Frau Foith-Förster, wie sollten sich Unternehmen aufstellen, um widerstandsfähiger durch Krisen zu kommen?
Das große Schlagwort ist Resilienz. In der Forschung begleitet uns das Thema schon eine ganze Weile. An unserem Institut haben wir vier Bausteine identifiziert. Einer davon sind wandlungsfähige Produktionssysteme. Das sind Systeme, die sich nicht nur für eine Fahrzeugvariante oder einen ganz spezifischen Stückzahlbereich nutzen lassen, sondern die auch bei abweichenden Stückzahlen oder für eine große Anzahl an Varianten ein effizientes Produzieren ermöglichen.
Und wie ist das jetzt?
Produktionssysteme sind häufig so gestaltet, dass sie zwar eine gewisse Flexibilität mitbringen, aber außerhalb dieses Flexibilitätsbandes ganz schnell ineffizient werden können.
Was sind die weiteren Bausteine?
Ein zweiter Baustein ist die souveräne Lieferkette. Dabei geht es darum, dass die Unternehmen die Hoheit darüber haben, was sie bestellen und was sie liefern. Durch die Corona-Pandemie oder auch im Zuge der Ukraine-Krise merken wir, dass das häufig nicht der Fall ist. Wegen der globalen Verflechtungen sind die Unternehmen sehr abhängig geworden von den Zulieferwegen. Dann wird es natürlich schwierig, wenn umgestellt werden muss. Ein weiterer Baustein ist die datengetriebene Optimierung der Produktion.
Was verstehen Sie darunter?
Das sind KI-Ansätze. Damit ist gemeint, dass sich die Produktion fortlaufend verbessern lässt. Unternehmen verbinden das häufig als Erstes mit dem Stichwort Smart Factory. Der vierte Baustein ist dann die agile Organisation. Darunter fällt nicht nur der tatsächliche Wertschöpfungsbereich, sondern die gesamte Organisation des Unternehmens. Also wie sind die Abläufe organisiert und wie lassen sich die Abläufe möglichst schnell an die geänderten Rahmenbedingungen anpassen.
Welche Größenordnung haben die Unternehmen aus der Automotivebranche, die auf Ihr Institut zukommen?
Das umfasst die gesamte Bandbreite.
Welche Noten geben sie den Unternehmen im Schnitt beim Thema Resilienz?
Wenn Sie damit eine Schulnote meinen, würde ich sagen, dass die Unternehmen durchschnittlich bei einer drei stehen. Vermutlich wäre die Bewertung vor Corona schlechter ausgefallen. Die Pandemie hat für einen ziemlichen Turbo gesorgt, einfach weil eine Krisensituation dazu führt, dass Unternehmen sich hinterfragen. Ich habe aber auch den Eindruck, dass viele Unternehmen noch gar nicht aus dem Krisenmodus herausgekommen sind. Viele sind immer noch damit beschäftigt, das Feuer zu löschen. Es stellt sich die Frage, inwiefern wurden bei den Unternehmen Strukturen geschaffen, die bei der nächsten Krise für weniger Feuerwehreinsätze sorgen. Es gibt einige Unternehmen, die die Corona-Pandemie genutzt haben, um für die Zukunft widerstandsfähigere Strukturen zu schaffen. Aber ich glaube, dass insbesondere viele kleine, mittelständische Unternehmen eher noch dem Krisenmodus verhaftet sind und es künftig schwer haben werden.
Gibt es auch eine resiliente Smart Factory?
Die Smart Factory ist kein Selbstzweck an sich. Dabei handelt es sich eher um eine Methode, um bestimmte Ziele zu erreichen. Und Resilienz wäre für mich so ein Ziel. Die Frage ist also, wie muss ich meine Produktion ausrichten, um das zu schaffen. Ganz allgemein ist meine Einschätzung beim Thema Smart Factory, dass von den kleinen mittelständischen Unternehmen viele auf dem richtigen Weg sind und vor allem die etwas größeren schon recht gut aufgestellt sind. Einige befinden sich aber noch im Dornröschenschlaf, wenn man genauer hinschaut.
Woran liegt das?
Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass es den Unternehmen in den vergangenen Jahren wirtschaftlich recht gut ergangen ist. Es gab keinen Veränderungsdruck. Der kommt jetzt erst langsam. Die Transformation der Automobilindustrie sorgt dafür, dass die Zulieferer transformieren müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Das gelingt den größeren Unternehmen häufig schon besser.
Welche Gründe sind das?
Das könnte unter anderem daran liegen, dass sie schon mehr Fachkräfte haben, und auch andere finanzielle Möglichkeiten, um solche Themen anzugehen.
Mit welchen Frühwarnsystemen arbeiten die Unternehmen in der Produktion und was könnten sie verbessern?
