Daimler-Chef Ola Källenius ist gerade dabei, das Unternehmen neu zu formen. Im Interview zum Start der IAA in München spricht er über die Erwartungen an die Messe, die beschleunigte Elektroffensive und die bevorstehende Abspaltung der Truck-Sparte.
Herr Källenius, die IAA ist die erste physische Messe in Europa seit langer Zeit. Freuen Sie sich darauf?
Wir freuen uns sehr drauf. Weil wir viele Neuheiten haben und weil wir wieder persönlich zusammenkommen. Wir haben gelernt, wie wir das trotz Corona sicher gestalten können. Das Konzept von München hat uns überzeugt mit einer Kombination aus Messe und dem so genannten Open Space, wo die Besucher die Produkte auch testen können. Das soll aber nicht heißen, dass die digitalen Events nicht funktionieren. Auch wir werden unsere Veranstaltungen als Hybrid organisieren.
Gibt es aus Ihrer Sicht eine Botschaft, die von München für die Mobilität ausgehen sollte?
Das Geschenk unser Gründerväter war die persönliche mobile Freiheit, die letztlich auch die Grundlage für das ökonomische Wachstum und den Wohlstand unserer Welt ist. Dieses Gut gilt es zu erhalten und in die Zukunft zu tragen. Dafür braucht es die Dekarbonisierung, die wir bei Mercedes mit der Elektromobilität noch schneller als bisher erreichen wollen. Wichtig ist auch, dass die Mobilität in den nächsten Jahren durch das automatisierte Fahren noch sicherer und durch die Vernetzung noch spannender wird.
Gibt es Wünsche für die Politik nach der Bundestagswahl?
Wir haben mit dem Autogipfel ein Format geschaffen, bei dem wir sehr zielorientiert zwischen Industrie und Politik diskutiert und viele gute Lösungen für die Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft gefunden haben. Alle großen Autobauer haben sich klar zur Elektrifizierung bekannt. Jetzt ist die große Herausforderung die Lade-Infrastruktur. Wir begrüßen, dass das Verkehrsministerium hier nochmals nachgelegt hat, um schneller voranzukommen. Aber es reicht nicht, wenn beispielsweise Deutschland, die Niederlande oder die skandinavischen Länder vorauseilen. Wir brauchen einen Plan, der ganz Europa in den Blick nimmt.
Gilt das nur für die Elektromobilität?
Nein, wir brauchen auch eine Wasserstoffinfrastruktur. Hier reden wir über den Zeitraum zwischen 2025 und 2030. Für den schweren Lkw brauchen wir vor allem ein Netz entlang der wichtigsten Autobahnen. Wir selbst engagieren uns zusammen mit Shell, um zwischen Rotterdam und Köln entsprechende H2-Tankstellen aufzubauen. Ich bin überzeugt, dass jede Regierung nach der Bundestagswahl sich des Themas annimmt. Hier muss noch mehr passieren als bisher.
Braucht es dafür weiterhin den Autogipfel als einen stetigen Dialog?
Absolut. Ich finde das Format vorbildlich, weil hier offen miteinander gesprochen werden kann. Diesen Dialog würden wir bei Daimler und vermutlich auch der VDA unbedingt fortführen wollen. Es ist auch deshalb wichtig, damit die deutsche Industrie mit einer Stimme in Brüssel spricht. Das hat enorme Bedeutung für uns.
Die Vielfalt bei Mercedes ist explodiert. Ab 2025 soll es nur noch elektrische Plattformen geben. Gibt es eine Zielgröße, was die Modellpalette angeht?
Wir kommen hier mit einem neuen modularen Ansatz, der vor allem die Batterie und die Batteriesysteme, aber auch die Elektronik-Architektur und etwa das Infotainment mit MBUX umfasst. In dieser Dekade haben wir einen Aufwuchs an Modellen bis 2025, da sich auch der Markt bei den Antrieben in einer Transformation befindet. Auf dem Weg zu 2030 wird sich dies mit den neuen Architekturen, die rein elektrisch gedacht sind, wieder deutlich reduzieren. Dies passt zu unserer Strategie, nicht das größte Volumen, sondern den größten Wert zu schaffen. Die Reduzierung wird also am unteren Ende deutlicher ausfallen als oben bei den Luxusfahrzeugen.
