1. Herr Hudi, Sie waren früher im Top-Management von Audi, nun beraten sie selbstständig Unternehmen der Automobilindustrie. Warum der Wechsel?
Wir waren bei Audi mit vielen Innovationen Erster am Markt, wie blendfreies Matrix LED Licht, das Audi Virtual Cockpit, den MIB, automatisiertes Fahren auf Level 3 im neuen Audi A8, die ich mit meiner Mannschaft konzipiert habe und mitentwickeln durfte. Aufgrund von Veränderungen in meinem beruflichen Umfeld habe ich mir die Frage gestellt ob nicht jetzt der richtige Zeitpunkt ist, mein Wissen als selbständiger Unternehmer einzubringen. Diese Frage habe ich für mich mit einem klaren "Ja" beantwortet und es bisher keine einzige Sekunde bereut.
2. In welchen Bereichen gibt es den größten Beratungsbedarf?
Den sehe ich beim Schritt von der Car Experience hin zur End to End User Experience, also der Entwicklung von der Fahrzeugzentrierung hin zur Kundenzentrierung, bei der der Kunde im Mittelpunkt steht und sich das Fahrzeug so optimal wie möglich in das Leben und die Bedürfnisse der Kunden integriert und nicht umgekehrt. Dazu müssen jedoch Welten zusammenspielen, die sich über Jahre getrennt voneinander entwickelt haben: die Embedded Elektroniksysteme im Fahrzeug und die Welt der Cloud- und Backendsysteme.
Die Autoindustrie braucht hier eine massive Weiterentwicklung der über viele Jahrzehnte gewachsenen E/E-Architektur auf Basis Mircocontroller (Anmerkung der Redaktion: Ein-Chip-Computersysteme) hin zu einer End-to-End Computing-Plattform im Fahrzeug, einer Art Großhirn. Die Zeit dafür ist absolut reif. Die neuen Technologien und Kernkompetenzen, die für diesen Wandel erforderlich sind, sind in den Konzernen nicht ausreichend vorhanden, weil sie weitestgehend aus der Elektronik-, Software-, Halbleiter- und Cloudindustrie stammen.
3. Elon Musk und Mark Zuckerberg streiten sich über die Gefahren von Künstlicher Intelligenz. Wie sehen Sie das – eher Risiko oder Heilsbringer?
Künstliche Intelligenz wird unser gesamtes Leben verändern. Ich hoffe und wünsche mir überall nur zum Positiven. Doch wenn eine Technologie in der Lage ist riesige Datenmengen in immer schnellerer Zeit zu verarbeiten und damit dem menschlichen Gehirn bezüglich der Leistungsfähigkeit sehr nahe kommt, besteht potenziell die Möglichkeit diese Fähigkeiten auch zu missbrauchen. Die größte Revolution und den größten Schritt bzgl. Verbesserung der Bedienung im Automobil erwarte ich bei den digitalen Sprachassistenten. Eine vollkommen natürlichsprachliche Bedienung während der Fahrt, die sich an Dialekten, Nebengesprächen oder Störgeräuschen nicht mehr stört, wird in den nächsten Jahren Realität werden.
4. Wird die KI-Kompetenz in der Autoindustrie der Schlüssel zum Erfolg werden?
Sie wird ein Schlüssel zum Erfolg sein. Auch ein wichtiger, aber nicht der Alleinige. Alle Geschäftsbereiche und alle Hierarchieebenen müssen sich ins digitale Zeitalter transformieren - ohne aber die klassischen Tugenden zu verlieren. Ein paar neue Geschäftseinheiten, scharenweise "Digital-Pilgerreisen" ins Silicon Valley, nach Berlin, Tel Aviv oder Shanghai, Akquisitionen von Digital Startups oder Beteiligungen daran, sind erste gut gemeinte Ansätze, werden es allein aber leider nicht richten.
Das geht nur mit dem Sprechen "der richtigen Sprache". Die Automobilindustrie ist eine vom Maschinenbau geprägte Industrie. Dieses Prinzip war sehr lange Zeit sehr erfolgreich. Nicht mehr im Zeitalter der Digitalisierung. Diejenigen die "die neue Sprache" sprechen, also die Elektroniker, Halbleiter-, Software, Cloud- und IT-Experten sind bei den Unternehmen in der absoluten Minderzahl. Betrachtet man ein Automobilunternehmen mit 100.000 Mitarbeitern, so findet man dort heute typischerweise ca. 3000 bis 5000 Mitarbeiter mit Background für "die neue Sprache". Mit gerade mal drei bis fünf Prozent Wissen und Verständnis für die digitale Welt versucht man nun diese zu erobern. Der Rest verändert sich zu langsam. Hier muss man ansetzen.
5. Eine wesentliche Voraussetzung für den künftigen Erfolg sind Halbleiter. Müssen sich die Autohersteller hier unabhängiger von Nvidia und Co. machen?
Halbleiter-Technologie ist die Quelle nahezu aller elektronischen Innovationen. Wer den Halbeiter nicht versteht, versteht auch die Basis für Digitalisierung nicht. Die Innovationszyklen der Automobilindustrie unterscheiden sich deutlich vom Rhythmus der Halbleiterbranche. Während hier zwischen zwei Autogenerationen in der Regel sieben Jahre liegen, beträgt der Produktzyklus in der Halbleiterindustrie gerade einmal 15 bis 18 Monate. Schon heute arbeiten je nach Klasse zwischen 3000 und 6000 Halbleiter pro Fahrzeug in unterschiedlichen Größe in den diversen elektronischen Steuergeräte. Im Automobil gibt es heute nahezu keine Innovation mehr, die nicht im Zusammenhang mit Elektronik und Software steht.
Die Basis aber dafür wiederum bildet die Halbleitertechnologie. Nehmen Sie das autonome Fahren. Die permanente Überwachung des Umfeldes, die Verarbeitung dieser Daten sowie alle blitzschnell zu treffenden Entscheidungen, erfordern eine neue Ära von Supercomputern im Fahrzeug. Mehrere sogenannte SOC's (System on Chip) sind dabei über Gigabit-Ethernet vernetzt. Dies erklärt auch warum die großen Firmen der Chipindustrie zu entscheidenden Playern bei der Entwicklung des automatisierten Fahrens geworden sind.
Um heute in den wichtigsten Innovationsfeldern vorne mitzuspielen, ist es unabdingbar, dass der Hersteller mit den führenden internationalen Technologie- und Halbleiterherstellern sehr enge Kontakte pflegt. Dass die Autohersteller selbst zu Halbleiterherstellern werden sehe ich nicht. Es sind ausreichend potente Player weltweit vorhanden, so dass auch ein gesunder Wettbewerb gegeben ist.
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