Frau Struck, in Ihrem Buch "Game Change" kommt der Berliner Wirtschaftsprofessor Julian Kawohl zu Wort. Er sagt, die Digitalisierung rolle auf die Automobilindustrie zu wie ein Tsunami. Weglaufen scheint bei dieser Welle also keine Lösung zu sein…
Das ist so, die ersten Ausläufer der Digitalisierung haben die Autoindustrie bereits erreicht. Weglaufen funktioniert nicht. Das Topmanagement der Autohersteller muss aber erst einmal anerkennen, dass es sich bei der Digitalisierung tatsächlich um einen Tsunami handelt, der jene schlucken wird, die sich nicht rechtzeitig darauf einstellen.
Hat das inzwischen nicht jeder kapiert?
Sollte man meinen. Ich sehe aber immer noch bei vielen Verantwortlichen Tendenzen des Weglaufens. Natürlich, die meisten scheinen die Wichtigkeit des Themas erkannt zu haben, zumindest vordergründig. In Interviews, die Vorstandsvorsitzende geben, in Bilanzpressekonferenzen oder bei Messen fällt sehr oft das Wort Digitalisierung. Die Frage ist, was steckt dahinter.
Was steckt denn dahinter?
Oft scheint die Angst vor Veränderung größer zu sein als der Wille, ein schlüssiges Konzept für den Wandel zu gestalten. Dabei muss es jetzt wirklich schnell gehen, die Unternehmen müssen bereit sein, bestehende Geschäftsmodelle in Frage zu stellen.
Wie ist der Wandel am besten zu gestalten?
Die Bereitschaft muss das ganze Unternehmen durchdringen, und das geht nur von oben nach unten. Das Bewahren des Alten ist ein zutiefst menschlicher Impuls, gerade innerhalb großer Systeme. Wenn wir uns jedoch anschauen, wie schnell die Digitalisierung die Gesellschaft verändert, wie die Menschen sich vernetzen, was das Smartphone heute zu leisten vermag, dann bringt dieses Tempo Probleme für die Autohersteller mit sich. Die haben bisher ihren ganz eigenen, komplett anderen Rhythmus, mit denen Innovationen auf den Markt kommen.
Erläutern Sie das bitte.
Die Abläufe sind festgelegt: Wann bringe ich das nächste Modell, wann kommt das nächste Facelift. Und plötzlich gibt es Tesla oder Google, die ins Geschäft drängen. Die kommen aus einer Welt ohne jahrelange Entwicklungszyklen. Dort beschließt man eine Unternehmung – und legt sofort los. IT-Unternehmen leben in einer Kultur der Innovationen und haben viel früher begonnen, sich auch mit dem Wandel der Mobilität zu beschäftigen. Automobilhersteller hingegen leben in einer Kultur der Effizienz. Dort gibt es fragmentierte Hierarchien, alles ist arbeitsteilig geregelt. Was die klassischen Hersteller gar nicht mögen, ist das große Ganze in Frage zu stellen.
Das klingt ja fast hoffnungslos…
Nein, ist es nicht – wenn sich die Struktur der Unternehmen wandelt. Der Trial-and-Error-Prozess bei Neuentwicklungen beispielsweise muss sich völlig ändern. Er muss viel schneller werden, Prototypen müssen schneller entwickelt, und gegebenenfalls auch schnell wieder verworfen werden.
"Game Change" heißt Ihr Buch. Inwieweit ändert sich nun das Spiel? Welche neuen Regeln werden gelten?
Man darf sich nicht mehr als klassischen Automobilhersteller im Premiumsegment sehen, sondern als Mitgestalter eines unabwendbaren Wandels des Mobilitätsverhaltens der Menschen. In Asien und Südamerika können wir diesen Wandel gut beobachten. Dort ist in großen Städten schon heute fast kein Ausbau des Straßennetzes mehr möglich. Da werden bereits Seilbahnen gebaut, um die Menschen innerstädtisch zu bewegen. Ein eigenes Auto ist eben nicht mehr das Nonplusultra. Jetzt fragt sich, was die Automobilhersteller bieten können.
Ihrer Einschätzung nach wird die Industrie von "top-down orientierten Effizienzmaschinen dominiert". Der Chef einer dieser Effizienzmaschinen ist Dieter Zetsche, der sich nun aber selbst zu wandeln scheint. Er entsagt neuerdings Krawatte und Anzug und tritt lässig in Jeans und Sneakern auf.
