Wie gut oder schlecht zeigt sich die Auto- und Zulieferindustrie auf die Situation des Brexit vorbereitet?
Es herrscht, wie in allen wirtschaftlichen Bereichen mit einem großen Augenmerk auf Import und Export, weiterhin große Unsicherheit – was allerdings wenig mit schlechter Vorbereitung zu tun hat. Auch wenn der Brexit schon jahrelang unheilvoll über dem Binnenmarkt schwebte, kam die Einigung und die Art der Umsetzung Ende 2020 doch sehr überraschend. Außerdem waren die endgültigen Inhalte des Brexit-Deals aus politischen Gründen im Vorfeld nicht bekannt und damit genauere Auswirkungen einfach nicht absehbar. Seit 2016 haben sicherlich auch innerhalb der Autoindustrie und bei ihren Zulieferern Überlegungen stattgefunden, wie sie den Einfluss des EU-Austritts auf ihr Geschäft minimieren können. Allgemein wendet sich der Fokus deutlich von der Produktion in Großbritannien ab – der europäische Binnenmarkt erweist sich als deutlich attraktiver.
Inwiefern unterscheiden sich die Herausforderungen dieser Branche von denen anderer?
Was die Automobilbranche vor allem abhebt, ist die totale Zersplitterung der Produktion. Verschiedenste Kfz-Teile werden an den unterschiedlichsten Orten produziert und anschließend verschickt, um sie an anderer Stelle weiterzuverarbeiten. Dieser Schritt wickelt sich bis zum fertigen Fahrzeug mehrere Male ab – eine erfolgreiche Produktion im Automobilbereich erweist sich also wie keine andere abhängig von einem reibungslosen Import und Export. Das heißt auch, selbst beim kleinsten Baustein kann eine Verzögerung – sagen wir durch eine Zollkontrolle an der neuen EU-Außengrenze – die Fertigstellung des Endprodukts ins Stocken bringen. Als größte Herausforderung gilt wohl, diese instabile Lieferkette auch in der unsicheren Anfangszeit aufrechtzuerhalten.
Was raten Sie den Vertretern der Automobilbranche, um Kosten und Verzögerungen zu vermeiden?
Das Gleiche, was ich jeder Branche raten kann: Abhängigkeit vermeiden und Alternativen suchen. Produzenten aus der EU sollten sich nicht nur auf Export in das Vereinigte Königreich spezialisieren und britische Unternehmen können nicht ausschließlich auf Kunden aus der Europäischen Union bauen. Zudem sollten Betriebe mit Sitz in Großbritannien über eine Expansion oder Migration in die EU nachdenken, denn durch den Brexit wird die Insel auf kurz oder lang ihre wirtschaftliche Stellung einbüßen müssen. Ansonsten hilft es zudem, sich immer genauestens zu informieren, um Fehler bei Richtlinien und somit noch längere Grenzkontrollen zu vermeiden.
Mit welchen zusätzlichen Kosten für die Industrie durch den Brexit rechnen Sie?
Eine aussagekräftige, rückschauende Bilanz ist sicherlich frühestens nach Ablauf des ersten Quartals möglich.
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