Schon in den vergangenen Jahren hatte die Autobranche in Italien mit Problemen zu kämpfen. Die Corona-Krise hat den Druck jetzt noch einmal erhöht. Die Automobilwoche sprach mit Paolo Scudieri, dem Präsidenten des italienischen Autoverbands Anfia, über die aktuelle Situation.
Herr Präsident Scudieri, wie ist die Lage der italienischen Autoindustrie?
Verheerend. Der Umsatz ist im Zeitraum Januar bis Juli um 41,7 Prozent zurückgegangen. Das ist sehr besorgniserregend, auch wenn die Erlöse im Juli "nur" noch um elf Prozent gesunken sind. Italiens Autoindustrie zählt mehr als 5000 Unternehmen und setzt mehr als 110 Milliarden Euro um.
Aber es gibt Hilfsprogramme der Regierung für die Branche!
Ja, die Unternehmen haben die Kurzarbeitsregelungen voll in Anspruch genommen, aber das reicht nicht. Bisher sind nur Maßnahmen im Umfang von 50 Millionen Euro geplant. Andere wie Frankreich machen da viel mehr. Dass es Hilfen für den Kauf von Autos mit einem CO2-Ausstoß bis 110 Gramm pro Kilometer für alle Antriebsarten gibt, ist ein erster Schritt. Jetzt will die Regierung weitere 500 Millionen Euro für die am stärksten geschädigten Sektoren, darunter die Autoindustrie, locker machen. Wir wünschen uns, dass die Hilfen die Nachfrage in Richtung des Kaufs schadstoffarmer Fahrzeuge lenkt und auch die Erneuerung leichter Nutzfahrzeuge, die bisher von Hilfsmaßnahmen ausgeschlossen sind, beinhaltet.
Warum braucht es die Hilfen?
Weil der Fahrzeugbestand in Italien sehr alt ist und wir mehr als 13 Millionen Autos der Schadstoffklassen Euro 0 bis Euro 4 haben und bei den Händlern viele unverkaufte Autos stehen. Mit den Hilfen könnte man viel für die Umwelt tun, indem alte durch neue Autos ersetzt werden.
Es geht aber nicht nur der Autoindustrie schlecht!
Die Branche ist ein Pfeiler der europäischen Wirtschaft und zu wichtig, als dass man sie sich selbst überlassen kann. Die Autoindustrie trägt 440 Milliarden Euro zu den Steuereinnahmen in Europa bei. Wir müssen verhindern, dass sich die Krise im Herbst noch verschärft. Die Umsetzung von Umwelt- und Emissionsregeln muss deshalb wenigstens für zwei oder drei Jahre verlangsamt werden, denn wir brauchen die Mittel für die Forschung und die Lösung der Herausforderungen, vor denen unsere Branche steht. Wir brauchen eine Pause, um Investitionen in Innovationen, neue Technologien, das autonome Fahren, Elektro- und Hybridautos tätigen zu können. Wir dürfen diese Branche nicht in Gefahr bringen.
Wie eng sind die Beziehungen zwischen der deutschen und der italienischen Autoindustrie?
Deutschland ist unser wichtigster industrieller Partner weltweit. Diese Partnerschaft ist für uns fundamental. Unsere Zulieferer exportieren Komponenten von extremer Bedeutung nach Deutschland, allein im ersten Quartal 2020 im Wert von 782 Millionen Euro. Das waren sieben Prozent weniger als 2019. Und Italien ist ein sehr wichtiger Markt für die deutschen Hersteller.
Italiens Autoindustrie hat stark an Bedeutung verloren. Warum?
Der Automarkt ist ein Weltmarkt. Es braucht deshalb global tätige Unternehmen. Die Fusion von Fiat Chrysler und Peugeot Citroen ist deshalb eine gute Nachricht für die Branche und für Italiens Industrie. Das hilft uns bei der Umstellung, schafft große Synergien und hilft uns, die Herausforderungen zu meistern, zu deren Lösung es viel Kapital braucht.
Aber wir haben in Italien auch außergewöhnliche Marken wie Ferrari, ein weltweit einzigartiger Hersteller. Und wir haben viele Komponentenfertiger, die sich immer wieder angepasst und verändert haben. Ich hoffe, das wird auch diesmal so sein.
Der chinesische Hersteller FAW will ein großes Autowerk in der Emilia-Romagna bauen. Was bedeutet das für Italien?
Das wäre eine einmalige Chance für uns und würde zeigen, dass die Kompetenzen und das Know-how Italiens auch von den Chinesen geschätzt werden. Wir haben viel Platz, große Kompetenzen und qualifizierte Arbeitskräfte. Außerdem gibt es öffentliche Hilfen. Italien kann auch vom Brexit profitieren.
Ist Italien auf die Herausforderungen der Branche vorbereitet?
Ja, klar. Wir arbeiten daran, Kompetenzen und Partner für Innovationen zu suchen. Es braucht eine strategische Vision auf europäischer Ebene. Wir müssen Entscheidungen über Technologien treffen und Bedingungen schaffen, um sie unter Realbedingungen zu erproben. Das könnte in Süditalien geschehen, wo wir Platz, Arbeitskräfte und Kompetenzen haben.