Herr Zetsche hat immerhin ein Geschmäckle davon bekommen, was die Veränderung auch braucht. Ich glaube, es geht ihm darum, sich ein Stück weit auf Augenhöhe mit den Mitarbeitern zu bewegen. Das ist ein richtiger Ansatz. Sein Wunsch könnte sein, dass sich seine Mitarbeiter so eher ins Unternehmen einbringen, ihr Potenzial entfalten, als wenn sie einem Chef gegenüberstehen, der sie aus seinem Elfenbeinturm heraus mit Krawatte und Chauffeur nach ihrer Meinung fragt. Entscheidend ist allerdings, wie Zetsche die Strukturen des Unternehmens verändert. Bei Daimler wird jetzt ein Neugestaltungsprogramm namens Leadership 2020 implementiert, da denkt man über die Herausnahme ganzer Hierarchieebenen nach, es geht um eine verbesserte Feedbackkultur, auch um die effizientere Zusammenarbeit mit Startups. Das ist der richtige Weg.
Kann man Daimler wie ein Startup führen?
Nicht eins-zu-eins, aber man kann sich vieles abschauen. Entscheidende Prozesse dürfen nicht nach unten delegiert werden. Der digitale Wandel ist so ein Prozess. Das Topmanagement darf sich nicht nur als Teil der Lösung gerieren, es muss sich auch als Teil des Problems definieren. Ich habe in diesen großen Systemen immer wieder den Impuls wahrgenommen, dass man in der Chefetage zum mittleren Management sagt „Gut, wir haben verstanden, jetzt macht ihr mal." Genau so funktioniert es nicht. Der Chef muss den Wandel zu seinem wichtigsten Projekt machen.
Die "Süddeutschen Zeitung" war nicht begeistert vom legeren Zetsche. Man verglich ihn mit den Erdkundelehrern der 80er Jahre, die einen auf lässig machten, am Ende aber die halbe Klasse durchrasseln ließen…
Da möchte ich eine Lanze für Herrn Zetsche und seine Kollegen brechen. Die sind über die Jahrzehnte durch ihr System sozialisiert worden. Es war lange Zeit probat, in einer fragmentierten Unternehmensstruktur erst lange zu ackern und die Ellenbogen auszufahren und dann oben die Verantwortung zu tragen und vieles zu delegieren. Nun hat man sein Ziel erreicht und wird mit Dingen wie Digitalisierung, Konnektivität und Elektromobilität konfrontiert, die alles auf den Kopf stellen. Jetzt muss das Topmanagement sein Selbstverständnis als Führungskraft ändern.
Wie soll das konkret gehen? Ab in die Therapie – oder den Ruhestand?
Nein. Existenziell jedoch wird nun die Teamfähigkeit auf höchster Ebene. Studien haben ergeben, dass von der Teamfähigkeit im Vorstand und im Aufsichtsrat der Erfolg eines Unternehmens wesentlich abhängt. Gerade Aufsichtsräte erkennen das oft nicht an. Und ich habe bisher noch kein Board gesehen, das man wirklich als Team hätte bezeichnen können. Kritik am Bestehenden ist selten an der Tagesordnung, schließlich hat man auch die eigene Karriere im Blick, da will man nicht als Störer auffallen. Ein gutes Team aber definiert sich gerade dadurch, dass man offen redet und die anderen in die Pflicht nimmt. Dazu gehört: Im Board muss ein Chief Digital Officer oder Chief Innovation Officer sitzen – solche Kompetenz ist extrem wichtig in der höchsten Entscheidungsebene. Der Geist der Innovation muss im eigenen Unternehmen zuhause sein, nicht nur in Kooperationen mit Startups.
... sonst läuft man Gefahr, das Schicksal der Firma Kodak zu erleiden? Sie nennen das als abschreckendes Beispiel. Kodak hatte zwar die Digitalfotografie entwickelt, das Management aber setzte auf analoge Technologie – und wickelte so das Unternehmen ab. Sehen Sie die Gefahr, dass BMW & Co „kodaked" werden, wie man in den USA sagt?