Ein Thema ist das Process mining. Dabei versuchen sich die Unternehmen überhaupt erst einmal einen Überblick darüber zu verschaffen, welche Prozesse es im Unternehmen gibt, um Verbesserungen einleiten zu können. Zudem fangen die Unternehmen damit an, maschinelles Lernen für Prognosen zu nutzen. Also was und wann wird der Kunde bestellen, und mit welchen Rohmaterialien kann ich zu welchem Zeitpunkt in welcher Menge kalkulieren.
Und wie sieht es in der Regel aus?
Häufig ist es so, dass im ERP-System ein Datum steht, das im Zweifel falsch ist. Beispielsweise eine Schätzung darüber, wie lange ein Schiff für die Fahrt über den Ozean benötigt. Da gibt es mittlerweile gute Möglichkeiten mit maschinellem Lernen Aussagen zu erhalten, wie valide dieses Datum ist. Es gibt zwar immer die Gefahr, dass die Angaben nicht zutreffen, aber mit schlauen Algorithmen lässt sich das Risiko reduzieren.
nd solche Systeme lassen sich schon nutzen?
Einige solcher Systeme sind bereits verfügbar, andere sind erst in der Entwicklung. Bislang kenne ich vor allem Lösungen der Fahrzeughersteller. Wir haben beispielsweise ein größeres Forschungsprojekt mit einem OEM. Dabei steht im Fokus, welche Fahrzeugkonfigurationen in der Zukunft bestellt werden, noch bevor der Kunden sie tatsächlich bestellt. Hierbei werden zum einen Vergangenheitsdaten berücksichtigt, es werden aber auch die Fahrzeugkonfiguratoren von den Web-Seiten der Hersteller mit einbezogen. Auf dieser Grundlage werden dann noch vor Bestelleingang konfigurierte Fahrzeuge zusammengebaut. Wenn die realen Bestellungen eingehen, matcht man diese dann mit der Planung. Das hat den Vorteil, dass die Abweichung im Vergleich zum vorherigen Vorgehen geringer ausfällt.
Und wie war es in der Vergangenheit?
Der aktuelle Standard ist, dass Fahrzeuge erst eingeplant werden wenn sie vom Kunden bestellt und konfiguriert sind. Rohmaterialien mit langer Lieferzeit werden entsprechend vorab bestellt. Das passiert natürlich auch auf Basis von Erfahrungswerten, aber ohne systematische datenbasierte Optimierung werden eben trotzdem oft die falschen Mengen beschafft. Die Auftragseinplanung läuft aktuell unter Einsatz von mathematischer Optimierung, und tatsächlich auch noch mit einem großen Anteil manueller Arbeit. Ganz allgemein lässt sich jedoch sagen, dass es noch kein vollumfängliches Frühwarnsystem gibt. Vollumfänglich wird es das wahrscheinlich auch nie geben. Aber es gibt einzelne Lösungen, die irgendwann in der Zukunft orchestriert werden. Ich gehe davon aus, dass durch den Einsatz solcher Einzellösungen die Vorhersagen immer besser werden und man nicht mit der Lagerhaltungskeule kommen muss. Möglicherweise hilft auch eine Regionalisierung gewisser kritischer Ressourcen. Auf der Forschungsseite beschäftigen wir uns intensiv mit der Frage, wie sich mit quasi durchgängigen Informationsketten zwischen den Unternehmen eine bessere Transparenz herstellen lässt.
Aber die Fahrzeughersteller kennen Ihre Lieferanten doch schon sehr gut…….
Es geht aber nicht nur darum, dass der Fahrzeughersteller die Lagerbestände seiner Zulieferer kennt, sondern dass es auch eine Transparenz in Richtung OEM gibt. Also, dass man die Transparenz nicht nur in die nächste Stufe der Supply Chain trägt, sondern wirklich über die gesamte Kette hinweg. Technisch ist das alles seit Jahren möglich, scheitert aber an der Wettbewerbssituation. Helfen könnte auch das Forschungsprojekt Catena X, das mit der Gründung eines Vereins einherging. Das Konsortium, bei dem auch Fraunhofer mit an Bord ist, besteht aus vielen Zulieferern und OEMs. Diese gehen unter anderem Fragestellungen nach, wie Unternehmen dank einer durchgängigen Transparenz auf verschiedenen Stufen der Wertschöpfung besser werden und Krisen resilienter angehen.
Wie wandlungsfähig sind die derzeitigen Produktionssysteme?
Die Systeme sind derzeit eher starr aufgebaut. Das heißt, es gibt häufig Produktionslinien, bei denen für eine definierte Anzahl von Varianten in einem bestimmten Stückzahlbereich ein optimales System gebaut worden ist. Optimal auch nur mit Einschränkungen. Denn durch die hohe Anzahl an Varianten ist es heute schon so, dass solche Systeme mit sehr viel Aufwand begleitet werden müssen, um Varianten in der richtigen Reihenfolge in das System einzuspielen.
Wie sieht die Zukunft aus?
