Herr von Schuckmann, Sie verantworten im ZF-Vorstand seit Jahresbeginn die Division Elektrifizierte Antriebstechnologien. Welche Schwerpunkte setzen Sie?
Das sind im Wesentlichen drei Akzente. Erstens haben wir die Division so aufgestellt, dass wir die Transformation meistern können und für diese Aufgabe über ein qualifiziertes Team verfügen, dass den Transformationsprozess vorantreibt. Zweitens haben wir ein Umschulungsprogramm gestartet, in dem wir mehr als 30.000 Menschen in Aspekten der Transformation weiterbilden, damit jeder Mitarbeiter das gleiche Verständnis dafür hat.
Können Sie das näher erläutern?
Ja, alle sollen wissen, was die Transformation für uns bedeutet und wie sich die Märkte verändern. Zudem gibt es spezifische Aufbauprogramme, in denen die Mitarbeiter je nach Bedarf in Themen wie Softwareentwicklung, Leistungselektronik oder E-Motorenkompetenz geschult werden. Den dritten Akzent setzen wir mit einem modularen Technologiebaukasten, dem ZF modular E-Drive Kit. Es beinhaltet alle notwendigen Komponenten nicht nur für E-Motoren sondern insgesamt für E-Antriebssysteme, also auch die komplette Leistungselektronik. Der Kunde kann entweder einzelne Bausteine oder das gesamte System in unterschiedlichen Leistungsstufen von uns kaufen. Wir haben die Entwicklung des E-Drive Kits im letzten Jahr stark vorangetrieben und sind mit dem Baukasten mittlerweile auch sehr erfolgreich am Markt.
Sprechen Sie auch über Umsätze?
Nein, aber ich drücke es Mal so aus: Wir können mit dem gewonnenen Geschäft den Transformationsprozess erfolgreich bewältigen.
Woher kommen die Kunden für diese Kits?
Aus allen Regionen der Welt. Wir sind sehr erfolgreich in China, haben aber auch europäische und Kunden in den USA gewinnen können.
Sind Sie auch bei neuen Herstellern im Bereich E-Mobilität erfolgreich?
Ja, aber auch bei den traditionellen Kunden, weil wir mit jedem unserer langjährigen Kunden quasi die Transformation vom klassischen Getriebe über den Hybrid in den elektrischen Antrieb gestalten. Wir haben heute ein gutes Auftragsvolumen mit einem breiten Feld an Kunden.
Sie wollen mit dem E-Drive Kit die Entwicklungszeit für E-Motoren um bis zu 50 Prozent verkürzen. Wie wollen Sie das erreichen?
Zum einen sind die einzelnen Bausteine des modularen E-Drive Kits zum Teil schon vorentwickelt und besitzen einen viel höheren Reifegrad, als würde man ein Projekt ganz neu starten. Zum anderen laufen viele Prozesse mit unseren Kunden mittlerweile parallel. Wir haben beispielsweise Kunden in China, die mit kürzeren Entwicklungszyklen arbeiten. Mit dem E-Drive Kit schaffen wir es, innerhalb von 24 Monaten ein reifes Produkt in den Markt zu bringen.
Lassen sich die Kosten auch um bis zu 50 Prozent verringern?
Nein, das wäre zu viel verlangt. Es geht vor allem um Geschwindigkeit. Der Markt für batterieelektrische Fahrzeuge zieht stark an und erfordert schnelle Applikationen, sei es bei einer Komponente oder einem kompletten E-Antrieb.
ZF hat sich als Ziel gesetzt, europäischer Marktführer im Bereich Elektronik zu werden. Wie weit sind Sie auf diesem Weg?
Das Volumen entwickelt sich jetzt mit dem wachsenden Markt für batterieelektrische Fahrzeuge. Vielen ist nicht bewusst, dass wir in der Leistungselektronik schon heute ein großer Player sind, weil wir diese für unsere weit verbreiteten Plug-in- und Mild-Hybrid-Getriebe bereits selbst herstellen. Da erreichen wir mittlerweile signifikante Volumen und zu diesen addieren sich die zusätzlich gewonnenen Aufträge im Bereich von E-Fahrzeugen. Wir werden in Europa definitiv unter den größten Anbietern sein.
Wie entwickelt sich bei Ihnen der Markt für Shuttle-Fahrzeuge?
ZF hat nicht nur Pilotprojekte, sondern bereits Shuttles im Einsatz die im regulären Betrieb laufen, zum Beispiel in Rotterdam. Die nächsten Schritte sind absehbar: Beispielsweise gibt es ein großes Projekt am Brüsseler Flughafen, wo die Fahrzeuge im nächsten Jahr autonom im gemischten Verkehr fahren sollen. Diese Shuttles kombinieren idealtypisch all das, was ZF an Technologie bietet. Von der Sensorik, über den Hochleistungs-Zentralrechner, den E-Antrieb bis hin zu den Fahrwerkskomponenten.
Verstärken die Ankündigungen verschiedener Regierungen früher aus dem Verbrennungsmotor auszusteigen den Druck auf Ihre Getriebefertigung?
Wir haben eine gute Grundauslastung bei unseren teilelektrifizierten Getrieben im Bereich der Plug-in- und Mild-Hybrid-Getriebe. Das trägt uns in den kommenden Jahren. Wir haben große neue Aufträge für rein elektrische Antriebe gewonnen und gleichzeitig bleibt der Bedarf an teilelektrifizierten Getrieben hoch. Aber es gibt große regionale Unterschiede. In Europa befinden wir uns mitten im Wachstumsprozess der E-Mobilität. In den USA ist der Prozess noch nicht so weit fortgeschritten. Insgesamt sorgt das für eine Grundauslastung und die Standorte spielen mit ihrer jeweiligen Kompetenz als Leitwerk eine wichtige Rolle.
Können Sie uns dafür ein Beispiel nennen?
Nehmen Sie Auerbach. Der Standort ist Leitstandort für die Leistungselektronik im 800-Volt-Siliziumkarbid-Bereich und dafür verantwortlich, das Prozess-Know-how auch auf andere ZF-Standorte beispielsweise in Osteuropa oder Mexiko zu übertragen. Auerbach ist zudem hoch ausgelastet mit der Produktion von Leistungselektronik für Plug-in- und Mild-Hybrid-Getriebe. Über Fluktuation, Altersteilzeit und gezielte Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen passen wir unsere Getriebestandorte sukzessive an und transformieren sie. Insbesondere in der Leistungselektronik und in der Software wachsen wir stark und stellen neue Mitarbeiter ein. In anderen Bereichen versuchen wir den Abbau sozialverträglich zu gestalten. Sollten allerdings die Ziele der Europäischen Kommission verschärft werden, neue Benzin- und Dieselmotoren ab 2035 zu verbieten, werden wir auf betriebsbedingte Kündigungen nicht verzichten können.
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