Herr Binnig, Sie verabschieden sich zum Jahresende nach mehr als 20 Jahren bei Rheinmetall Automotive in den Ruhestand. Welche Periode war die Spannendste?
Die ersten Jahre in China waren auf jeden Fall die interessantesten. Ich kam im Februar 1999 zu Kolbenschmidt Pierburg und war damals verantwortlich für den Bereich Unternehmensentwicklung. Eine meiner ersten Aufgaben war die Verhandlung eines Joint Ventures in Schanghai.
Wie hat sich das China-Geschäft seitdem entwickelt?
1999 lag unser Umsatz bei 20 Millionen Euro, heute liegt er bei rund einer Milliarde Euro. Ich denke das kann sich sehen lassen.
Sie wollen in China in den Aufbau einer 5G-Infrastruktur einsteigen. Was bewegt Sie dazu?
Wir verfolgen schon seit mehreren Jahren eine Diversifizierungsstrategie. Auf Grund unserer Kernkompetenzen gehen wir der Frage nach, was uns außerhalb der Antriebsarten an möglichen Geschäftsfeldern zur Verfügung steht. Vor einigen Jahren sind wir in Deutschland beispielsweise in der Solartechnik gestartet und haben hochkomplexe Gussgehäuse für Elektronikapplikationen gegossen.
Erwarten Sie im 5G-Bereich schon bald Aufträge?
Derzeit laufen die Vorbereitungen für einen großen Auftrag mit einem chinesischen Kunden für den wir Aluminiumgehäuse für 5G-Module liefern sollen. Mit unseren Gießereien in China verfügen wir über Kompetenzen, solche Gehäuse, die sehr präzise gefertigt werden müssen, herzustellen. Die Gehäuse unterscheiden sich nicht wesentlich von der technischen Applikation von Batteriegehäusen für ein Fahrzeug. Auf jeden Fall ist das für uns ein hoch interessanter potenzieller Markt außerhalb von Automotive.
Was gehört ebenfalls zur Diversifizierungsstrategie?
Beispielsweise unser 48-Volt-Pedelecantrieb mit dem wir 2021 in Produktion gehen wollen. Wir sind in die Pedelecentwicklung eingestiegen, um neue Anwendungsfelder für die 48-Volt-Technologie zu suchen. Wir wollen mit den Antrieben vor allem Fahrradhersteller im Top-End-Bereich beliefern, aber wir wollen kein Fahrradhersteller werden.
Rheinmetall Automotive hat kürzlich den Auftrag zur Lieferung von Brennstoffzellen-Komponenten für Brennstoffzellenfahrzeuge erhalten. Branchenkreisen zufolge soll Audi der Kunde sein. Können Sie das bestätigen?
Es ist ein großer deutscher Fahrzeughersteller, mehr kann ich aufgrund vertraglicher Regelungen dazu nicht sagen. Die elektrischen Klappensysteme werden bei der Regelung der Frisch- und Abluftmassenströme, sowie der hochdichten Absperrung der Brennstoffzellenstacks eingesetzt. Wir beschäftigen uns mit dem Thema Brennstoffzelle bereits seit über 20 Jahren und sind dabei natürlich nicht nur auf einen Kunden fixiert.
Welchen Stellenwert nimmt die Brennstoffzellentechnologie innerhalb Ihrer Strategie ein?
Sie ist ein wichtiger Bestandteil im Rahmen unser Elektrik- und Elektronikstrategie. Wir erzielen heute schon einen signifikanten Umsatzanteil mit Produkten die in hybridisierte und vollelektrische Fahrzeuge gehen. Wenn das Thema Brennstoffzelle Fahrt aufnehmen sollte, dann haben wir den Fuß in der Tür, um hohe Volumina erreichen zu können.
Aber heute sind Sie noch stark vom Verbrennungsmotor abhängig?
2018 entfielen 77 Prozent unseres Umsatzes auf Komponenten wie Kolben, Motorblöcke oder für die Abgasrückführung für Verbrennungsmotoren. Es ist unser Ziel für 2040, diese Marke auf 30 Prozent zu senken. Ebenfalls 30 Prozent wollen wir im Bereich der E-Mobilität erreichen, wozu wir auch die Hybride zählen. Der Rest entfällt dann auf Produkte, die nicht am Verbrennungsmotor hängen wie beispielsweise die erwähnten 5G-Gehäuse, Strukturbauteile oder Gleitlager, die unter anderem in Türen oder Sitzen eingesetzt werden.
Das heißt, Sie rechnen mit einem eher beschleunigten Umschwung in Richtung E-Mobilität?
Auf jeden Fall bereiten wir uns strategisch darauf vor. Wir gehen davon aus, dass die Fahrzeughersteller alles tun werden, um keine CO2-Strafen zahlen zu müssen, und wir erwarten, dass China seine Gesetzesvorgaben umsetzen wird.
Müssen die Mitarbeiter um ihre Jobs fürchten?
Da muss man differenzieren. Das Unternehmen ist nach meinem Erachten hervorragend aufgestellt, und wir sind auf dem richtigen Weg. Es bleibt aber immer die Frage: Was macht die Konjunktur? Und da werden auch wir nicht ungeschoren davonkommen. Uns geht es zwar immer noch besser als dem Markt, aber wir gehen davon aus, dass wohl auch 2020 kein problemloses Jahr wird. Wir stehen voll auf der Kostenbremse und haben aktuell einen qualifizierten Einstellungsstopp.
Was meinen Sie damit?
Leute, die wir dringend brauchen, stellen wir nach wie vor ein. Wir sind im Moment weit davon entfernt, Mitarbeiter entlassen zu müssen. Aber gefeit sind wir davor auch nicht.
Welche Herausforderungen kommen auf Ihren Nachfolger zu?
Den strategischen Weg, der jetzt klar vor uns liegt, in den nächsten fünf Jahren auch konsequent umzusetzen. Dazu müssen Fragen geklärt werden, ob die Werksstrukturen noch stimmen oder ob die Qualifikationen der Mitarbeiter passen. Es wird ein Spagat, einerseits die Anforderungen des Marktes zu erfüllen und andererseits noch so viel Geld zur Verfügung zu haben, dass der Umsatzanteil für den Bereich Forschung und Entwicklung vielleicht sogar noch gesteigert werden kann.
Lesen Sie auch:
Autokrise - Umsatzprognose: Rheinmetall wird etwas vorsichtiger
Binnig geht aus persönlichen Gründen: Rheinmetall muss sich neuen Autozuliefer-Chef suchen
Auftragspaket für Zulieferer: Rheinmetall erhält Auftrag in Höhe von 470 Millionen Euro
Dazu aus dem Datencenter: