Herr Kuhnert, die Zeiten für die Autoindustrie waren schon mal besser. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation, vor allem für die deutschen Hersteller?
Es sind herausfordernde Zeiten, nicht nur für die Hersteller, auch für die Zulieferer-Industrie. Es liegt im Wesentlichen daran, dass die Märkte nicht mehr ganz so von einer Hochkonjunktur geprägt sind wie noch vor 18 Monaten. Insbesondere in China verzeichnen wir einen signifikanten Rückgang des Fahrzeugabsatzes. Und das spürt die ganze Industrie. Das bedeutet: Rückgänge auf der Umsatzseite. Gleichzeitig schlagen sich erhebliche Investitionen in die Zukunft auf der Kostenseite auf.
Mit BMW und Daimler, und auch VW und Ford gibt es ja schon die ersten Mega-Kooperationen, um die Ausgaben möglichst gering zu halten und sich viele Dinge zu teilen.
Ja, es wird derzeit alles auf den Prüfstand gestellt und geprüft, ob es nicht sinnvoller ist, über Kooperationen Investitionen abzudecken. Es wird sonst schlicht zu aufwändig und zu ressourcenintensiv für die Hersteller. Zudem eröffnen Kooperationen mit den Tech-Unternehmen auch Kosteneffizienz bei der Datenverarbeitung. Dieser Trend wird sich fortsetzen.
Haben die Unternehmen sich nicht zeitig genug auf diese Doppelbelastung schwache Konjunktur und Transformation eingestellt?
Das Thema Handelskrieg zwischen den USA und China sowie die Eintrübung der Konjunktur war so für uns und für die Industrie so nicht vorhersehbar. Vielleicht hätte man an der einen oder anderen Stelle schon früher über Kooperationen nachdenken müssen. Dies gilt insbesondere für Investitionsfelder wo die Marktdurchdringung noch in zeitlicher Ferne liegt und die Möglichkeit der Differenzierung im Wettbewerb begrenzt ist.
Kommen die Zusammenschlüsse zwischen Daimler und BMW oder VW und Ford, die es seit wenigen Monaten im Kontext autonomes Fahren gibt, zu spät?
Ob sie zu spät kommen, ist fraglich. Aber ja, sie kommen spät. Vielleicht hätten die Konzerne gut daran getan, schon von Beginn an Technologien wie das autonome Fahren zusammen zu entwickeln – auch als entsprechende Plattformlösung. Die Lösungen zum autonomen Fahren sind enorm und nur bedingt für Differenzierung geeignet.
Haben die Hersteller den Wandel, die Transformation, die neuen digitalen Themen wie Mobilität, Elektrifizierung, autonomes Fahren unterschätzt?
Ich würde sagen, unterschätzt haben sie, wie stark diese Themen die Unternehmen selbst in Anspruch nehmen. Denn Elektrofahrzeuge brauchen doch länger, bis sie auf die Straße kommen, als man es anfangs angenommen hat. Die Herausforderungen sind dabei vielfältig: Porsche musste erst kürzlich die Kapazitäten für die Fertigung des Elektro-Sportlers Taycan aufgrund höhere Nachfrage verdoppeln und somit auch mehr Mitarbeiter als geplant unter Zeitdruck umschulen. Andererseits gibt es in der Industrie auch weniger erfreuliche Gründe für Verzögerungen, welche bspw. auf komplexe Software oder Herausforderungen bei Batteriesystemen zurückzuführen sind. Beim autonomen Fahren ist es genauso. Wir haben allerdings immer gesagt, zwischen 2025 und 2030 kommen diese Technologien in den Markt und werden sich dort etablieren – und nicht früher. Dabei haben wir jetzt gerade mal 2019. Vielleicht hat man in der Öffentlichkeit auch den falschen Eindruck erweckt, das die Technologien sofort verfügbar sind. In der Industrie hat man das so nicht erwartet.
Woran liegt es, dass Erwartung und Realität da weit voneinander entfernt sind?