Ab 2025 soll auch das neue Betriebssystem eingeführt werden. Mit Sajjad Khan ist Ihnen in einer wichtigen Phase der Wegbereiter von Bord gegangen. Ist das ein Problem?
Nein, es geht nahtlos weiter. Als wir die CASE-Organisation aufgebaut haben und den ersten Strategieschwenk zur Elektromobilität gemacht haben, wollten wir ein Schnellboot haben, das vorausfahren kann. Das hat Sajjad Khan maßgeblich mit aufgebaut. Jetzt ist das Mutterschiff auf den gleichen Kurs eingeschwenkt und mit der gleichen Geschwindigkeit unterwegs. Also haben wir intern diskutiert, dies wieder zusammenzuführen. Weil das Betriebssystem MB.OS so wichtig ist, haben wir dafür sogar die Funktion des Chief Software Officers geschaffen, der sowohl an Markus Schäfer als auch direkt an mich berichtet.
Aber das hätte ja auch Herr Khan machen können, oder?
Natürlich hätte er das machen können, aber er hat mir schon vor einem halben Jahr signalisiert, dass er seine unternehmerischen Gene im freien Markt ausprobieren und einen Tech-Fund nach amerikanischem Vorbild gründen will, um Start-ups mit neuen Technologien zu suchen. Mit Magnus Östberg haben wir einen absoluten Software-Experten gewonnen, der in der Umsetzung sehr stark ist. Die Architektur für MB.OS steht, nun wird das Haus gebaut. Deshalb sehen wir die Personalveränderungen gelassen.
Es soll aber auch einen Machtkampf mit dem Mercedes-COO Markus Schäfer gegeben haben.
Es hat keinen Machtkampf gegeben. Ich habe mit Sajjad Khan gesprochen und dabei ging es um die Frage, ob er in einer Linie in einem Industriekonzern arbeiten will oder als freier Unternehmer. Er hat sich für Letzteres entschieden und ich habe gesagt, ich helfe ihm dabei. Wir sind bei seinem Vorhaben als Anker-Investor von Anfang an mit dabei und wünschen ihm allen Erfolg.
Sie haben für dieses Jahr einen Elektro-Anteil von rund 13 Prozent beim Absatz angekündigt. Bleibt es dabei?
Wegen der CO2-Vorgaben der EU war es für uns ein enormer Schritt im Jahr 2020. Weil gewisse Erleichterungen bei den Flottenzielen wegfallen, müssen wir uns in diesem Jahr aber nochmals strecken. Was der genaue prozentuale Anteil an elektrischen Fahrzeugen sein wird, ist noch offen. Dabei spielt auch die Halbleiter-Krise eine Rolle, die in der gesamten Automobilproduktion zu Verwerfungen geführt hat. Diese Volatilität verhindert eine genaue Prognose. Aber aktuell sind wir im Zielkorridor, was die CO2-Vorgaben angeht.
Wie sehr wird Sie der Chipmangel beim Absatz bremsen?
Wie bereits vorhergesagt wird das dritte Quartal beim Retail-Absatz schwächer ausfallen als das zweite Quartal, als wir bei Mercedes-Benz Cars rund 590.000 Einheiten absetzen konnten. Wir haben nach dem zweiten Quartal gesagt, dass die Belastungen andauern. Mit den Werkschließungen bei Halbleiterlieferanten in Malaysia und anderswo ist die Herausforderung nun noch größer geworden, sodass unser Q3 Absatz voraussichtlich spürbar unter Q2 liegen wird.
Können Sie eine Prognose geben, wie viel Autos bis Jahresende nicht gebaut werden können?
