Wie schnell genau die Zahl der Elektroautos ansteigen wird, darüber streiten sich die Experten, doch klar ist: Es wird ein Boom kommen. Die Autokonzerne werden die emissionsfreien Fahrzeuge zur Not mit satten Rabatten ab 2021 in den Markt drücken, sonst verfehlen sie die Ziele der EU und das wird teuer. Millionen- und milliardenschwere Strafen stehen im Raum. Natürlich werden die Stromer auch immer begehrlicher: Die Reichweiten stimmen, die Kosten für Batterien fallen, die Fahrzeuge werden konkurrenzfähig.
Was bisher in der Debatte noch wenig Aufmerksamkeit erfahren hat, ist das Stromnetz. Das, so Innogy-Managerin Hildegard Müller, beim Energiekonzern Innogy verantwortlich für das Vorstandsressort Netz und Infrastruktur, gegenüber dem Handelsblatt, ist in seinem aktuellen Zustand nämlich nicht auf einen Boom bei den Elektroautos vorbereitet. "Wir stehen vor einer Mammutaufgabe", sagt Müller dem Handelsblatt und mahnt: "Der Ausbau der Elektromobilität ist beherrschbar, wir müssen aber jetzt die Weichen stellen.
Die Unternehmensberatung Oliver Wyman hat gemeinsam mit der TU München untersucht, wie groß der Handlungsbedarf ist. "Bereits ab einer E-Auto-Quote von 30 Prozent wird es ohne Gegenmaßnahmen zu flächendeckenden Stromausfällen kommen", heißt es in einer bisher unveröffentlichten Studie, die dem Handelsblatt vorliegt. "Punktuell werden schon in den kommenden fünf bis zehn Jahren Versorgungsengpässe entstehen, etwa in suburbanen Gebieten mit einer höheren Affinität zur Elektromobilität."
Anspruchsvoll ist für das Netz weniger die Menge an Strom, die benötigt wird, sondern die Spitzenlasten im Niederspannungsnetz, der "letzten Meile" zum Anschluss der Verbraucher. "Wenn alle gleichzeitig um 20 Uhr ihr Auto mit Strom volltanken wollen, knallt es im Netz", warnt ein Wyman-Energieexperte Thomas Fritz Experte gegenüber dem Handelsblatt.
Zu der ohnehin herausfordernden Situation kommt, dass das deutsche Netz vielerorts veraltet ist. "Teils haben die Versorgungskabel mehr als 80 Jahre auf dem Buckel", so das Handelsblatt. Die Erneuerung kostet aber Zeit. Das heißt: Will die Regierung den Energie-Infarkt vermeiden, müssen die Projekte jetzt angeschoben werden. Sonst geht in Teilen Deutschlands irgendwann im wahrsten Sinne des Wortes das Licht aus.
"Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen lässt sich der Netzkollaps wohl nur mit Milliardeninvestitionen aufhalten", folgert das Wirtschaftsblatt. Oliver Wyman kalkuliere mit einem Bedarf von bis zu elf Milliarden Euro, die innerhalb von eineinhalb Jahrzehnten in die Ertüchtigung des Netzes gesteckt werden müssten.
Allerdings ginge es auch anders, wenn nicht alle zur selben Zeit laden würden - was theoretisch machbar ist, da viele Autos über Nacht stehen und keine 12 Stunden zum Laden mehr brauchen werden. "Wenn in kritischen Ortsnetzen mit 120 Haushalten 30 Prozent der E-Autobesitzer flexibel laden, lasse sich die Spitzenlast enorm reduzieren", zitiert das HB aus der Oliver-Wyman-TU-München-Studie. "Gelingt es den Netzbetreibern, 92,5 Prozent oder mehr E-Auto-Besitzer fürs flexible Laden zu gewinnen, wird ein zusätzlicher Netzausbau laut Studie sogar völlig überflüssig", so das HB.
Noch fehlen für ein solches Konstrukt regulatorische Voraussetzungen. Andere Überlegungen gehen in den Bereich Smart Grid - also die Einbindung von E-Autos in den Entlastungsvorgang des Stromnetzes durch gezieltes Be- und Entladen der Fahrzeuge zu bestimmten Tageszeiten.
Sollten E-Autos nicht Teil eines solchen Smart Grids werden, könnte ein anderer, weder von Politik noch von der Industrie gewünschter Effekt eintreten. Das Handelsblatt zitiert dafür aus einer Studie des Analysehaus Aurora Energy Research. Dieses sieht sonst durch Nachfragespitzen beim Laden zusätzliche Kraftwerksleistung von fünf Gigawatt, die vorgehalten werden müssten. Die käme - mangels Alternativen - aus Kohlestrom.
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