Die Krise ist vorbei, aber nicht für alle

Basierend auf den vierteljährlichen Finanzdaten von 70 europäischen Automobilzulieferern – in erster Linie Tier 1 und 20 europäischen Fahrzeughersteller (OEMs), hat die Unternehmensberatung Alvarez & Marsal analysiert, wie sich die Zuliefererbranche zwischen 2017 und dem ersten Quartal des Jahres 2021 entwickelt hat und welche Schlüsse sich daraus ableiten lassen.

Auch wenn Corona einen massiven Einfluss auf die Automobilindustrie sowie auf die Weltwirtschaft hatte, musste sich die Automobilindustrie (OEM wie auch Zulieferer) bereits vor der Pandemie mit erheblichen Herausforderungen durch die aktuellen Megatrends Elektrifizierung, autonomes Fahren, Konnektivität und neue Mobilitätskonzepte sowie die Transformation der Branche auseinandersetzen.

"Die Eigenkapitalquote der Unternehmen hatte sich bis 2019 sukzessive reduziert. Die laufenden Preisreduktionen der Fahrzeughersteller können die Tier-1-Lieferanten normalerweise nicht 1:1 nach unten weitergeben, da die Margen der Zulieferer in den Ebenen Tier 2 und folgende meist wesentlich geringer sind", erläutert Joachim Lubsczyk, Managing Director bei Alvarez & Marsal im Gespräch mit der Automobilwoche. Die Zulieferer müssen dieser Margenerosion daher durch entsprechende Kostenmaßnahmen bei der eigenen Wertschöpfung entgegenwirken, meint Lubsczyk. Neben dem stärkeren Margenverlust im Vergleich zu den OEMs verzeichneten die Zulieferer zwischen 2017 und 2019 auch eine schwächere Eigenkapitalquote von durchschnittlich Minus 2,5 Prozentpunkten.

Nach den finanziellen Rückschlägen durch den Beginn der Pandemie im zweiten Quartal der Jahres 2020 erholten sich Nachfrage und Produktionsvolumen in der zweiten Hälfte des GJ 20 schnell. Diese Erholung trieb auch die Profitabilität an. Seit dem dritten Quartal des vergangenen Jahres haben die EBITDA-Margen in der gesamten Branche wieder das Vorkrisenniveau erreicht, so ein Ergebnis der Untersuchung.

Diese Erholung ist nach Angaben der Autoren zum Teil auf eine sich langsam normalisierende Nachfrage und auf umfangreiche öffentliche Krisenhilfen zurückzuführen. Dabei habe sich gezeigt, dass die Erholung der Profitabilität bei den Automobilzulieferern langsamer verlief als bei den OEMs. Die begrenzte Datenverfügbarkeit für das erste Quartal 2021 hätten einen Vergleich der absoluten Umsätze allerdings schwierig gemacht, bedauern die Autoren. Die EBITDA-Margen deuten nach Einschätzung der A&M-Berater jedoch auf eine nachhaltige Erholung hin.

In den drei Jahren vor der Krise stagnierte die Overhead-Kostenmarge der Automobilzulieferer, während das Streben der OEMs nach schlanken Strukturen Wirkung zeigte. Im Jahr 2020 gelang es den Fahrzeugherstellern sogar, das Kostenniveau im Overheadbereich weiter zu senken. Das hatte zur Folge, dass sich nach der Krise der Abstand zwischen OEMs und Zulieferern in diesem Bereich dramatisch vergrößert hat, so ein weiteres Ergebnis der Untersuchung. Bezogen auf das erste Quartal 2017 gelang es den OEMs demnach, ihre Overhead-Kostenmarge um zehn bis 15 Prozent zu senken, während die Zulieferer einen Anstieg von vier bis 16 Prozent verzeichneten. Eine mögliche Erklärung sieht die Unternehmensberatung darin, dass das Management der Krise bei den OEMs weniger Ressourcen gebunden hat als bei den Zulieferern, die daher an ihrer zugrundeliegenden Kostenstruktur arbeiten müssten.