Ich bin sicher, dass es einige Automobilhersteller in Zukunft nicht mehr geben wird und dafür andere auf den Plan kommen. Wer das sein wird, kann man heute nicht sagen. Ich glaube aber auch, dass die Autohersteller genau wissen, dass es jetzt um ihre Existenz geht. Alle buhlen um Startup-Unternehmen, digitale Dienste werden aufgekauft. Natürlich versucht man zu suggerieren, dass man alles im Griff hat. Aber man müsste auch mal offen sagen, dass die Situation gerade ganz schön hart ist. Eine gewisse Ratlosigkeit steht am Anfang eines jeden kreativen Prozesses.
Eine neue Generation von Managern wächst in die Industrie hinein, die sogenannten Digital Natives der Generation Y. Menschen, die zwischen 1977 und 1998 geborenen wurden. 2030 werden rund 50 Prozent der Führungskräfte zu dieser Generation gehören. Könnte das zu spät sein?
Ja. Die größte Herausforderung der Automobilindustrie ist heute die: Menschen, die nicht zur Generation Y gehören, treffen in wichtigen Positionen Entscheidungen für eine neue Generation, deren Bedürfnisse sie nicht richtig nachempfinden können. Wo gehen denn die jungen Digital-Talente heute hin? Nicht mehr zu den großen Konzernen. Attraktive Arbeitgeber zeichnen sich heutzutage durch eine hohe und frühe Eigenverantwortung und ein innovatives Umfeld aus. Das können Autohersteller nicht bieten. Automobilkonzerne sind Verbesserungsmaschinen. Man verändert ein wenig das bestehende Produkt und hält das für den großen Wurf. Kreative Mitarbeiter werden durch alte Strukturen blockiert. Wer Fragen stellt, läuft schnell gegen Wände aus Hierarchien, Kompetenzgerangel und Partikularinteressen.
Sie nennen VW als Beispiel. Dort herrsche eine Angstkultur. Probleme müssten auf mittleren Ebenen gelöst werden, weil sich keiner traue, dem Chef zu berichten. Wie lässt sich ein Riesenkonzern neu strukturieren?
Hierarchien können zu einer Angstkultur führen. Die eigene Arbeit wird automatisch beurteilt von einem Vorgesetzten, der den Mitarbeiter auch sanktionieren kann. Was macht der Mitarbeiter also? Er schaut, wohin sein Chef gerade geht – und argumentiert systemkonform in die gleiche Richtung. Innovationen aber entstehen meist außerhalb von Hierarchien. Sobald jemand das Sagen hat, hemmt er die anderen, ihre wahren Gedanken einzubringen.
Was also ist Ihre Empfehlung?
Den Mitarbeitern muss erklärt werden, warum dieser Wandel unerlässlich für das weitere Bestehen des Unternehmens ist. Außerdem müssen offene Fragen der Mitarbeiter ehrlich beantwortet werden. Was passiert mit denen, die jetzt im Bereich der Verbrennungsmotoren beschäftigt sind? Was passiert mit dem Händlernetzwerk, dem Ersatzteilwesen, den Werkstätten? Diese Ängste darf das Topmanagement nicht verdrängen.
Eine aktuelle Umfrage von Porsche Consulting besagt: Jeder vierte Angestellte hat Angst vor dem digitalem Wandel. Drei Viertel möchten sich gerne mehr einbringen bei der Gestaltung der Zukunft, knapp 25 Prozent aber haben kein Interesse. Wie holt man denn die Mitarbeiter mit ihren Ängsten ab?
Es ist doch großartig, das 75 Prozent offen für den Wandel sind. Da würde ich auch ansetzen und mit diesen 75 Prozent an Mitarbeitern gehen, die Lust darauf haben. Von den Skeptikern werden noch einige auf den neuen Zug aufspringen. Am Ende wird es immer einige geben, die keine Lust auf Digitalisierung haben. Aber das ist auch okay.
Mehr zu den Veränderungen, die der Autobranche durch die Digitalisierung bevorstehen, erfahren Sie auf der Automobilwoche Konferenz am 15. Februar 2017 in München. Zu den Referenten gehört Porsche-Digital-Chef Thilo Koslowski. Bis Ende des Jahres gibt es einen Frühbucher-Rabatt - nutzen Sie die Gelegenheit! Mehr über die Automobilwoche Konferenz erfahren