Herr Graf, wohin orientiert sich das Unternehmen nach Abschluss der Restrukturierung?
Wie in unserer neuen Strategie formuliert: in Richtung beschleunigter Evolution und Wachstum. Aber zunächst müssen wir die aktuelle Lieferkettenkrise bewältigen. Ich bin für uns optimistisch, aber es gibt derzeit noch große Herausforderungen für unsere Kunden und für unsere Lieferanten. Primär müssen wir das Tagesgeschäft am Laufen halten. Nichtsdestotrotz haben wir klare Pläne für die Zukunft.
Welche Entwicklung erwarten Sie?
Unter normalen Marktbedingungen rechnen wir damit, dass wir bis in das Jahr 2025 wieder deutlich wachsen. Und zwar mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von knapp zehn Prozent, so dass wir dann auf einen Umsatz von 1,2 bis 1,3 Milliarden Euro kommen. Wir wollen uns auch regional verstärken, vor allem in Asien, das heißt in Japan und Korea. Da sehen wir noch Raum für zusätzliches Wachstum. Auch bei unseren Produkten sehen wir Potenzial, beispielsweise bei digital gestützten Lösungen für Fahrzeugzugang und Autorisierung wie Phone-as-a-Key und natürlich im Bereich der Elektromobilität.
Ist das durch größere Aufträge gedeckt?
Wir haben im Sommer den mit Abstand größten Auftrag unserer Unternehmensgeschichte erhalten. Hinzu kommen weitere hochvolumige Aufträge in diesem Jahr. Die Nachfrage nach unseren Produkten ist ungebrochen und hat nach den weltweiten Lockdowns wieder deutlich Fahrt aufgenommen. Besonders erfreulich: wir sind führend bei Türgriffsystemen für Elektrofahrzeuge.
Was liefern Sie?
Huf deckt als einziger Automobilzulieferer das komplette Spektrum für Fahrzeugzugang und Autorisierung ab. Dazu gehören Türgriffsysteme, Kick-Sensoren, Heckzugangssysteme, elektrische Tankladeklappen, Funkschlüssel und Phone-as-a-Key. Dank unserer Systemkompetenz und unserer Expertise in Mechatronik und Sensorik, einschließlich Lösungen mit NFC, BLE, UWB sind wir gut gerüstet für die fortschreitende Digitalisierung, aber auch für den Trend zum autonomen Fahren. Ein autonomes Fahrzeug – und vor allem eins, das per digitalem Schlüssel geteilt wird - muss ganz besonders gegen unwillkürliches Öffnen und unbefugten Einstieg gesichert sein. Hier können wir mit unserem kompletten Portfolio punkten.
Wie präsent sind Sie in Asien?
Wir verfügen in Indien bereits über ein Werk, das wir ausbauen werden. In China ist Huf mit drei großen Werken sowie einem eigenen Werkzeugbau vertreten. Und wir haben eine kleine Einheit in Korea für Engineering und kleinere Montageumfänge. Mittlerweile haben wir auch die ersten Importaufträge aus China heraus für Kunden in Japan gewonnen.
Sind neue Werke geplant?
Über Produktionsstandorte werden wir dann entscheiden, wenn es entsprechende Markterfolge gibt und wir an der einen oder anderen Stelle lokalisieren müssen. Mit unserem derzeitigen Industrie-Footprint sind wir in Asien gut aufgestellt. Aber mittel- und langfristig sind Verstärkungen möglich. Entweder durch eigene Werksgründungen, aber möglicherweise auch durch Akquisitionen.
Will Huf ein Familienunternehmen bleiben?
Auf jeden Fall. Wir haben das Glück, das Huf relativ wenige Gesellschafter hat und diese sich untereinander gut verstehen. Velbert bleibt unser Hauptsitz, auch mit wesentlichen Entwicklungsaktivitäten und einer kleinen Produktion.
Huf hat vor rund zwei Jahren die Elektronikfertigung an Katek verkauft. Wollen Sie sich von weiteren Bereichen trennen?
Nein, das geschah im Rahmen der Transformation. Wir haben noch eine relativ große Elektronikfertigung in Mexiko und in Schanghai. Und mit Katek haben wir einen sehr guten Partner gefunden, der uns aus dem Werk in Düsseldorf weiterhin beliefert. Generell werden wir in der Elektronikfertigung tätig bleiben. Da werden wir die Kapazitäten noch ausbauen.
Welchen Umsatz werden Sie 2021 erreichen?
Wir werden deutlich unter einer Milliarde Euro liegen. Gegenüber unseren ursprünglichen Planungen fehlen uns beim Umsatz etwa 20 Prozent. Das heißt, dieses Jahr wird eher noch schlechter als das Coronajahr 2020. Da gab es noch ein relativ starkes zweites Halbjahr. 2020 lagen wir knapp unter einer Milliarde Euro Umsatz. Das werden wir in diesem Jahr wohl nicht ganz erreichen. Für 2022 planen wir dann mit einem leichten Wachstum. Bis auf das erste Quartal 2021 werden wir das ganze Jahr 2021, und wir vermuten auch noch 2022, auf niedrigem Niveau verharren.