Längerfristige Prognosen sind wirklich sehr schwierig. Wenn eine Behörde wie in Malaysia einen Lockdown in manchen Werken anordnet, dann fehlen diese Teile von heute auf morgen. Das kann kein Lieferant vorhersehen und wir natürlich auch nicht. Ich bin froh, dass wir unser Unternehmen in dieser Hinsicht schon deutlich flexibler und wetterfester gemacht haben. Hier agieren wir aus einer anderen Position als noch vor zwei oder drei Jahren. Wichtig ist, dass die Nachfrage nach den Fahrzeugen da ist. Irgendwann wird auch das Problem der Halbleiter gelöst sein.
Die Wartezeiten für viele Modelle betragen zum Teil über ein Jahr. Machen die Kunden das mit?
Wir haben ein Produktportfolio wie noch nie in unserer Firmengeschichte und genießen eine sehr hohe Nachfrage. Wir hatten schon vor Corona längere Lieferzeiten für begehrte Modelle wie etwa den GLE. Natürlich verstärkt der Chipmangel diesen Effekt. Die meisten Kunden haben dafür Verständnis. Wir helfen etwa mit verlängerten Leasing-Verträgen, damit unsere Kunden weiter einen Mercedes-Benz fahren können.
Auch der EQS ist begehrt. Was für Stückzahlen erhoffen Sie sich?
Die Resonanz ist super. Wir haben die volle Flexibilität in der Factory 56 in Sindelfingen mit S-Klasse und EQS und haben sogar eine dritte Schicht eingeführt. Ich erwarte, dass die S-Klasse in diesem Segment nach wie vor dominiert und der EQS dabei einen robusten Anteil erreichen wird. Genauere Aussagen zu Stückzahlen machen wir grundsätzlich nicht. Aber wir sind vor dem Markteintritt sehr zuversichtlich.
Der Preis liegt mit 106.000 Euro für das Einstiegsmodell deutlich oberhalb der S-Klasse. Ist das der Luxus-Strategie geschuldet oder ist Elektro einfach teurer?
Wir reden von einem Fahrzeug, das ein neues Segment definiert. Wir halten dies für einen attraktiven Preis, denn man bekommt eine Menge dafür. Noch sind die variablen Kosten in den ersten Jahren für die Elektromodelle höher. Aber wir stellen das gesamte Unternehmen auf eine elektrische Zukunft ein und arbeiten dafür an den Fixkosten und an den Mitteleinsätzen insgesamt. Diese sinken spätestens ab 2025, wenn wir uns auf ein rein elektrisches Portfolio konzentrieren. Dazu kommen über die Digitalisierung neue Einnahmequellen mit Abonnements, Software-Updates und vielem mehr. Wir rechnen damit, dass wir dann ein ähnlich robustes Geschäftsmodell haben wie heute.
Wird die S-Klasse perspektivisch vom EQS abgelöst? Ist Mercedes ohne S-Klasse überhaupt denkbar?
Mit dem EQS und der S-Klasse haben wir zwei fantastische Produkte eben erst in den Markt gebracht. Jetzt schon eine Blaupause für die nächste S-Klasse zu geben, wäre verfrüht. Ich kann aber so viel versprechen: Es wird bei Mercedes immer eine S-Klasse geben. Derzeit haben wir den glücklichen Umstand, dass es praktisch zwei Modelle gibt. Der Fokus liegt nun ganz auf dem Hochfahren der Elektromobilität. Ob der letzte Verbrenner dann 2030 oder etwas später vom Band läuft, ist weniger relevant und hängt auch von der Infrastruktur ab.
Müssen Sie die Motoren- und Getriebewerke mit der beschleunigten Elektro-Strategie stärker umbauen als bisher geplant?
