Immer mehr chinesische Automarken drängen auf den europäischen Markt. Fast unbemerkt hat der Volkswagen-Partner SAIC mit der einst britischen Marke MG Fuß gefasst und befindet sich seit zwei Jahren auf Wachstumskurs. Seit dem Frühjahr ist MG Motor auch in Deutschland aktiv. Im Interview spricht Jan Oehmicke, Vertriebschef für Deutschland, Österreich und die Schweiz, über die Pläne der Marke und die zwei neuen Elektro-Modelle.
Herr Oehmicke, warum hat MG vor zwei Jahren den Sprung nach Europa gewagt?
Unser Eigentümer SAIC ist der größte Automobilhersteller in China mit langjähriger Erfahrung in der Produktion und trifft wohlüberlegte Entscheidungen. Europa ist nun mal einer der wichtigen Automobilmärkte der Welt. Die Zeit ist reif, hier eine Marke zu etablieren, die den Fokus klar auf elektrische Fahrzeuge legt. Aber natürlich sind wir uns bewusst, dass Europa aufgrund der Vielzahl der Länder, der politischen und geografischen Gegebenheiten sowie unterschiedlicher Kulturen eine große Herausforderung für einen neuen Hersteller ist.
Sie haben in diesem Jahr bis September in Europa 40.000 Fahrzeuge verkauft. Haben Sie die gesteckten Ziele erreicht?
Wir sind sehr zufrieden mit der Entwicklung. Ich würde aber lügen, wenn ich behaupte, wir hätten alle Ziele erreicht. Wir sind in Summe optimistisch und sehen, dass unsere zwei Modelle MG ZS-EV und EHS Anklang bei den Kunden finden und unsere Partner im Handel die Marke sehr gut annehmen. Sie sehen eine Möglichkeit, ihr Geschäft mit uns zusammen in eine positive Richtung zu lenken.
Hat der Chipmangel auch Sie gebremst?
Auch wir sind dem Thema ausgesetzt. Wir konnten das aber bisher ganz gut managen. Unser Absatzvolumen ist bisher nicht von Versorgungsengpässen beeinflusst. Ich will aber nicht ausschließen, dass wir in den nächsten Monaten die eine oder andere Schwankung erleben werden. Im Gegensatz zu vielen anderen Herstellern sind die Absatzzahlen im September bei uns jedoch deutlich gestiegen.
Wie lange haben Sie Zeit, um profitabel zu werden?
Momentan liegt der Fokus darauf, unser Geschäft in die richtige Richtung zu entwickeln, die Marke MG zu etablieren und zu somit weiter zu wachsen. Da investieren wir natürlich. Aber auch ein Konzern wie SAIC will Geld verdienen. Deshalb werden auch alle Entscheidungen mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit hin überprüft. Aber wenn man neu in einen Markt wie Europa mit sehr viel Konkurrenz eintritt, braucht es natürlich einen langen Atem und Investitionen.
Hat die historische Marke MG Einfluss, obwohl die Autos ja völlig anders aussehen?
In Großbritannien ist die Marke noch sehr präsent. Auch auf dem Kontinent erinnern sich viele Kunden noch an die Roadster von MG und reagieren positiv. Wir positionieren unsere Fahrzeuge aber klar im Bereich der Elektromobilität und haben mit den Produkten von damals wenig Berührungspunkte. Unserer Geschichte und Tradition sind wir uns aber bewusst! Eine Analogie ist sicherlich, dass MG damals den Markt für Roadster und Sportwagen preislich attraktiv gestaltet hat. Das wollen wir für den Elektromarkt auch tun.
Was heißt das genau?
Wir sehen, dass die Transformation mit großer Geschwindigkeit voranschreitet, die Eintrittsbarriere in die Elektrowelt aber mit Hürden verbunden ist, was Preis oder Verfügbarkeit angeht. Bei uns sollen Kunden fündig werden, die Plug-In-Hybride oder Elektromodelle mit hoher Qualität zu einem vernünftigen Preis suchen.
Wen wollen Sie damit ansprechen, Kunden von Dacia?
Es geht nicht um einzelne Marken. Wir wollen für alle interessant sein, die bisher auf Attribute wie ein gutes Preis-Leistungsverhältnis geachtet haben und nun im Bereich der Elektromobilität etwas Passendes suchen. Wir schauen nicht ganz nach oben, aber auch nicht ganz nach unten. Wir sind im klassischen Volumensegment unterwegs.
Mit Aiways und demnächst Great Wall oder Nio kommen weitere chinesische Marken. Wie ernst nehmen Sie diese?
