Herr Wierz, wundert Sie es, dass wegen des Chipmangels und den damit zusammenhängenden sinkenden Abrufen der Fahrzeughersteller mit der Heinze-Gruppe erst jetzt ein Zulieferer in Schwierigkeiten geraten ist?
Lassen Sie mich so antworten. Die Kalkulationen der meisten Zulieferer basieren darauf, dass die geplanten Abrufe auch in den tatsächlichen Volumen ihren Niederschlag finden. Seit dem Sommer 2020 haben sich die Volumen zunächst wieder annähernd erholt. Jedoch ist seit August dieses Jahres offensichtlich, dass die Volumen von den Fahrzeugherstellern sukzessive abgemeldet werden müssen. Einer der Hauptgründe dafür ist der Chipmangel. Unternehmen, die allerdings jetzt schon ins Straucheln geraten, hatten möglicherweise bereits vorher keinen festen Stand.
Denken Sie, dass wir künftig noch häufiger von Fällen dieser Art hören werden?
Sollte sich die Situation mit den geringeren Lieferabrufen fortschreiben, wird das den ein oder anderen Zulieferer perspektivisch in Schwierigkeiten bringen. Ob das immer existenziell sein muss, ist eine andere Frage. Die Volumen sind ein elementares Element in der ökonomischen Gleichung der Zulieferindustrie. Aktuell spricht viel dafür, dass sie sich kurzfristig nicht erholen werden. Das Geschäft der Zulieferer ist üblicherweise relativ kapitalintensiv vor dem Hintergrund der langlaufenden und hochvolumigen Serien in der Automobilindustrie. Die notwendige Amortisation erfolgt über den Produktlebenszyklus über die geplanten Volumen. Wenn diese ausbleiben, geht die Gleichung oftmals nicht auf. Es gibt halt nur die Faktoren Menge und Preis, und der Preis ist im Wesentlichen über die Laufzeiten fixiert.
Sind bestimmte Branchen innerhalb der Zulieferindustrie besonders gefährdet?
Es gibt natürlich Commoditylieferanten, die in einem sehr harten Wettbewerb stehen. Hieraus folgen fast schon traditionell niedrige Margen. Es gibt aber sehr viele hoch entwickelte Zulieferer mit technologisch anspruchsvollen Produkten und Technologien, die höhere Margen durchsetzen können. Verbindend ist aktuell das Faktum, das die derzeitigen Herausforderungen vollkommen losgelöst von der des Antriebsstrangs sind. Unabhängig von der Zukunftsfrage der elektrifizierten Mobilität sind fast alle Fahrzeugklassen von der Versorgungskrise betroffen.
Brauchen die Zulieferer mehr Unterstützung von Seiten der Fahrzeughersteller?
Nein. Die Zulieferer werden ja nicht gezwungen, einen Auftrag mit einem OEM zu zeichnen. Letztlich existiert ein vitaler und freier Wettbewerb. Im Übrigen ist es auch oft so, dass die Fahrzeughersteller strauchelnde Zulieferer aktiv unterstützen. Zudem ist es aus meiner Sicht noch viel zu früh, um von ultimativ verlorenen Volumen zu sprechen. Die Nachfrageseite ist intakt. Aus meiner Sicht ist es durchaus vorstellbar, dass ein großer Teil der aktuell verlorenen Volumen in den kommenden Jahren wieder aufgeholt wird. Noch hat sich das Volumen aus meiner Sicht bisher nur auf der Zeitachse verschoben.
Die Automobilindustrie lebt in sehr volatilen Zeiten. Müssen die Zulieferer eventuell ihre Geschäftsmodelle ändern?
Die Frage ist, wer letztlich die Ausgangsinvestitionen und deren Risiko trägt. Wenn der Markt so volatil bleibt, müssen sich Fahrzeughersteller und Zulieferer wohl zusammensetzen und über Lösungen sprechen, deren Amortisation nicht ausschließlich an geplante Abrufe gekoppelt ist. Teilweise gehen die Zulieferer in der aktuellen Situation schon massiv in Vorleistung. Hier müssen Lösungen gefunden werden, die sich wahrscheinlich eher am faktischen, echten Volumen über den gesamten Lebenszyklus orientieren.
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