Herr Eichhorn, welche Schwerpunkte wollen Sie bei IAV setzen?
Wir verstehen uns als Premium-Entwicklungspartner und wollen diesen Anspruch mit unserer Expertise und unserem Know-how weiter ausbauen. Ich kenne IAV bereits sehr lange aus Kundensicht und einige Zeit auch als Aufsichtsratsvorsitzender, bevor ich als Vorsitzender der Geschäftsführung zu IAV gekommen bin. Daher freue ich mich besonders, dass ich jetzt noch stärker die strategische Ausrichtung des Unternehmens mitentwickeln kann.
Was bedeutet für Sie das Thema Premium?
Wir erbringen besonders gute Leistungen in der Technik, die wir anbieten. Das bedeutet aber auch, dass wir nicht alles anbieten.
Worauf wollen Sie verzichten?
Beispielsweise bestimmte Leistungen in der Karosserieentwicklung, etwa bei Blechteilen. Wenn solche Aufgaben Bestandteil eines Gesamtauftrages wären, würden wir das an andere Unternehmen untervergeben. Wir konzentrieren uns auf die Dinge, die wir besonders gut können.
Wo sehen Sie die Stärken von IAV?
Dazu zählt zunächst alles, was mit Antrieben zu tun hat – sowohl mit konventionellen als auch mit alternativen. IAV ist bekannt als Entwickler von Motoren, Getrieben und Applikationen. Schon heute sind aber auch 30 bis 40 Prozent unserer Antriebsaktivitäten im Bereich der E-Mobilität angesiedelt. Und wir verfügen über großes Wissen im Bereich der Elektrik/Elektronik und der Fahrerassistenzsysteme.
Und wie sieht es bei IAV im Bereich Software aus?
IAV verfügt über sehr viel Softwarekompetenz und baut gerade einen eigenen Softwarebereich auf. Dort beschäftigen wir uns mit Entwicklungen, die der Endverbraucher auch als Software wahrnimmt, beispielsweise dem Infotainment. Im Gegensatz zur Embedded Software wie beispielsweise der Motorsteuerung, wo der Autofahrer nur den Fortschritt bei der besseren Gasannahme seines Turbomotors spürt.
Wie groß soll der Softwarebereich werden?
Derzeit führen wir bei IAV aus unseren Organisationen Softwarespezialisten zusammen und werden noch in diesem Jahr 200 Softwareingenieure einstellen. Zum großen Teil in Berlin, aber auch an anderen Standorten. Derzeit beschäftigt IAV mehr als 300 Softwareingenieure.
VW-Chef Herbert Diess setzt stark auf die E-Karte. Sieht IAV das ebenso?
Da VW nicht nur 50-Prozent-Gesellschafter, sondern auch der größte Kunde von IAV ist, ergibt sich das automatisch. Wir wollen aber nicht alles andere ausschließen. Es wird noch für eine lange Zeit Verbrennungsmotoren geben, auch über das Jahr 2030 hinaus. Und es wird weitere Alternativen wie die Brennstoffzelle mit Wasserstoff, synthetische Kraftstoffe, Gasmotoren und anderes mehr geben. Momentan, und da gebe ich Herrn Diess völlig recht, ist es wichtig, dass wir die E-Mobilität zum Laufen bringen und uns nicht mit der Förderung und Markteinführung verschiedenster Alternativen verzetteln. Wenn wir bis 2025 und 2030 einen Effekt beim CO2-Ausstoß erreichen wollen, geht das nur über die E-Mobilität, sei es als Plug-in-Hybrid oder als rein batterieelektrisches Fahrzeug.
Wird sich dank Simulationen die Anzahl der gecrashten Fahrzeuge verringern?
Es lässt sich heute sehr viel simulieren, was vor Jahren noch nicht möglich war. Aber am Ende wird immer ein Bestätigungscrash benötigt, zwischendurch auch zur Validierung der Simulation. Insbesondere bei neuen Technologien. Es gibt zwei gegenläufige Entwicklungen. Zum einen lässt sich mehr simulieren, aber gleichzeitig haben die Fahrzeughersteller neben ihrem Verbrennerportfolio nun auch noch Elektrofahrzeuge im Programm. Und die laufen zum Teil auf sehr unterschiedlichen Plattformen, die unterschiedliche Crashprogramme benötigen. Wir sehen also keine echte Reduktion in den physischen Crashtests, auch wenn es pro Modell nicht mehr so viele Crashs sind.
Welche Fortschritte erwarten Sie auf dem Gebiet der Lithium-Ionen-Batterien?
Bei der heute verwendeten Lithium-Ionen-Dünnfilm-Technologie gibt es ein stetiges Entwicklungstempo, das höher ist, als ich mir das vor ein paar Jahren vorgestellt hätte. Das sind nicht Einzelmaßnahmen, die einen zweistelligen Effizienzgewinn bringen, sondern viele kleine Schritte. Beispielsweise bei der Packungsdichte, beim Energieinhalt, bei der Gewichts- und Kostenreduktion. Aber wenn zehn oder 20 solcher kleinen Schritte gemacht werden, kann das in Summe auch eine Verbesserung von 20 Prozent ergeben.
Und wo sind noch Technologiesprünge möglich?