Beim Autonomen Fahren wussten wir alle, dass es länger dauern wird. Die breite Öffentlichkeit hingegen hat erwartet, dass die Technologien unmittelbar zur Verfügung stehen– und in den Medien wurde es ja auch oft genug so mitgeteilt. Die Unternehmen und Medien haben da vielleicht ungewollt zu hohe Erwartungen geschürt.
Welche Rolle spielt die Politik bei der Umsetzung des Transformationsprozesses?
Wenn man die Verkehrswende einleiten möchte, dann braucht man auch eine geschickte und kluge Industriepolitik. Das Thema Verkehrs- und Energiepolitik – wie soll die Mobilität der Zukunft in Städten künftig aussehen – das ist bislang nur in Teilen von der Politik durchdacht. Hier sehen wir Handlungsbedarf für die Politik, Kommunen, Industrie, um letztlich dann auch gemeinsam Transformationspfade einzuschlagen. Die Kernfrage, die sich alle stellen sollten, ist: Wo wollen wir mit welcher Technologie die Mobilität der Zukunft zur Verfügung stellen?
Fordern Sie von der Politik ein Regelwerk oder auch finanzielle Unterstützung?
Nur allein mit Regulierung und Druck wird es sicher nicht gehen. Wir haben jetzt die Regulierung für 2030 in Europa, das ist ein erheblicher Druck für die Industrie. Auf Basis der Hersteller-individuellen Flottenzielwerte in 2021 müssen dann die Flottenverbräuche bis 2030 um weitere 37,5 Prozent sinken. Für Daimler, BMW und Co. bedeutet das einen Durschnittsverbrauch von unter 3l/100km. Wir müssen aber auch Anreize für die Konsumenten schaffen, dass sie den Umstieg auf diese Technologien annehmen.
Wie könnten solche Anreize aussehen?
Kaufanreize für Elektrofahrzeuge oder alternative Antriebe sind meines Erachtens notwendig. In China beispielsweise kostet eine Zulassung für ein Verbrenner-Fahrzeug rund 20.000 Euro, bei einem Auto mit E-Antrieb entfällt diese Gebühr. Solch ein Modell in Deutschland oder Europa umzusetzen scheint eher unvorstellbar, aber man muss einfach mal sehen, wie sich in anderen Märkten die Politik positioniert und agiert, um neue Antriebe in breiter Masse auf die Straße zu bringen.
Autonomes Fahren und E-Mobilität verschlingen Milliarden. Werden die Hersteller diese Kosten je refinanzieren können?
Die Industrie ist sehr Kapitalintensiv. Die Frage, die man sich jedoch stellt, ist nicht, die Frage einer Refinanzierung, sondern, sondern ob man zukunftsfähig ist. Die CO2-Regulierung ab 2030 zwingt die Hersteller sogar dazu, den Schritt zu alternativen Antrieben jetzt noch schneller zu vollziehen, wenn sie nicht milliardenhohe Strafzahlungen zahlen wollen. Solch drakonische Strafen kommen schnell zustande, da jedes Gramm über dem Flotten-Zielwert mit 95 Euro bestraft und zusätzlich mit dem Fahrzeugabsatz des Vorjahres multipliziert wird. Deshalb müssen sie in diese Technologien investieren – und zwar nicht zu knapp.
Aber – Es wird eine Herausforderung für die Unternehmen aufgrund dieser Investitionen in den nächsten drei bis fünf Jahren, ihre Kapitalkosten zu verdienen. In einer Studie PwC Strategy& wurde analysiert, dass die durchschnittliche Rendite der Hersteller je nach Investitionsintensität in CASE zukünftig sinken wird – nämlich von heute 6,3 Prozent auf bis zu 3 Prozent sollten keine Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Gleichzeitig steigen die Kapitalkosten durch größere Volatilität und erhöhtes Risiko.
Sind die Unternehmen denn so aufgestellt, diese Durststrecke durchzustehen?