Ist Besserung in Sicht?
Wir gehen davon aus, dass sich in der zweiten Jahreshälfte 2022 der ein oder andere Engpass wieder löst, so dass wir dann in normalere Gefilde zurückkehren können. Teilweise werden von unseren Kunden die Produktionsziele innerhalb eines Monats um 40 oder 50 Prozent reduziert, weil sie keine Fahrzeuge produzieren können. Bei uns füllen sich dann die Lager. Wir verabreden jetzt Kürzungen mit unseren Kunden bei den Abrufen, weil von vornherein klar ist, dass die Mengen nicht abgeholt werden können.
Hat sich das Verhalten der Fahrzeughersteller geändert?
Die Kunden sind vor allem bei kleineren Zulieferern wie uns häufiger bereit, zu unterstützen. Das sind Kooperationen, die früher gar nicht möglich gewesen wären. Da gibt es jetzt Bewegung, was die Zusammenarbeit mit den Fahrzeugherstellern betrifft. Das muss man schon positiv festhalten. Die Fahrzeughersteller müssen ja auch darauf achten, dass in ihre Lieferlandschaft keine Löcher gerissen werden.
Was sehen Sie für 2022 als größte Herausforderung?
Wir haben von 2019 bis 2021 eine Restrukturierung durchgeführt, und dabei eine signifikante Ergebnisverbesserung erzielt. Die war notwendig, aber sie hat auch Geld gekostet. Das heißt, es kommt jetzt zur Unzeit, dass die Märkte wegbrechen. Wir haben großes Glück, dass wir mit der Restrukturierung früh begonnen haben. Als Corona kam, waren wir schon im Restrukturierungsmodus und haben unsere Gewinnschwelle signifikant nach unten geschraubt, so dass wir jetzt auch bei niedrigen Umsätzen zumindest keine negativen Betriebsergebnisse schreiben.
Wie viel Produktion hat Huf noch in Deutschland?
Nur noch in Velbert. Wir haben hier vor allem viel Ersatzteilgeschäft. Weltweit ist unsere Belegschaft in den vergangenen Jahren von knapp 11.000 auf etwas mehr als 7000 Mitarbeiter zurückgegangen. Auch in Velbert hat es einen großen Aderlass gegeben, weil die Kunden für diesen Standort keine Aufträge mehr vergeben haben. Deutschland gilt nun mal als teurer Produktionsstandort. Was wir hier noch an Serienaufträgen produzieren, ist von den Kunden so gewünscht, weil sie teilweise auch sicherheitsrelevant sind. Beispielsweise das Thema Diebstahlschutz des Fahrzeugs. In Velbert sind vor allem die Verwaltung, die Entwicklung und die Zentralfunktionen angesiedelt.
Könnte auch wieder mehr Produktion nach Deutschland kommen?
Unter anderem wegen des permanenten Preisdrucks ist Deutschland als Produktionsstandort für uns nicht mehr von strategischer Bedeutung, gleichwohl aber als Standort für Know-how, Entwicklung und Innovationen.
Huf verfügt in Rumänien über einen großen Entwicklungsstandort, den sie erweitern wollen. Wird Entwicklung sukzessive aus Deutschland verlagert?
Es war in der Vergangenheit eine sukzessive Verlagerung, die jetzt aber beendet ist. In Timisoara sind Entwicklung, Projektmanagement, Validierung, Prototyping und Testing angesiedelt. Mittlerweile haben wir dort über 200 Mitarbeiter. Es gibt in Rumänien viele gut ausgebildete Menschen, die auch gerne für einen Mittelständler arbeiten. Im Bereich Elektronik, Mechatronik und Software ist es hierzulande schwierig Personal zu finden. Es war für uns daher auch strategisch wichtig, einen großen Entwicklungsstandort in Rumänien aufzubauen.
Welche Veränderungen in der Wertschöpfungskette erwarten Sie?
Die Zulieferindustrie steht in den nächsten zehn Jahren vor fundamentalen Veränderungen. Es gibt zudem große Diskussionen bei unseren Kunden, was sie künftig selber machen wollen, und welche Umfänge die Zulieferer entwickeln und liefern sollen. Sowohl die Zuliefererlandschaft wie auch das Wertschöpfungsmodell bei den Kunden wird sich noch signifikant ändern. Das liegt daran, dass durch die E-Mobilität eine Reihe wertvoller Industriearbeitsplätze verloren geht. Auch bei den Fahrzeugherstellern, die ihre Mitarbeiter in irgendeiner Form beschäftigen müssen. Deswegen ist nicht ausgeschlossen, dass die Autohersteller gewisse Teile der Wertschöpfung wieder ins Haus holen, die vorher von Zulieferern geleistet wurden.
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