Die zukünftigen Erfolgsfaktoren für den Autohandel

Zunehmende Modellvielfalt, aufkommende Elektrofahrzeuge sowie digitalen Autowelten im Showroom verändern die Strukturen und Prozesse im Automobilhandel. Das Gesicht des deutschen Automobilhandels wird sich in den nächsten Jahren weiter verändern.

Die Digitalisierung stellt für den Autohandel einerseits eine Bedrohung dar, andererseits liegen darin auch große Chancen.

Darüber hinaus setzt sich der Konsolidierungsprozess in zunehmendem Tempo fort: Die Anzahl der wirtschaftlich und rechtlich selbstständigen Automobilhandelsgruppen hat sich von 2000 bis 2015 von 18.000 auf 7.400 reduziert. Nach einer Prognose des Instituts für Automobilwirtschaft wird sich die Zahl auf 4.500 bis zum Jahr 2020 reduzieren. Jeder dritte Händlerbetrieb wird seine Selbständigkeit aufgeben müssen.

Jedes Automobilhandelsunternehmen muss die Zusammenarbeit mit dem Hersteller, seine Betriebsform, seine internen Strukturen und seine Prozesse im Neufahrzeughandel, im Gebrauchtfahrzeuggeschäft und im Service überprüfen.

Das heutige Vertragshändlersystem leidet unter der Push-Strategie der Hersteller. Der Renditedruck der Hersteller lässt keine andere Strategie zu. Wachsende Kapital- und Fixkostenintensität der Produktion und inflexible Beschäftigungsstrukturen zwingen die Hersteller zu stabiler und konstanter Auslastung ihrer Fabriken.

Diese Art der Push-Strategie führt zu hohen Lagerbeständen im Handelsbetrieb. Die daraus resultierenden Risiken und Kosten trägt die Handelsorganisation.

Das Problem lässt sich nur durch eine tiefgreifende Strukturänderung der heutigen Handelsorganisation lösen. Eine Lösung wäre der Zusammenschluss selbständiger Komplettbetriebe zu einemBetriebsverbundmit Haupt- und spezialisierten Zweigbetrieben. Im Rahmen eines in einem Unternehmen integrierten Verbundes von Betriebsstätten an mehreren Standorten werden nicht mehr an allen Standorten alle Geschäftsfelder betrieben. Es findet stattdessen eine Differenzierung und damit eine Konzentration bestimmter Geschäftsaktivitäten auf einzelne Standorte statt.

98 Prozent derVerbraucher besitzen einen Internet-Anschluss. Nur noch vier Prozent der Generation 50 plus hat keinen Online-Zugang. 68 Prozent aller Käufer nutzen das Internet auch für den Neuwagenkauf.

Die Bedeutung des Händlers als Informationsquelle ist aber nicht gesunken. Das Internet positioniert sich nicht gegen den Händler, sondern etabliert sich als neue wichtige Informationsquelle neben dem Autohaus. Aus prozessualer Sicht schiebt sich das Internet nun an den Anfang des Kaufentscheidungsprozesses. Nach Recherchen des Instituts für Automobilwirtschaft liegt der Anteil der Kaufwilligen, die die komplette Kaufaktion über das Internet abwickeln würden, lediglich bei circa zehn Prozent, und dies bei einem erwarteten Preisnachlass von rund 20 Prozent.

Der Verkauf eines Neuwagens über das Internet wird vor allem dadurch erschwert, dass nicht alle Prozesse des Autokaufs virtualisierbar sind. Dies betrifft den nach wie vor kaufentscheidenden Prozess der Probefahrt, der Inzahlungnahme eines Vorwagens und der Fahrzeugübergabe.

Bisher scheuen die Automobilhersteller den Direktvertrieb ihrer Fahrzeuge über das Internet, vor allem aufgrund der dadurch entstehenden Wettbewerbssituation mit ihren Handelsorganisationen. Ein solcher Vertriebsweg würde zur Verdrängung und Kannibalisierung des klassischen Vertragshandels führen.

Bei weiter schrumpfendem Anteil des Privatkundenabsatzes stellt der Online-Direktvertrieb für die Automobilhersteller aber eine strategische Option für den Neufahrzeugverkauf dar. Dies setzt allerdings eine vollständige Neuorganisation der Distributionswege und -prozesse voraus.

Auch die zweite Variante des Online-Direktverkaufs durch die Vertragshändler stößt auf den Widerstand der Automobilhersteller. Diese haben als Systemführer kein Interesse daran, dass die Vertragshändler ihr Geschäft online betreiben. Der Vertragshändler soll sein regionales Marktbetreuungsgebiet bearbeiten und das dort vorhandene Kundenpotenzial ausschöpfen. Der Online-Vertrieb der Vertragshändler hätte einen ruinösen Intrabrand-Wettbewerb zur Folge. Deshalb zielen die vertraglich festgelegten Hersteller-Standards auf die Konzentration des Neufahrzeugverkaufs am physischen Point of Sales.

Der persönliche Kundenprozess, also die Akquisition, Beratung und Betreuung des Kunden am Point of Sales ist auch weiterhin der wichtigste aller vertrieblichen Prozesse. Es ist nicht die Frage entscheidend, ob der Hersteller zukünftig noch mit Vertragshändlern zusammenarbeiten will oder ob interaktive Medien Handelsfunktionen ersetzen können. Allein die Frage, ob der Automobilkunde auch in Zukunft noch eine persönliche Beratung und Betreuung beim Kauf und bei der Nutzung seines Fahrzeugs wünscht, ist die für den Automobilhandel alles entscheidende Überlebensfrage. Geht dieses Fundament verloren, wird dies das Ende des Automobilhandels in seinen heutigen Strukturen sein.

Der Stellenwert des persönlichen Verkaufs ist umso höher je erklärungsbedürftiger und hochwertiger die angebotenen Produkte sind. Das Automobil gilt als das typische Produkt, das den persönlichen Verkauf erfordert. Die persönliche Beratung hat einen starken Verbündeten, in dem menschlichen Streben nach Bequemlichkeit, der Convenience. Während der Anteil der Kunden, die sich im Autohaus lediglich umschauen wollen, sehr stark zurückgeht, wird die schnelle und abschlussorientierte Bearbeitung vonLeads,also von Kontakten mit potenziellen Kunden, zum entscheidenden Erfolgsfaktor im Automobilvertrieb. Dabei müssen Hersteller und Händler sehr eng zusammenarbeiten und Akquisitions- und Kundenbetreuungsprogramme verzahnen.

Die Generierung von Leads muss physisch auch weiterhin im Autohaus bei Events, bei Road Shows oder traditionell über Anzeigen oder Direktmarketing durch Briefe oder Telefon erfolgen. Die internetbasierte Leadgenerierung erfolgt über Händler- und Hersteller-Websites, Suchmaschinen, E-mails und sozialen Medien. In diese Gebiete müssen Hersteller und Händler investieren.

Prof. Bernd Gottschalk ist Gründer und Managing Partner der AutoValue GmbH in Frankfurt/Main. Er war Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), des Weltverbandes der Automobilverbände (OICA), Paris, und langjähriger Vizepräsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI).

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