Fünf Baustellen des Daimler-Konzerns

Michael Gerster

Eigentlich geht es dem Daimler-Konzern blendend, wie die Rekordzahlen für das vergangene Geschäftsjahr belegen. Doch zahlreiche Baustellen sorgen dafür, dass die Aktionäre auf der Hauptversammlung am Donnerstag in Berlin kritische Fragen stellen werden.

Donnerstag, 5. April 2018, 13.26 Uhr

164 Milliarden Euro Umsatz, ein operativer Gewinn von fast 16 Milliarden Euro und eine Dividende von 3,65 Euro je Aktie. Es waren alles Rekordzahlen, die Konzernchef Dieter Zetsche bei der Bilanz-Pressekonferenz Anfang Februar verkündete. Dennoch bleiben die Aktionäre zurückhaltend, der Kurs hat noch erheblich Luft nach oben. Das liegt auch daran, dass das Unternehmen derzeit viele offene Baustellen hat, aus denen zum Teil beträchtliche finanzielle Risiken resultieren könnten.

Während die in Europa verkauften Wagen von Mercedes-Benz Cars 2015 und 2016 im Schnitt auf einen Ausstoß von 123 Gramm des als Klimagas eingestuften Kohlendioxids (CO2) pro gefahrenen Kilometer kamen, stieg der Wert im Jahr 2017 leicht auf 125 Gramm an. Dies geht aus dem am Dienstag veröffentlichten Geschäftsbericht hervor. Als Grund wird dort eine „Absatzverschiebung

Während die in Europa verkauften Wagen von Mercedes-Benz Cars 2015 und 2016 im Schnitt auf einen Ausstoß von 123 Gramm des als Klimagas eingestuften Kohlendioxids (CO2) pro gefahrenen Kilometer kamen, stieg der Wert im Jahr 2017 leicht auf 125 Gramm an. Dies geht aus dem am Dienstag veröffentlichten Geschäftsbericht hervor. Als Grund wird dort eine „Absatzverschiebung in Richtung hochwertiger ausgestatteter Fahrzeuge“ angegeben.

Die Diesel-Krise

Wer bei Daimler nach den Dieselzahlen fragt, bekommt meist eine überraschende Antwort. Man habe 2017 in Summe mehr Diesel verkauft als im Jahr zuvor, sagt Konzernchef Dieter Zetsche. Doch auch wenn von E-Klasse oder GLC nach wie vor ein großer Anteil mit Selbstzünder geordert wird, so geht der prozentuale Anteil auch bei Mercedes langsam zurück. Das macht sich in der CO2-Bilanz bemerkbar. Während die in Europa verkauften Autos der Marken Mercedes und Smart 2015 und 2016 im Schnitt 123 Gramm des Klimagases pro Kilometer ausstießen, stieg der Wert 2017 auf 125 Gramm. Daimler macht dafür im Geschäftsbericht eine Verschiebung hin zu "höherwertig ausgestatteten Fahrzeugen" verantwortlich. Tatsächlich steckt dahinter aber der seit Jahren anhaltende Trend zu den schwereren SUV, der nun angesichts rückläufiger Dieselanteile durchschlägt. Dies könnte dafür sorgen, dass Daimler den EU-Grenzwert von 95 g/km bis 2021 nicht schafft und dann Strafen in Millionenhöhe bezahlen muss. Ein Klacks allerdings gegen die Gefahren, die der Diesel-Skandal noch immer birgt. In den USA sind zahlreiche Klagen von Kunden wegen irreführender Werbung anhängig, zudem ermitteln die Behörden wegen möglicherweise manipulierter Abgaswerte. Auch in Deutschland laufen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart noch wegen des anfänglichen Verdachts auf Betrug und irreführende Werbung im Zusammenhang mit auffälligem Abgasverhalten vieler Fahrzeuge. "Der Strom aus Schadenersatzforderungen und Strafzahlungen reißt nicht ab", beklagt etwa Aktionärsvertreter Ingo Speich von Union Investment gegenüber der Automobilwoche. Sollten sich die Vorwürfe belegen lassen, könnten die Forderungen wie im Fall Volkswagen schnell in die Milliarden gehen.