Beispielsweise durch die Feststoffzelle, aber auch durch Entwicklungen bei der Zellchemie, wo wir praktisch auf dem Weg zur kobaltfreien Zelle sind. Bei manchen Anwendungen liegt der Kobaltanteil bei unter drei Prozent. Das wirkt sich direkt auf die Kosten und die Energiedichte aus.
Wird es künftig noch neue Motorengenerationen beim Verbrenner geben?
Es wird auf jeden Fall noch einmal eine neue Motorengeneration von verschiedenen Herstellern aufgesetzt werden. Innerhalb der Motorenfamilien, die ja sehr viel langlebiger als einzelne Fahrzeugmodelle sind, wird es noch eine sehr konsequente Weiterentwicklung geben. Bei der schnellen Weiterentwicklung innerhalb der existierenden Motorengenerationen ist die Frage nach einer neuen Motorengeneration eigentlich eine fachirrelevante Frage.
Wie sieht der Antriebsstrang der Zukunft aus ihrer Sicht aus?
Wir sehen eine Hybridisierung von praktisch allem. Es wird in absehbarer Zeit keine einigermaßen ambitionierten Verbrennungsmotoren mehr geben, die nicht mindestens über eine milde Hybridisierung verfügen. Ich sehe außerdem ein rasantes Wachstum von batterieelektrischen Fahrzeugen, beginnend noch in diesem Jahr, spätestens im nächsten Jahr. Bei diesem Thema steigen alle Fahrzeughersteller stark ein, insbesondere die deutschen.
Ist die deutsche Autoindustrie zu spät dran?
Die deutsche Autoindustrie verschläft nichts. Es ist eben ein Unterschied, ob ich mal einen Demonstrator auf die Straße stelle oder nur eine Kleinserie baue. Wenn aber ein E-Fahrzeug entwickelt wird mit der Sorgfalt, der technischen Tiefe, mit der Kunden- und Qualitätsorientierung, die die deutsche Autoindustrie nun mal hat, dann dauert das zwar etwas länger, dafür taugen die Autos dann aber auch was. Wenn wir eine breite Marktdurchdringung haben wollen, dann geht das nur mit Fahrzeugen, bei denen der Kunde im Alltagsbetrieb keine Abstriche gegenüber konventionellen Fahrzeugen machen muss. Und das wird bei der kommenden Generation von E-Autos so sein.
Welche Perspektiven sehen Sie für Hybridfahrzeuge?
Die eignen sich besonders für Haushalte, die nur über ein Fahrzeug verfügen – was ja mehrheitlich der Fall ist. Die elektrischen Reichweiten werden schon bald auf 70 bis 100 Kilometer ansteigen, so dass die meisten Menschen den Verbrenner in ihrem Plug-in-Hybrid im Alltagseinsatz nicht aktivieren müssen. Sie verfügen aber über das Potenzial, auch mehrere Hundert Kilometer weit fahren zu können. Wenn alle Fahrsituationen, die von hoher Dynamik geprägt sind, durch den E-Motor absolviert werden und der Verbrenner nur bei Volllast beziehungsweise im Langstreckenbetrieb aktiviert wird, dann ist das ein sehr bestimmungsgemäßer Einsatz des Verbrennungsmotors. Bei 130 km/h auf der Autobahn fährt so ein Motor ungefähr in seinem Effizienzbestpunkt.
Elektromobilität wird vor allem in China getrieben. Welche Pläne verfolgen Sie dort?
Wir wollen unsere Aktivitäten in China deutlich verstärken. In der Vergangenheit sind wir vor allem unseren deutschen Automobilkunden nach China gefolgt. Derzeit stellen wir aber eine verstärkte Nachfrage von Seiten chinesischer Hersteller fest. Insbesondere bei Themen, bei denen wir einen Wettbewerbsvorsprung für uns sehen.
Welche Bereiche sind das?
Das sind die Bereiche Elektromobilität, automatisiertes Fahren und künstliche Intelligenz im Auto. Diese werden in China insgesamt sehr ernst genommen und wir als IAV sehen uns dort stark aufgestellt. Unsere Entwicklungskapazitäten reichen in China nicht mehr aus und wir erweitern unseren bestehenden Standort in Schanghai. Bislang haben wir dort rund 120 Mitarbeiter beschäftigt, zukünftig können an dem Standort bis zu 400 Mitarbeiter untergebracht werden.
Wegen der IAV-Beteiligung am Abgas-Skandal haben Sie in den USA einen Vergleich über eine Strafzahlung von 35 Millionen Dollar geschlossen und werden für zwei Jahre einen unabhängigen Compliance-Monitor beauftragen. Ist diese Person schon bestimmt worden?
Es gibt eine Auswahl an Kandidaten für den Posten des Monitors. Wir rechnen damit, dass die Position in Abstimmung mit der US-Justiz noch im Mai besetzt wird und der Monitor dann seine Aufgabe bei IAV wahrnimmt. Wir möchten das Monitoring für uns nutzen, um als Engineering-Partner für die Automobilindustrie noch besser und als Unternehmen noch stärker zu werden. Davon unabhängig haben wir bereits 2013 ein umfassendes Compliance-System eingeführt und bauen es kontinuierlich aus.
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