In der Kohleindustrie arbeiten derzeit noch etwa 20.000 Menschen in Deutschland. Mehr als die Hälfte dieser Beschäftigten sind bereits über 50 Jahre alt. Als Ausgleich für den beschlossenen Ausstieg aus dieser Form der Energiegewinnung bis zum Jahr 2038 hat die Bundesregierung betroffenen Bundesländern und Regionen eine finanzielle Unterstützung in Höhe von 40 Milliarden Euro zugesagt. Damit soll der Strukturwandel erleichtert werden.
20.000 Menschen beschäftigt auch der mittelständische Zulieferer Mann + Hummel in Ludwigsburg. 26.000 arbeiten bei Brose in Coburg. 30.000 sind es bei Benteler in Paderborn. 80.000 bei Mahle in Stuttgart. Bosch beschäftigt weltweit über 400.000 Mitarbeiter, Continental 244.000, ZF rund 150.000 und Schaeffler 92.000. Dazu kommen die Autohersteller wie der VW-Konzern, Daimler, BMW, Ford und Opel, die zusammengenommen weit über einer Million Menschen Arbeit geben. Jeweils ungefähr die Hälfte davon ist in Deutschland angesiedelt.
Wie bei der Kohle ist auch das Geschäftsmodell von vielen Unternehmen der Autoindustrie unter Druck geraten. Dies gilt vor allem für kleinere Zulieferer, die stark vom Verbrennungsmotor abhängig sind. Die CO2-Vorgaben und der notwendige Umstieg auf die Elektromobilität könnten nach jüngsten Prognosen der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität bis 2030 bis zu 410.000 Jobs in der Branche kosten. Denn ein Elektroauto braucht schlichtweg weniger Komponenten als ein Benziner oder Diesel.
Nimmt man die Zahl der gefährdeten Arbeitsplätze, dann müsste die Bundesregierung der Autoindustrie für den Strukturwandel also ein Vielfaches der Unterstützung für die Kohleindustrie zukommen lassen. Ganz so einfach ist die Rechnung aber nicht. Zum einen geht es nicht um den endgültigen Ausstieg aus einer bestimmten Technologie, sondern einen Wandel über sicher mehr als zwei Jahrzehnte. Zum andern stehen die Unternehmen der Autoindustrie finanziell sehr gut da. Sie haben in den vergangenen Jahren Rekordgewinne eingefahren und können entsprechend in die Zukunft investieren.
Was die Lage aber dennoch prekär macht, ist die Summe der technologischen Herausforderungen. Neben der rein batterieelektrischen Elektromobilität sollte weiter in die Brennstoffzelle investiert werden. Hinzu kommt das automatisierte Fahren, das gigantische Vorleistungen erfordert. Die Bedeutung der Software im Auto wächst rasant, zudem müssen neue Mobilitätskonzepte von Ride-Sharing bis hin zu Park-Apps erprobt werden. Strengere Prüfzyklen wie der WLTP verursachen zusätzliche Kosten. Während große Unternehmen wie VW, Daimler oder Bosch auf alle Pferde setzen können, sieht dies vor allem bei den kleineren Zulieferern ganz anders aus. Sie haben oft nicht die Management-Kapazitäten für neue Strategien, zudem bekommen sie von den Banken deutlich schwerer Kredite.
Genau hier sollte die Hilfe der Bundesregierung auch ansetzen. Es geht vor allem um den Erhalt der kleinen und mittleren Unternehmen, bei denen immer noch die Mehrheit der Mitarbeiter in der Branche beschäftigt ist. Der Vorschlag der IG Metall zur Gründung einer Transformationsgesellschaft, die Unternehmen in der Krise bei der Neuaufstellung ihrer Geschäftsmodelle unterstützt, ist sicher eine faire Forderung. Dies gilt auch für den Dachfonds, der Zulieferern mit guten Erfolgsaussichten den Zugang zu Eigen- und Fremdkapital erleichtern soll. Die Arbeitgeber wollen wiederum den Zugang zur Kurzarbeit erleichtern und bei den Sozialabgaben entlastet werden. Außerdem müssen Mitarbeiter möglichst schnell für neue Aufgaben im Bereich der E-Mobilität oder Software qualifiziert werden.
Diese Maßnahmen fordern vergleichsweise wenig Geld. VDA-Vorstandsmitglied und Südwestmetall-Chef Stefan Wolf bezifferte den Bedarf für den Strukturwandel der Zulieferer- und Autoindustrie auf zehn bis 20 Milliarden Euro. Das schwache Jahr 2019 der Autoindustrie hat laut Ifo-Berechnungen ausgereicht, um das Wirtschaftswachstum von Deutschland um 0,75 Prozentpunkte zu reduzieren. Bereits diese Delle hat zum Abbau zehntausender Stellen bei Herstellern und Zulieferern geführt. Die vorgeschlagenen Instrumente sollten also schnell umgesetzt werden. Sollte der Wandel in der Autoindustrie schiefgehen, könnte es für das Land richtig teuer werden.
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