Mit der EQ-Familie will Mercedes bei den reinen Elektroautos in den nächsten Jahren den Schalter umlegen. Wie dies gelingen soll und warum dafür keine eigene Zellfertigung bei Daimler notwendig ist, erläutert Jochen Hermann, Leiter für E-Antriebe bei Mercedes, im Automobilwoche-Interview.
Herr Hermann, die zehn Elektromodelle von Daimler sollen bis 2022 kommen, drei Jahre früher als geplant. Schaffen Sie das?
Wir arbeiten mit Hochdruck daran und werden immer genauer in unserer Planung. Maßgeblich ist die komplett neue Architektur für die Elektromodelle, die wir derzeit entwickeln. Wenn dies geschafft ist, lassen sich die darauf basierenden Modelle durchaus schneller nachziehen. Aus unserer Sicht hat die Elektromobilität den viel zitierten Tipping Point erreicht und wir wollen entsprechend zeitig am Markt sein.
Nachdem Sie also lange gezögert haben, kann es jetzt nicht schnell genug gehen?
Da muss ich widersprechen. Unsere Antriebsroadmap ist klar auf Elektrifizierung ausgelegt, orientiert sich aber nicht zuletzt auch an den Wünschen und am Mobilitätsverhalten unserer Kunden, die einen echten Mercedes ohne Kompromisse wollen. Dabei sind etwa die Reichweite und Ladezeit ausschlaggebende Themen. Wir haben heute die Batterietechnologie, um auch längere Strecken ohne Aufladen und damit Elektromobilität auch außerhalb des urbanen Raums. zu ermöglichen Wir sind jetzt an dem Punkt, wo wir Fahrzeuge entwickeln können, mit denen alle Vorteile der Elektromobilität nutzbar sind.
Aber kaufen es die Kunden auch?
Unser Ziel ist jedenfalls, dass der Umstieg freiwillig kommt, weil das Gesamtpaket stimmt. Der Fahrspaß wird deutlich erhöht, das Auto wird ganz anders vernetzt sein, es erhält ein neues und cooles Design und ist auch noch emissionsfrei. Mit unserer neuen Marke EQ gehen wir Elektromobilität ganzheitlich an. Vom Fahrzeug bis hin zur passenden Infrastruktur für zu Hause und unterwegs. Denn bei aller Diskussion um die öffentliche Ladeinfrastruktur ist es ja auch ein Vorteil, wenn ich daheim oder am Supermarkt laden kann und nicht mehr zur Tankstelle fahren muss und in der Schlange stehen, weil vor mir einer fünf Schokoriegel kauft.
Der erste EQ kommt 2019, sind da Tesla und andere nicht schon enteilt?
Dass nicht alle sofort nachgezogen haben, heißt für mich eher, dass nicht jede Marke die eigenen Ansprüche bei dieser Technologie erfüllt sieht. Wir haben eine klare Strategie und investieren sehr viel Geld und Energie in die neue Architektur für die Elektromobilität – und das nicht seit gestern. Den Kampf um den Kunden wird man nicht im ersten Jahr gewinnen oder verlieren.
Was ist noch die größte Herausforderung?
Ein großer Schwerpunkt ist sicher die Batterie, die wir selbst entwickeln und in unserer Fabrik in Kamenz herstellen. Sie ist der eigentliche Antrieb beim Elektroauto, weil sie über Reichweite und Leistung entscheidet. Außerdem ist sie ein großes und schweres Bauteil, das so integriert werden muss, dass alle Sicherheitsanforderungen erfüllt sind und noch ein ansprechendes Design möglich ist. Die Batterie machen wir deshalb selbst, bei anderen Komponenten wie etwa Motor setzen wir auch auf externe Partner und Kooperationen.
Wird auch die Zelle auf absehbare Zeit eingekauft?