Es braucht eine gehörige Portion Disziplin auf der Kostenseite sowie die Bereitschaft, mit anderen zu teilen, auch die Last zu teilen, und – eine gute Automobilkonjunktur weltweit. Nicht zuletzt hängen die Aussichten der Hersteller stark an den Handelskonflikten und am chinesischen Markt. Es ist denkbar, dass in der zweiten Jahreshälfte ein Konjunkturprogramm mit Kaufanreizen in China hier Abhilfe schaffen könnte.
Wie wichtig sind dabei Kooperationen unter den Herstellern?
Das ist zwingend notwendig. Ohne das wird man nicht die Technologieführerschaft halten können, die die deutsche Autoindustrie so dringend braucht. Aber auch Kooperationen mit Technologiefirmen und Start-ups sind zwingend erforderlich.
Wie sehr macht bei diesem Kampf auch der IT-Fachkräftemangel der Autoindustrie zu schaffen?
Ganz klar, das ist ein harter Kampf. Und diesen Kampf gibt es in einem Ausmaß, den die Industrie so vorher nicht kannte. Denn die Firmen konkurrieren plötzlich nicht mit anderen Firmen in der Autoindustrie, sondern mit allen Branchen, obendrein mit den Tech-Firmen. Denn alle wollen die besten IT-Spezialisten – und es gibt nur begrenzte Kapazitäten.
Kommen sie an diese Leute denn ran?
Ja. Das kostet natürlich auch Kraft und Geld, die Bedingungen so umzustellen, dass man für die jungen Softwareentwickler attraktiv ist – aber Daimler, BMW und auch VW haben mittlerweile begriffen, wie sie sich aufstellen müssen, um auch für diese Zielgruppe attraktiv zu sein. So werden beispielsweise neue Geschäftseinheiten erschaffen, in denen – wie am Beispiel von VW mit ‚car.software‘ – Kompetenzen und Talente gebündelt werden.
Die Industrie arbeitet an neuer Mobilität, an Shared-Konzepten, das Auto soll man sich künftig teilen, statt eins zu besitzen. Dadurch werden ja unterm Strich weniger verkauft. Kanibalisiert sich die Industrie dadurch nicht selbst?
Volkswirtschaftlich ist es sehr sinnvoll, wenn das Auto höhere Nutzungsgrade erreicht – dass man es also nicht eine Stunde am Tag, sondern vielleicht sechs Stunden am Tag nutzt. Auch vor dem Hintergrund, dass die Weltbevölkerung wächst und die Zahl derer, die sich ein Fahrzeug leisten können und wollen zunimmt, wir uns aber auch über die Ressourcenverwendung Gedanken machen müssen. Und da ist es großartig, wenn wir durch die neuen Technologien Mobilitätsökosysteme erarbeiten können, um die Nutzung von Fahrzeugen zu erhöhen. Das Ganze wird dann wirtschaftlich attraktiv, wenn wir keinen Fahrer mehr im Fahrzeug haben müssen, weil das Robotaxi autonom fährt.
Wann ist es so weit?
Es wird noch sehr lange neben dem Aufbau dieser Mobilitäts-Ökosysteme einen Automarkt geben, wo Menschen Autos besitzen und sie auch selber fahren. Das wird nicht von jetzt auf gleich passieren.
Wer wird künftig derjenige sein, der Plattformen betreibt? Industrie oder Kommunen?
Wir gehen davon aus, dass dies in Europa privatwirtschaftlich organisiert wird, genauso in den USA – also beispielsweise durch Unternehmen wie die Now-Gruppe von Daimler und BMW. Die Frage aber ist, ob in den USA die selben Unternehmen wie in Europa das Rennen machen oder aber Uber oder Lyft – oder jemand ganz anderes? Dort werden die Ökosysteme auch sehr regional ausgeprägt sein.
In China wird wahrscheinlich der Staat ein Wort mitreden und sich genau ansehen, wem man für welchen Teil die Robotaxi-Lizenzen gibt.