Neue Konzernstruktur:

Der Daimler-Konzern ist mitunter ein schwer durchschaubares Geflecht an Geschäftsfeldern. Eine klare Dreiteilung des Unternehmens in die Bereiche Financial Services, Trucks and Buses sowie Pkw und Vans soll nun die "divisionale Struktur" stärken, wie es offiziell heißt. "Mit dem Projekt schaffen wir die Voraussetzung für eine größere Kunden- und Marktnähe und damit mehr Wachstumschancen", so Finanzchef Bodo Uebber. Zudem sollen mögliche Partner von außen so leichter Zugang zum Unternehmen bekommen. Es geht aber sicher auch darum, frisches Geld einzusammeln und Potenziale zur Wertsteigerung des Konzerns zu heben, der auf dem Aktienmarkt nach Ansicht von Experten seit Jahren unter seinen Möglichkeiten bleibt. So wird vor allem über den Börsengang der Lkw-Sparte spekuliert, den so mancher Marktbeobachter bereits zum Ende des Jahrzehnts erwartet. Der Daimler-Konzern würde damit einem aktuellen Trend folgen. So spielt auch der VW-Konzern mit dem Gedanken, die Lkw-Sparte an die Börse zu bringen.Offiziell heißt es dagegen, Verkäufe von Teilen des Konzerns seien nicht geplant. Unklar ist auch noch, wer die geplante Holding führen könnte. Der Vertrag von Daimler-Chef Dieter Zetsche läuft Ende 2019 aus. Eine weitere Verlängerung scheint eher unwahrscheinlich. Zetsche betonte auf der Bilanz-Pressekonferenz Anfang Februar, dass ein künftiger Holding-Chef durchaus gleichzeitig die Pkw-Sparte führen könne – vergleichbar zum jetzigen Konstrukt. Noch läuft eine Machbarkeitsstudie, die genaue Auswirkungen auf die einzelnen Märkte und die Steuerlast des neuen Gebildes untersucht. Der Plan könnte dann frühestens bei der nächsten Hauptversammlung im Jahr 2019 den Aktionären zur Abstimmung vorgelegt werden. Diese unterstützen die Pläne mehrheitlich, warnen aber wie Ingo Speich mit Blick auf die vom Konzern angegebenen Kosten in "niedriger dreistelliger Millionenhöhe": "Die Daimler-Holding darf kein teures Beförderungskonstrukt für einzelne Manager werden, sondern muss endlich den Aktienkurs beflügeln."

Der Einstieg Li Shufus

Bei der Hauptversammlung in Berlin wird der größte Anteilseigner von Daimler nicht persönlich anwesend sein. Das dürfte die Spekulationen weiter anheizen, die sich um die Frage drehen: Was will Li Shufu? Der Chinese, dem neben dem chinesischen Autobauer Geely auch die schwedische Marke Volvo gehört, hat sich mal eben zehn Prozent des aktuell führenden deutschen Premium-Autobauers gesichert. Von seinen Plänen ist nicht viel bekannt. Zu Beginn des Einstiegs war diffus die Rede davon, man müsse der Marktmacht amerikanischer Technologieriesen etwas entgegensetzen. Dies gehe am besten gemeinsam. Seither hält sich Li im Hintergrund, einen Sitz im Aufsichtsrat beansprucht er derzeit noch nicht. In der Chefetage des Daimler-Konzerns hat das Engagements des Selfmade-Milliardäres sichtlich Unbehagen ausgelöst. Schließlich hat Daimler mit BAIC in China bereits einen starken Partner, der zudem noch staatlich kontrolliert wird. Also versuchte Daimler-Chef Dieter Zetsche jeden Zweifel im Ansatz zu zerstreuen, der Fokus in China könne sich hin zu Geely verschieben. Eine Kooperation sei höchstens dann denkbar, sagte Zetsche am Rande des Genfer Autosalons, wenn der bisherige Partner BAIC damit einverstanden sei. Noch komplizierter wird es, weil Daimler mit BYD bei Elektroautos zusammenarbeitet. Gerade wurde die Weiterentwicklung des allerdings wenig erfolgreichen E-Autos Denza vorgestellt. Damit muss Daimler in China zukünftig die Interessen von gleich drei selbstbewussten Partnern in Einklang bringen.Dies löst auch Sorgen bei den Aktionären aus: "In jedem Fall ist beim Know-how-Transfer nach China erhöhte Vorsicht geboten, denn Geely könnte auch ein Wolf im Schafspelz sein", sagt Speich.