Wir glauben nicht, dass wir weiter mit diesen starren Systemen produzieren werden. Mit wandlungsfähigen Produktionssystemen sind solche gemeint, die sowohl flexibel sind in Punkto Varianten, aber auch verschiedene Stückzahlbereiche abdecken können. Zudem werden sie rekonfigurierbar sein. Das heißt, sie lassen sich einfach auf andere Anforderungen umbauen, ohne dass dafür vorab investiert werden muss.
Können Sie das näher erläutern?
Eine mögliche Lösung dafür ist zum Beispiel ein modularer Aufbau. Das bedeutet weg von den starren Verkettungen und hin zu Systemen, so genannten frei anfahrbaren Prozessmodulen. Diese einzelnen Stationen sind frei verteilt und jede Variante geht ihren eigenen Weg durch die Produktion. Wenn derzeit eine Linie umgebaut wird, muss die Linie komplett stillstehen. Wenn sie jedoch ein System umbauen bei dem es keine starre Verkettung gibt, können einzelne Systemelemente vielleicht sogar verändert werden, ohne die anderen Elemente anpacken zu müssen.
Wäre es nicht einfacher sich bei den Varianten einzuschränken?
Das ist der alte Kampf zwischen Vertrieb und Produktion. Der große Hebel liegt in der Produktgestaltung. So wird beispielsweise versucht, Varianz in die Vormontage zu verlagern. Dabei muss das Produkt so aufgebaut werden, dass die Varianz im Montagebereich nicht auf dem Hauptband läuft, sondern in einem zugelieferten Modul, dass dann als fertiges Modul angedockt wird. In den vergangenen Jahren gab es auch die Tendenz, Varianz in der Software abzubilden. Das ist natürlich eine besonders schlaue Lösung. Früher gab es auch Strategien ein Vollprodukt zu bauen, bei dem mit einem Bezahlmodell bestimmte Funktionalitäten freigeschaltet wurden. Häufig rechnet sich das aber nicht und bringt auch Nachteile auf der Gewichtsseite. Auch wenn der Produktionstechniker von einem standardisierten Produkt träumt, wird das in der Realität nie so sein. Wir werden mindestens so viele Varianten haben wie heute schon. Wir müssen uns also weiter schlaue Lösungen für das Produktionssystem überlegen.
Welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz bei künftigen smarten Produktionssystemen?
KI ist ein großer Hebel, bei dem wir erst am Anfang stehen. Man muss allerdings unterscheiden, was mit KI gemeint ist. Durch Kameras und Sensoren werden beispielsweise in der Qualitätssicherung viele Dinge automatisiert, die bislang nicht automatisiert waren. Im Moment werden vor allem Verfahren wie das maschinelle Lernen gehypt. Es eröffnen sich noch weitere Möglichkeiten in verschiedenen Bereichen.
Müssen die Unternehmen schon digitalisiert haben, bevor sie sich KI- oder Machine-Learning-Mehoden zuwenden?
Man kann maschinelles Lernen oder KI ein Stück weit auch als eine höhere Stufe der Digitalisierung begreifen. Es schadet also nicht, erste Schritte in Richtung Digitalisierung gegangen zu sein. Es ist schon von Vorteil, wenn Unternehmen eine gewisse Digitalisierungsreife haben, bevor sie in das Thema KI beziehungsweise maschinelles Lernen einsteigen. Aber es muss nicht der komplette Maschinenpark durchdigitalisiert sein. Die Unternehmen können auch erst einmal mit einzelnen Bereichen anfangen.
Welchen großen Trend in der Smart Factory sehen Sie?
Das Schlagwort lautet Automation of Automation. Das hat auch mit maschinellem Lernen zu tun. In der Vergangenheit haben die Unternehmen sehr viel in Digitalisierung und Automatisierung investiert. Aber irgendwann wird da eine gewisse Sättigung erreicht, weil es Prozesse gibt, die sich schlecht automatisieren lassen. Durch den Einsatz moderner Methoden wie maschinelles Lernen besteht die Möglichkeit, dass zum einen angrenzende Prozesse automatisiert werden wie beispielsweise die Auftragsplanung. Die Automatisierung in den administrativen Bereichen hält also Einzug. Aber auch klassische Engineeringaufgaben lassen sich automatisieren. Automation of Automation bedeutet auch, dass versucht wird, die Planung der Automatisierung zu automatisieren.
Wo lässt sich das anwenden?
Ein klassisches Beispiel dafür ist die Roboterprogrammierung. Der Maschine erhält dabei die Möglichkeit, sich mit Hilfe von maschinellem Lernen und Bildverarbeitung selbst etwas beizubringen. Oder dass die Gestaltung eines Produktionssystem zum Teil automatisiert wird, in dem nicht nur das Produkt konfiguriert wird, sondern auch das Produktionssystem.
Das Interview führte Klaus-Dieter Flörecke.
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