"Beim Verhältnis der Produktionskosten zum Umsatz konnten die Fahrzeughersteller im Vergleich zu den Zulieferern das Niveau in etwa halten, während bei den Zulieferern ein relativer Kostenanstieg zu verzeichnen ist. Das heißt, die OEMs konnten ihre Preise gegenüber den Zulieferern zumindest stabil halten, während diese nicht in der Lage waren, Preiserhöhungen der weiteren Tier-n-Stufen nach oben weiterzugeben", erklärt Lubsczyk. Der Managing Director erklärt das so: "Je weiter man in der Zuliefererkette nach unten geht, desto größer wird der Materialkostenanteil, während Wertschöpfung und Margen tendenziell abnehmen. Somit wird der Spielraum für laufende Preisreduktionen auch geringer."

Auch die Kosten im Bereich Forschung und Entwicklung sind nach seiner Einschätzung im Verhältnis zum Umsatz gestiegen. Lubsczyk führt das darauf zurück, dass alle Unternehmen bereits intensiv an der Transformation hin zur E-Mobilität arbeiten. "Das trifft Fahrzeughersteller wie Zulieferer gleichermaßen."

Als Beispiel für die ungleiche Machtverteilung zwischen Zulieferern und Fahrzeugherstellern werten die Autoren den Umstand, dass die OEMs die Auswirkungen auf ihre eigene Liquidität auf Kosten der Lieferanten abfederten. Denn die OEMs zahlten die Rechnungen ihrer Lieferanten während der Pandemie-Hochzeiten nur deutlich verzögert. Ein ähnliches Verhalten der Tier 1 gegenüber ihren Unterlieferanten registrierten die Autoren hingegen kaum. "Das konnten wir nur in wesentlich geringerem Umfang als bei den OEMs beobachten", sagt Lubsczyk.

Besonders macht den Zulieferern die ungewöhnliche Häufung von Materialpreissteigerungen zu schaffen. "Neben den klassischen Rohmaterialien wie Aluminium, Kunststoff oder Stahl gibt es noch einige Sonderphänomene wie im Bereich der Seefracht. Das hat es zuvor in der Form nicht gegeben“, erklärt Andreas Knott, wie Lubsczyk ebenfalls Managing Director bei Alvarez & Marsal. Die Kosten für einen 40-Fuß Container auf den wichtigsten Strecken von Asien nach Nord-Europa hätten sich vom langjährigen Durchschnitt von 2000 US-Dollar auf über 8000 US-Dollar vervierfacht. Auch die Preise für Kartonagen im Bereich Verpackung und von Holz für Paletten seien stark angestiegen.

Doch während die Zulieferer für Rohstoffe und Transportleistungen ihre Preise bei steigenden Konditionen unmittelbar anpassen, gelingt das dem Tier 1 gegenüber den Fahrzeugherstellern nur in Ausnahmefällen. "Wir haben jetzt das Phänomen, dass sich die Wareneingangsseite für den Tier 1 weiter verteuert und er das auf der Warenausgangsseite nicht an den OEM weitergeben kann. Wir erleben also noch eine Verschärfung der Situation gegenüber den Vorjahren, die sich in den von uns erhobenen Zahlen noch gar nicht widerspiegelt, weil das ein Phänomen dieses Jahres ist", erläutert Knott.

Für den außergewöhnlichen Anstieg der Seefrachtkosten macht Knott eine Verkettung mehrerer Faktoren verantwortlich. Zum einen wurden bei Ausbruch der Pandemie in 2020 die Transportkapazitäten weltweit reduziert. Seit Ende 2020 steigt jedoch die Nachfrage nach Kapazität weltweit stark an. Allerdings brauche es Zeit, bis wieder genügend Schiffe und Container rund um den Globus in Umlauf sind. Zusätzlich hat die Blockierung des Suezkanals einen Stau auf den wichtigen Strecken von Asien nach Europa erzeugt. "Noch stärker waren die Auswirkungen durch die Schließung des chinesischen Hafens Yantian nach einem Corona-Ausbruch", ergänzt Knott.

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