Gemeinsame Mobilitätsmarke mit BMW

Lange wurde spekuliert, jetzt haben Daimler und BMW auch offiziell bekanntgegeben, dass sie ihre Mobilitätsdienste rund um die Carsharing-Marken Car2go und DriveNow zu einem Gemeinschaftsunternehmen fusionieren wollen. Allein das stationsunabhängige Vermietgeschäft hat rund vier Millionen Kunden weltweit, viele weitere Millionen kommen über den Fahrdienstvermittler Mytaxi, den Parkdienst ParkNow oder die App Moovel hinzu, über die verschiedene Mobilitätsangebote vernetzt sind. Diese Dienste sollen künftig auf einer gemeinsamen Plattform arbeiten. Das Ziel beider Autobauer ist es, in Zukunft zu den führenden Mobilitätsdienstleistern zu gehören. Tatsächlich zählt im Zeitalter der Digitalplattformen vor allem Größe. Mit Google bei Suchmaschinen oder Amazon im Handel bleibt am Ende meist nur ein einziger Anbieter übrig. Ob die Marktmacht der neuen Mobilitätsmarke aber bereits ausreicht, um Mitfahrdiensten wie Uber Paroli zu bieten, darf bezweifelt werden.Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer beispielsweise hält einen Zusammenschluss mit dem chinesischen Anbieter Cao Cao für möglich. Dieser gehört zum Geely-Konzern des größten Daimler-Aktionärs Li Shufu und hat in China bereits zehn Millionen Kunden. Willi Diez vom Institut für Automobilwirtschaft sieht dagegen in einem Börsengang des Gemeinschaftsunternehmens den nächsten logischen Schritt. Die Zusammenlegung sei indirekt aber auch ein Beleg dafür, dass weder Car2go noch DriveNow richtig profitabel gewesen seien. "Das Geschäftsmodell bleibt schwierig, weil ich die Gebühren nicht beliebig erhöhen kann", so Diez. Für viele Nutzer seien die Angebote ein Ersatz für das eigene Auto, bei zu hohen Kosten würden sie dann lieber auf öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad ausweichen.

Kartellverfahren

Noch offen sind auch die Folgen zweier Kartellverfahren. Wegen Preisabsprachen mit andern Herstellern wie MAN, Renault oder Volvo hat Daimler bereits eine Milliarde Euro Strafe an die EU bezahlt. Nun kommen Hunderte zivilrechtlicher Klagen von Spediteuren hinzu, die Geld aus dieser Zeit zurückfordern. "Unsere Sorgen hinsichtlich signifikanter Klage- und Reputationsrisiken haben sich im Verlauf des vergangenen Jahres leider nicht gelegt. Anstatt dass Altlasten beseitigt wurden, ist Daimler in eine immer größer werdende Anzahl von Kontroversen verwickelt", beklagt Speich mit Blick auf Dieselgate und Kartellbildung. Zwar versucht sich Daimler in vielen Fällen gütlich mit den Geschädigten zu einigen. Doch der finanzielle Schaden im Nachgang gerichtlicher Entscheidungen könnte erheblich ausfallen. Dies gilt auch für die Absprachen zwischen den Pkw-Sparten von Mercedes, BMW, VW, Audi und Porsche. Die Autohersteller stehen unter dem Verdacht, jahrelang geheime Vereinbarungen zu Technik und Kosten ihrer Fahrzeuge sowie Märkte und Strategien getroffen zu haben. Die EU-Kommission überprüft die Vorwürfe derzeit, hat aber noch kein Verfahren eröffnet. Eine Beurteilung des Falls kann Jahre dauern. Weil Daimler auf das mögliche Kartell durch Selbstanzeige hingewiesen hat, könnte das Unternehmen hier straffrei ausgehen.

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