Connectivity ist ein Muss für jeden Autohersteller. Ist das denn überhaupt ein Bereich, in dem Hersteller Geld verdienen können?
In der Tat ist es schwierig, hier gerade die Geschäftsmodelle zu sehen. Konnektivität wird von den Kunden schlicht erwartet. Die Frage bleibt weiterhin: Welche Services kann man anbieten und welche bieten dann auch Umsatzpotenzial – aber: Das ist sehr begrenzt. Anders wird das erst, wenn wir mit Robotaxis unterwegs sind und die Menschen im Auto nicht mehr mit dem Fahren, sondern womöglich mit dem Streamen von Videoportalen und Online-Shopping beschäftigt sind. Wenn diese Kategorien für den Nutzer im Fahrzeug verschwimmen nennen wir das die ‚Fifth Screen Economy‘ und sehen da grade bei Premium Haushalten ein zusätzliches Umsatzpotenzial in Milliardenhöhe.
Gut, aber wer macht dann das Rennen: BMW und Daimler oder Google und Amazon?
Eines ist sicher: Es wird einen Wettlauf geben. Und dann ist da noch die Perspektive für junge Talente erstmal „ihr eigenes Ding“ zu machen, d.h. ein Start-up zu gründen oder sich dort anzuschließen.
Kann man den denn gegen Google oder Amazon gewinnen?
Das wird man sehen. Der Kampf ist eröffnet. Die Frage wird sein: Wer beeinflusst den Endkonsumenten. Ökosysteme wie Mercedes Me oder BMW Connected sind schon der Vorgriff darauf, den Kunden an sich zu binden, um ihn dann, wenn es Robotaxis gibt, komplett zu bespielen.
Schafft das denn bspw. Daimler allein oder sucht er sich Partner für diesen Schritt?
Sicherlich wird es da noch die ein- oder andere Kooperation geben. Klar aber ist: da liegen die großen Potenziale, um die Bedürfnisse der Konsumenten zu wecken und sie zu bedienen.
Und beim Carsharing? Da ist ja bislang nie wirklich klar gewesen, ob eine Carsharing-Flotte Geld verdient oder Geld verbrennt. Ist der Zusammenschluss zur Now-Gruppe jetzt der goldene Schritt, um Carsharing zu Geld zu machen?
Carsharing ist der erste Schritt zum gewinnbringenden Robotaxi. Deshalb bündeln Daimler und BMW auch nicht nur die Carsharing-Dienste, sondern auch Dienste zum Parken und Laden von E-Autos und Ridehailing.
Aber alle Mobilitätsdienste hin und her – am Ende entscheiden doch die Kommunen und der ÖPNV, welche Mobilität in den Städten erlaubt ist. Und es wird ein Preiskampf geben, denn der ÖPNV ist um Längen billiger.
Der ÖPNV ist aber auch defizitär. Wahrscheinlich wird es auf einen Mix hinauslaufen, auf eine Kooperation zwischen Robotaxi-Flotten und dem ÖPNV. Und wenn man gemeinsam auf höhere Nutzungsgrade der Flotten kommt, wird das ganze relativ schnell profitabel. Die Menschen, die geteilte Mobilität nutzen, müssen tatsächlich incentiviert werden. Da sind wir wieder beim Thema Verkehrs- und Infrastrukturpolitik: Und die Kernfrage muss sein: Wie will ich 2030 in der Stadt leben? Aus dieser Frage heraus muss Mobilität gedacht werden.
Sie sprechen die geringen Nutzungsgrade an - verstehen zu wenig Leute, wie shared funktioniert?
Das Modell eine Shared-Economy ist aus meiner Sicht noch nicht von allen akzeptiert und bei allen angekommen. Auch hier müssten Kommunen und die Privatwirtschaft über Incentivierungen nachdenken. Dann bekommt man eine ganz andere Auslastung hin. Sonst sind einfach die volkswirtschaftlichen Kosten zu hoch.