Die S-Klasse kann, aber wann darf sie?

Aus Sicht des Autofahrers ist es der entscheidende nächste Schritt: Während bei den bisher verfügbaren Fahrassistenzsystemen auf Stufe 2 der Fahrer stets in der Verantwortung bleibt und deshalb alle zwei Sekunden aufgefordert wird, das Lenkrad mit den Händen zu berühren, bedeutet Stufe drei die Wende.

Hier übernimmt das System in bestimmten Situationen wie etwa im Stau auf der Autobahn die Lenkung und Temporegelung des Fahrzeugs. Der Fahrer muss nicht mehr dauerhaft überwachen und kann sich Nebentätigkeiten widmen wie etwa Mails schreiben oder einen Film schauen. Ertönt ein Warnsignal, muss er innerhalb von zehn Sekunden übernehmen, ansonsten bremst das Auto kontrolliert ab.

Die neue S-Klasse soll die technologischen Voraussetzungen für den Staupiloten spätestens im zweiten Halbjahr 2021 erfüllen können – zunächst bis zu einer Geschwindigkeit von 60 Stundenkilometer, später soll auch ein schnelleres Tempo möglich sein. Auch für das sogenannte Automated Valet Parking, also das selbsttätige Einparken im Parkhaus ohne Fahrer (Stufe 4) ist das Fahrzeug dann ausgerüstet. "Technisch haben wir die Aufgabe mit unseren Sensoren samt Lidar gelöst", sagt Daimler-Entwicklungschef Markus Schäfer bei der Vorstellung des Fahrzeugs in Sindelfingen.

Der so genannte Drive Pilot baut dabei auf der Umfeldsensorik des zur Serienausstattung gehörenden Fahrassistenzpakets auf. Zusätzlich kommen hier aber Lidar sowie eine Kamera in der Heckscheibe und Mikrofone zum Einsatz, um beispielsweise auch von hinten nahende Einsatzfahrzeuge zu erkennen. Ergänzend erhält der Drive Pilot Informationen aus hochaufösenden Karten, er kann Verkehrszeichen, Baustellen und Unfälle wahrnehmen. Was der Drive Pilot kosten wird, ist noch nicht bekannt.

Ebenfalls noch unklar ist, wann und wo der Drive Pilot tatsächlich eingesetzt werden kann. "Die technische Entwicklung läuft hier mit der Regulatorik parallel", sagt Schäfer. Hier sei eine gewisse Dynamik nicht auszuschließen. So habe Mercedes das Überholen bereits im Griff gehabt, sei aber von den Behörden ausgebremst worden. "Wir müssen hier aufpassen, dass ein System nicht ad absurdum geführt wird", so Schäfer.

Dies wurde bereits dem Audi A8 zum Verhängnis, der schon zur Einführung vor zwei Jahren die Voraussetzungen der Stufe 3 erfüllte. Doch der Gesetzgeber verlangte später die Kamera im Heck für die Einsatzfahrzeuge, die dem A8 fehlte. Audi erschien die Freischaltung auch aus Versicherungsgründen zu heikel, der Hersteller verzichtete in der aktuellen Fahrzeuggeneration daher auf das Angebot des Staupiloten.

Deutschland hat bereits im Jahr 2017 ein Gesetz für die Zulassung von hoch automatisierten Fahrzeugen verabschiedet und gilt hier weltweit als Vorreiter. "Das begrüßen wir sehr", sagt Renata Jungo Brüngger, im Daimler-Vorstand für Integrität zuständig. Doch das Problem ist, dass die nationalen Regeln bisher sehr unterschiedlich sind und es einen Flickenteppich gibt.

"Wir hoffen, dass wir in Europa schnell weiterkommen", sagt Schäfer. Bis Mitte nächsten Jahres könnte es eine Regelung auf EU-Ebene geben, die dann wiederum in nationales Recht umgesetzt werden muss. Immerhin haben die Vereinten Nationen inzwischen verbindliche internationale Regeln für das automatisierte Fahren auf Level 3 verabschiedet. Die Regelung soll im Januar 2021 in Kraft treten und definiert, wie die Übergabe des Steuers zwischen Fahrer und Computer ablaufen muss.

Vor allem in staugeplagten Großstädten dieser Welt rechnet Schäfer mit einer großen Nachfrage nach dem Drive Pilot. Deshalb soll die Einführung auch in den USA und China möglichst schnell erfolgen, sobald die rechtliche Situation eine Abwendung des Fahrers vom Straßengeschehen erlaubt. In den USA kommt erschwerend hinzu, dass hier theoretisch jeder einzelne Bundesstaat seine eigenen Regeln erlassen kann.

Für die weiteren Stufen des automatisierten Fahrens hat Daimler seine Strategie inzwischen geändert. So wurde die gemeinsame Entwicklung von voll automatisierten Robotaxis mit Bosch zurückgestellt, weil die Herausforderungen für den Einsatz im komplexen Verkehr einer Großstadt noch zu groß sind.

Stattdessen sollen nun Anwendungsfälle für die Trucksparte erarbeitet werden. Vor allem im Verkehr von einem Logistikzentrum zum anderen über die Anbindung einer Autobahn sieht Schäfer ein Beispiel, das technologisch in absehbarer Zeit zu lösen ist und außerdem ein Geschäftsmodell verspricht, da Fahrer so länger im Einsatz bleiben können.

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