Die Zelle muss man, anders als die Batterie, nicht selbst produzieren. Das ist ein klassisches Zukaufteil, wie beim Verbrenner, wo wir auch verschiedene Komponenten von Zulieferern beziehen. Indem die Produzenten die gesamte Industrie versorgen kommen sie auf Stückzahlen, die wir als einzelner Hersteller nie erreichen könnten. Trotzdem forschen wir natürlich auf diesem Gebiet, um Trends zu erkennen und auf Augenhöhe verhandeln zu können.
Bosch liebäugelt ja mit einer eigenen Zellfertigung. Würden Sie da zugreifen?
Genau deshalb wollen wir uns da nicht festlegen, um flexibel auf die Marktentwicklungen reagieren zu können und immer Zugriff auf die besten Produkte am Markt zu haben. Wir beobachten das mit Interesse, aber für das erste Auto der EQ-Familie käme dies zu spät. Dort haben wir bereits unsere Lieferanten.
Sie bauen derzeit die Batteriefabrik in Kamenz aus, folgen danach China und USA?
Eins nach dem anderen. Derzeit befinden wir uns in der nächsten Ausbaustufe in Kamenz. Aber natürlich kann man sich ausmalen, dass dies nicht das Ende ist. Die Batterie ist ein großes und schweres Element. Es ist daher sinnvoll, diese dort herzustellen, wo auch die Fahrzeuge produziert werden.
Mit dem Smart haben Sie bereits eine rein elektrische Produktfamilie am Start. Wie sind die Erfahrungen?
Mit der vierten Generation Smart electric drive starten wir gerade erst durch. Wir können also noch keine Zahlen nennen, doch die Nachfrage liegt bisher über unseren Erwartungen. Das Gesamtpaket stimmt. Je nachdem, wie hoch eine zusätzliche Prämie in einzelnen Ländern ausfällt, ist das Angebot sogar noch attraktiver.
Wo erwarten Sie den Durchbruch für die Elektromobilität?
Wir gehen davon aus, dass China eines der ersten Länder sein wird. Zum einen sehen wir heute schon viele chinesische Hersteller, die verstärkt in die Elektromobilität investieren. Zudem kann der Markt durch politische Vorgaben relativ leicht geregelt werden. Wir sind in der Produktion weltweit so flexibel aufgestellt, dass dies kein Problem wäre. Auch unsere eigenen Entwicklungsaktivitäten vor Ort helfen uns hier natürlich. Mit EQ bringen wir eine Bandbreite an Fahrzeugen, um alle Märkte je nach Nachfrage abdecken zu können.
Wird denn bei der elektrischen Reichweite der Autos genauso geschummelt werden wie bisher bei den Verbrauchsangaben?
Wir unterstützen ausdrücklich die Einführung des Messverfahrens des neuen und stärker an den realen Fahrbedingungen angelehnten Messverfahrens WLTP. Das gilt natürlich auch für unsere Elektroautos. Entsprechend planen wir für die EQ-Familie mit Reichweiten um die 500 Kilometer. Die individuelle Fahrweise des Kunden spielt aber dennoch eine zentrale Rolle. Unser Ziel ist es die Transparenz beim Kunden in Zukunft zu erhöhen.
Sie setzen als Übergangstechnologie stark auf den Plug-In-Hybrid. Braucht man den wirklich?
Der Plug-in hat seine Daseinsberechtigung. Ich kann lokal emissionsfrei fahren, trotzdem aber mit Unterstützung des Verbrenners bequem von Stuttgart nach Hamburg kommen. Außerdem lässt sich beim Fahren im Hybridmodus der Verbrauch deutlich senken, immer vorausgesetzt, ich lade die Batterie auch auf. Wenn die elektrische Reichweite mit der nächsten Fahrzeuggeneration nochmals steigt und die Kosten sinken, ist dies nicht nur eine Krücke, sondern eine gute Alternative in einer volatilen Welt. Wir versuchen alle Antriebsarten abzubilden, die der Kunde sich wünscht.
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