Ich bin froh, dass wir hier schon einiges angestoßen haben, beispielsweise in Stuttgart-Untertürkheim und Berlin. Untertürkheim wird das Kompetenzzentrum für E-Mobilität mit der neuen E-Achse, der Batterieproduktion und einem Zell-Technikum. Aber wir brauchen auch die Verbrenner noch eine ganze Weile und müssen den Umbau daher in einem ausgewogenen Verhältnis machen. In Berlin wollen wir ein Kompetenzzentrum für die digitale Produktion schaffen, hier ist die Transformation noch größer. Insgesamt werden wir aber in vielen Bereichen nochmals nachlegen, wenn wir schneller als bisher auf 100 Prozent elektrisch umsteigen wollen.
Werden auch mehr Mitarbeiter gehen müssen?
Das bleibt im Rahmen der mit den Arbeitnehmervertretern beschlossenen Programme. Da wir über einen Zeitraum von zehn Jahren oder mehr reden, ist es auch möglich, sehr stark mit der Demografie und der natürlichen Fluktuation zu arbeiten. Wir sind uns unserer sozialen Verantwortung bewusst und nutzen die Instrumente sehr sorgfältig.
Eine Möglichkeit für Beschäftigung ist die Erhöhung der Wertschöpfungstiefe etwa mit eigenen Batteriezellfabriken. Wie wird der angekündigte Einstieg hier aussehen?
Wir haben ja schon sehr starke Partnerschaften beispielsweise mit CATL, bei denen bereits Zellfabriken für uns entstehen. Wir werden diese ergänzen um eine europäische Komponente. Hier bitte ich noch um ein klein wenig Geduld. Da sind wir in den letzten Zügen.
Aber was ist genau die Rolle von Daimler?
Bei der europäischen Alternative werden wir sicher eine stärkere Rolle spielen als bisher. Mehr kann ich heute noch nicht sagen.
Ein weiteres Großprojekt ihrer Amtszeit ist die Aufspaltung des Konzerns in Pkw und Trucks. Zieht die Belegschaft da mit?
Ja, denn es ist eine überaus spannende Zukunft. Seit über 100 Jahren sind wir eine Wohngemeinschaft, jetzt bezieht jede industrielle Sparte eine eigene Wohnung. Da herrscht Aufbruchsstimmung. Viele Fragen, etwa nach dem Fortbestehen der Betriebsvereinbarungen, sind geklärt. Beide Gesellschaften sind finanziell so ausgestattet, dass sie loslaufen und die Transformation gestalten können. Die Aktionäre haben zwar das letzte Wort, aber die Resonanz aus vielen Gesprächen ist sehr positiv. Das Listing an der Börse von Daimler Trucks ist noch für dieses Jahr geplant.
Wird auch Ihre Arbeit durch die Trennung einfacher?
Natürlich habe ich mich in der Rolle als Daimler-Chef um den gesamten Konzern gekümmert. Allerdings haben wir schon bisher starke Management-Teams in allen Sparten gehabt und nur die großen strategischen Fragen und Kapital-Allokationen im Vorstand abgestimmt. Mich persönlich treibt der Fokus auf den Kunden, Schnelligkeit und Agilität in der Transformation und die Schaffung von Werten für unsere Aktionäre. Wenn dann das Truck-Geschäft nicht mehr in meiner Verantwortung liegt, wird mein Arbeitstag trotzdem gut gefüllt sein. Da mache ich mir keine Sorgen.
Ihr Unternehmen wird durch die Abspaltung ja deutlich kleiner, was Umsatz und Mitarbeiter angeht. Passen sich auch die Gehälter im Vorstand an?
Das ist eine Frage, die der Aufsichtsrat beantworten muss. Aber wir definieren unser Geschäft ja nicht nur über die Anzahl der Mitarbeiter, sondern vor allem über den Wert, den wir schaffen können in den nächsten Jahren. Im Vordergrund stehen Themen wie Technologie, Innovation, die Kundenschnittstelle der Zukunft und wie wir unsere Geschäftsmodelle in den nächsten Jahren weiterentwickeln können. Unser Maßstab ist der Wertzuwachs für alle Stakeholder.
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