“, sagt Miles Hulford und die Gäste kommen in dem hell erleuchteten Raum aus dem Staunen kaum mehr heraus.

„Hier kann jeder sein Auto so zusammenstellen, wie er es möchte“, sagt der VIP Liason Manager und lenkt den Blick auf eine Wand, die voller Ledermuster hängt. Gegenüber haben sie fast 300 Lacktöne aufgefächert, es gibt Schubladen voller Zierkonsolen, Dutzende von Garnen für die Ledernähte und selbst die Lettern für den Schriftzug auf der Motorhaube oder die metallenen Türgriffe liefert ein Juwelier aus Birmingham in unterschiedlichen Farben und Materialien. Weil das Angebot bisweilen die Vorstellungskraft sprengt, steht in der Mitte des Raumes ein Touchscreen so groß wie ein Frühstückstisch, auf dem der Kunde sein Auto individuell zusammenstellen und dann auf dem riesigen Display an der Wand aus jedem Blickwinkel betrachten kann. „Hier werden Träume wahr“, sagt Hulford und lässt mit geübten Fingern Autos in den wildesten Farbkombinationen über den Bildschirm flimmern.

Angeboten wird diese besondere Individualisierung derzeit für die Range-Rover-Palette und für den Jaguar F-Type, sagt Hulford. Zwar sind offiziell bislang nur handverlesene Händler aus England im Boot. Doch wenn zum Beispiel deutsche Kunden nicht warten wollen, bis der Vertrieb diesen Service ab 2018 auch bei ihnen anbietet, findet sich für sie ebenfalls ein Weg, verspricht Hulford. Allerdings ist der Kalender voll und die Kapazität ist beschränkt. Viel mehr als zwei, drei Gäste am Tag wollen die Briten nicht durch die Commissioning Suite schleusen. „Denn es soll sich hier niemand gehetzt fühlen und die Zeit vergeht wie im Flug, wenn man erst einmal in die vielen Möglichkeiten eingetaucht ist“, sagt Hulford. „Vier, fünf Stunden sind da ruck zuck rum.“ Zwar könne man einen Teil der Einbauten auch am Band erledigen und sei dann in den Stückzahlen nicht beschränkt. Aber bei den echten Unikaten sehen die Briten das Limit bei etwa 250, vielleicht 300 Autos im Jahr

Schon jetzt nehmen ein drei, vier Kunden in der Woche diesen Service in Anspruch und investieren zum Teil deutlich mehr als 100.000 Euro an Zusatzausstattung in ihren ganz persönlichen Range Rover, sagt SVO-Chef John Edwards und sieht in der Veredelung einen wichtigen Teil seines Geschäfts. Das Groß der Arbeit machen bei SVO zwar die ab Werk konfigurierten Sonderserien wie der Jaguar F-Type SVR mit seinen 575 PS oder der neue Range Rover SVAutobiography Dynamic aus, der zum stärksten Modell in der aktuellen Palette aufgerüstet wurde. Damit hat SVO zu einer glaubwürdigen Antwort auf Werkstuner wie AMG oder die M GmbH gemausert. „Doch hier können wir zeigen, was wir wirklich drauf haben und uns ganz auf jeden einzelnen Kunden einlassen“, sagt Edwards.

Während sich in der Suite ein Sterne-Koch um das Wohl der Gäste sorgt, kümmern sich dahinter über rund 600 Spezialisten um ihre Autos: In einer Manufaktur, die hell und sauber ist wie ein Operationssaal, bringen sie nicht nur die Spezialfarbe auf und nutzen dafür eine nagelneue Lackierstraße mit einem besonders flexiblen Materialkonzept. Sondern sie vernähen Leder, montieren Zierkonsolen mit individueller Beschriftung, Polstern und verkleiden Bedienelemente und wer sich um Leib und Leben fürchtet, dem panzern sie seinen Land Rover hier auch. „Bis zu drei Wochen ist jedes Auto hier bei uns“, sagt Edwards, während er wie der Chefarzt bei der Visite über den blank polierte Boden der Werkstatt wandert.

Auf dem weichen Teppich in der Commissioning Suite wird derweil weiter über Lack und Leder diskutiert du ausprobiert, welche Naht zu welcher Farbe nun am besten passt. Zwar geht hier jede Entscheidung schnell in die Tausender, sagt Hulford. Doch über Geld wird in der gedämpften Atmosphäre trotzdem nicht gesprochen. Und zwar nicht nur, weil der VIP Liason Manager eigentlich nur ein freier Mitarbeiter des Händlers ist und der gesamte Papierkram am Ende in dessen Showroom erledigt wird. Sondern auch, weil es den Kunden offenbar tatsächlich egal ist: „Wer hier her kommt, der hat im Geiste schon ein kleines Vermögen für seinen Rang Rover ausgegeben und weiß, dass es teuer wird.“

Aber auch wenn sie sich nicht dafür interessieren, dass ein bestickte Kopfstützen schnell mal 700 Pfund oder eine individuelle Lackierung 23.000 Pfund kosten kann, schalten die Kunden den Verstand nicht aus. „Manche sorgen sich um den Weiderverkaufswert, wenn sie Monogramme in die Sitze sticken oder den Namen ihrer Frau auf die Konsolen prägen lassen“, hat Hulford beobachtet und hat für besonders individuelle Kunden den passenden Trost: „Die meisten personalisierten Teile lassen sich auch nachträglich noch ändern.“ Gut zu wissen, wenn man seinen Wagen verkaufen oder womöglich den Lebenspartner wechseln möchte.

Zwar muss man schon Queen Elizabeth sein, wenn man bei SVO mehr als „Color and Trimm“ bestellt, räumt Edwards ein. Denn konstruktive Änderungen wie bei dem offenen Range Rover, den die Königin als Paradewagen nutzt, lehnen die Brite zurzeit genauso ab wie Modifikationen an den Motoren. „Mehr als bei unseren vorkonfigurierten SVA und SVR-Modellen ist da für Normalsterbliche bislang leider nicht möglich“, räumt der SVO-Chef ein. Doch ansonsten gibt es quasi nichts, was sie nicht machen würden in der Oxford Road. Selbst einen Kunden, der einen pinken Range Rover verlangt, würden sie nicht wegschicken, sagt Hulford. „Denn erstens streichen lieber wir das Geld ein, als dass es irgendein Lackierer verdient. Und zweitens rufen wir ja nicht umsonst einen Designer in die Commissioning Suite: “Oft können wir dort mit einer guten Beratung das schlimmste noch verhindern.“

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