Selbstverständlich schauen wir uns das Wettbewerbsumfeld genau an. Wir sind aber zuversichtlich, dass wir mit dem, was wir anbieten und wie wir es anbieten, erfolgreich sein werden. Dazu kommt, dass SAIC über sehr viele Jahre Erfahrung im Automobilbau und –verkauf gesammelt hat. Deshalb sind wir überzeugt, uns auch gegenüber neuen Marktteilnehmern behaupten zu können.
Seit dem Frühjahr sind Sie auch in Deutschland präsent. Wie ist das angelaufen?
Deutschland ist das Kernland der Automobilindustrie und daher natürlich ein besonderer Markt. Wir sind in diesem Kontext aber sehr zufrieden. Das liegt auch an unserem schnell wachsenden Agentur-Netzwerk, das bis Ende des Jahres schon auf über 100 MG Brand Stores anwachsen wird. Das zeigt uns, wie schnell wir hier Fuß fassen können und ein interessanter Partner für den Automobilhandel sind.
Wie soll es weitergehen?
Bisher sind wir sehr stark im Privatkundensegment unterwegs und wachsen jetzt auch im Firmenkundensegment. Die ersten sechs Monate im operativen Geschäft haben wir also erfolgreich gemeistert. Aber wir sind natürlich längst noch nicht da, wo wir hinkommen wollen. Wenn wir eine solide Marktabdeckung erreichen wollen, müssen wir unser Netz an Vertriebs- und Servicestützpunkten sicher nochmals um 30 bis 40 MG Brand Stores erweitern.
Wer sind die Händler?
Das sind meist Mehrmarken-Autohäuser. Wir arbeiten mit dem Agenturmodell, die Händler bieten also die MG Fahrzeuge in unserem Namen und Rechnung den Kunden an. Sie wickeln auch den Service ab. Wir sind bei den Provisionen im Marktdurchschnitt gut unterwegs und bieten die Chance, zu guten Konditionen und mit überschaubaren Investitionen zusätzliche Fahrzeuge der Marke MG in den Markt zu bringen. Uns zeichnet aus, dass wir sehr eng mit unseren Partnern zusammenarbeiten.
Was für neue Modelle sind geplant?
Beim Elektro-SUV ZS dreht es sich um eine Evolution mit erweiterten Batterieoptionen. Der funktioniert schon gut im Markt. Beim Marvel R, der im Oktober Markteinführung hat, zeigen wir was technologisch machbar ist. Das ist ein hochmodernes, komfortables Fahrzeug mit bis zu 400 Kilometer Reichweite, bei dem wir mit Größe, Ausstattung und Preis etwas höher positioniert sind, aber im Vergleich zur Konkurrenz auch viel mehr bieten. Dann kommt im nächsten Jahr der MG 5, der als Kombi in der Elektrowelt bisher einzigartig ist. Zusätzlich sind wir mit dem bereits in diesem Jahr eingeführten Plug-In-Hybrid EHS gut unterwegs und sehen ein wachsendes Kundeninteresse.
Wie sind die Erwartungen?
Von beiden Modellen erwarten wir uns einen wesentlichen Schub für das Wachstum in allen europäischen Märkten, weil die Produkte neue Segmente erschließen und sich nicht überlappen. Dazu kommt, dass sich die Marktabdeckung deutlich verbessert. Es kommen neue Partner in den bereits etablierten Märkten sowie neue Länder wie zum Beispiel Finnland oder die Schweiz hinzu. In ganz Europa wollen wir Ende des Jahres bei 400 Händlerpartnern bzw. MG Agenturen sein.
Ist es auf lange Sicht eine Option, Autos in Europa zu produzieren?
Momentan importieren wir die Fahrzeuge aus China. Wir wachsen stark und je größer der Markt wird, um so mehr stellt sich die Frage, ob eine lokale Fertigung aus betriebswirtschaftlicher Sicht sinnvoll ist. Aber momentan gibt es dazu keine konkrete Überlegungen. Das entscheiden wir, wenn wir eine kritische Größe erreicht haben.
Viele chinesische Marken haben sich schon in Europa versucht. Was macht Sie zuversichtlich, dass es bei MG klappen wird?
Wir sind der größte Automobilhersteller in China mit mehr als fünf Millionen Fahrzeugen pro Jahr. Wir haben langjährige Erfahrung in der Fertigung und liefern eine entsprechende Qualität ab. Wir merken, dass Fahrzeuge der Marke MG in Europa ihre Kunden finden. Dennoch gehen wir die Dinge mit einer kritischen und selbstreflektierten Haltung an und wollen ein seriöser Partner sein. Daher sind wir sehr zuversichtlich, dass wir unsere Position ausbauen können.
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