Herr Leibfritz, welche Erfahrungen hat die Allianz bisher mit der Versicherung von autonom fahrenden Fahrzeugen gemacht?
Wir haben schon heute Produkte, bei denen wir in über 20 Ländern mit EasyMile auch vollständig automatisierte Flotten versichern. Und bei den von uns versicherten Flotten gab es noch keine Unfälle. Im Grundsatz erwarten wir, dass die Bedeutung von teilautonomen und autonomen Fahrzeugen deutlich zunehmen wird. Wir rechnen bis zum Jahr 2030 mit einem starken Anstieg auf über 30 Millionen Neuwagen weltweit mit der Funktionalität Level 3 bis 5, sprich Fahrzeuge, die hoch- bzw. vollautomatisiert fahren. Deshalb arbeiten wir unter anderem mit der TU München und dem Allianz Zentrum für Technik an Bewertungskriterien, wie sich Advanced Driver Assistance Systeme in entsprechenden Risikoprofilen und Versicherungsprämien niederschlagen werden. Wir sehen hier erhebliches Potenzial bei Produktanpassungen und Prämienentwicklungen. Die teilweise tödlichen Unfälle bei Tesla, Waymo oder Uber lassen das fahrerlose Auto allerdings noch meilenweit entfernt von der Serienreife erscheinen. Welche Priorität hat autonomes Fahren vor diesem Hintergrund für die Allianz?Opferschutz ist für uns als Allianz zentrales Thema und hat höchste Priorität. Wir glauben, dass die Gefährdungshaftung eine gute rechtliche Basis bietet und die Garantie, dass Unfallgeschädigten unmittelbar geholfen wird – unabhängig vom Verursacher des Unfalls.Für uns hat es eine hohe Priorität, gemeinsam mit Mobilitätsanbietern und Autoherstellern die technologische Entwicklung zu gestalten. Wir haben Experten zusammengezogen, um alle Ausprägungen von der Produktgestaltung bis hin zu regulatorischen Fragen zu lösen. Derzeit arbeiten wir an einer Studie über mehrere Länder, um die Risikowahrnehmung aus Endkundensicht zu verstehen. Die Ergebnisse werden wir voraussichtlich im zweiten Quartal veröffentlichen.
Wie werden sich denn die Versicherungsprämien beim autonomen Fahren entwickeln?Wir gehen davon aus, dass einerseits die Schadenhäufigkeit auf lange Sicht sinken, andererseits die durchschnittliche Schadenhöhe steigen wird. Das heißt, wir sehen ein Szenario, das Unfälle vermeidet, aber durch die Verbauung komplexer Systeme – etwa Sensoren in der Windschutzscheibe – die Reparaturkosten erhöht. Außerdem rechnen wir mit neuen Risiken, etwa durch Cyberkriminalität, und bieten auch dafür schon jetzt Produkte an.Und die Versicherungssummen – werden sie steigen oder sinken?Das kommt auf die Region an, denn es gibt geografische Unterschiede. In der EU haben wir schon heute enorm hohe, zum Teil unbegrenzte Deckungssummen in der Haftpflicht. Da erwarten wir keine kurzfristigen Veränderungen. Anders sieht es in den USA aus. Dort liegen die Versicherungssummen in der Haftpflicht teilweise deutlich unter dem europäischen Niveau und werden in Zukunft vermutlich steigen. Thema Datenschutz: Pay-as-you-drive-Policen zum Beispiel generieren ja heute schon jede Menge Daten über den Versicherten. Wenn das autonome Fahren serienreif ist, wird der Fahrer dann noch „gläserner“?Grundsätzlich ist für uns sowohl der Schutz personenbezogener Daten wichtig, aber auch der Schutz der IT-Systeme, in denen Daten verarbeitet werden. Deshalb erfolgt die gesamte Produktgestaltung entlang höchster Standards. Die individuelle Zustimmung des Versicherten spielt dabei die wichtigste Rolle. Mit dem zunehmend automatisierten Fahren erleben wir eine Abkehr vom Individuum hin zu einer Risikoeinschätzung des Fahrzeugs selbst. Damit werden Fahrzeugdaten wichtig für die Regulierung von Schäden. Auch da gilt: Die Personendaten unterliegen höchster Datensicherheit und höchstem Datenschutz, beides wollen und werden wir gewährleisten. Zudem gewinnen Daten über Verkehrssysteme und andere Verkehrsteilnehmer an Bedeutung für die Reibungslosigkeit des autonomen Systems.Schon 2018 forderte die Allianz einen unabhängigen Treuhänder für die Daten im vernetzten Auto, und jüngst haben sich auch die Prüforganisationen für ein sogenanntes TrustCenter ausgesprochen. Steigen damit die Chancen, sich in diesem Punkt gegen die Autoindustrie durchzusetzen?
Grundsätzlich arbeiten wir mit der Autoindustrie zusammen und haben bereits vielfältige erfolgreiche Modelle der Kooperation beim Datenaustausch. Den Beitrag der Dekra sehe ich genauso wie unseren Beitrag als Allianz, dass wir sicherstellen, dass dem Geschädigten sofort geholfen wird und danach mit allen Beteiligten die Ursachenklärung erfolgt. Die Prüforganisationen beziehen sich im Übrigen auf Daten für hochautomatisierte Fahrzeuge im Falle eines Unfalls, nicht auf eine generelle Überwachung. Hier kann ein unabhängiger Treuhänder eine gute Option sein. Und schon 2017 wurde vom Gesetzgeber festgelegt, dass hochautomatisierte Fahrzeuge den Status ihres Fahrmodus, ob manuell oder automatisiert, speichern müssen. In diesem Kontext muss man diese Diskussion bewerten.Angenommen, autonomes Fahren setzt sich flächendeckend durch, dann könnten ja im Idealfall die Unfallzahlen gegen Null tendieren. Würde das nicht das Geschäftsmodell der Kfz-Versicherer grundlegend gefährden?
Grundsätzlich trägt die Allianz mit ihrer Unfallforschung aktiv zur Verkehrssicherheit bei – bis hin zur „Vision Zero“, also der kompletten Vermeidung von Verkehrstoten. Wir werden aber noch lange einen „gemischten“ Betrieb aus autonomem und manuellem Fahren haben. Zudem entstehen durch die Veränderungen in der Mobilität neue Geschäftsmodelle – durch Risiken im Cyberumfeld, bei Produkthaftungen, durch Mobilitätsunterbrechungen oder auch durch neue Services für Individuen, die sich als Mischformen aus der Nutzung vom eigenen Auto, ÖPNV, Mietwagen und Sharing-Modellen etablieren.Es gibt Vorschläge, dass beim autonomen Fahren der Fahrzeughalter auch dann haftet, wenn er keinen Fehler macht. Lässt sich das Versicherungsnehmern überhaupt vermitteln?Für uns ist das Wichtigste der Opferschutz, und die Gefährdungshaftung bietet hier eine starke rechtliche Basis. Sie gewährleistet, dass dem Geschädigten geholfen wird, unabhängig davon, wie der Unfall zustande kam. Entsprechend ist es Aufgabe der Versicherer, die Unfallursache zu ermitteln, nachdem den Opfern geholfen wurde und sicherzustellen, dass die unterschiedlichen Interessen gewahrt werden. Primär ist die Garantie einer schnellen Hilfe für die Geschädigten, erst danach folgt die Ursachenforschung.Robo-Taxis verursachen zwar im Idealfall keine Unfälle mehr, können aber durch Taxikunden beschädigt werden. Wie beurteilt die Allianz dieses Risiko?Für das Vandalismus-Risiko, das ja auch beim Carsharing und im ÖPNV besteht, gibt es in der Praxis unterschiedliche Herangehensweisen. Grundsätzlich sind alle Angebote auf ihre Kundenakzeptanz hin zu prüfen. Auch im autonomen Auto können kritische Situationen für Passagiere entstehen. Deshalb arbeiten wir an einem Passenger Emergency Call, analog zum eCall in Neuwagen, um auch im autonomen Auto Passagieren schnell Hilfe anbieten zu können.Lesen Sie auch:
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