Herr Reindl, das Institut für Automobilwirtschaft hat erneut die 100 größten Autohandelsgruppen Deutschlands ermittelt. Gibt es signifikante Veränderungen gegenüber dem Vorjahr?
Die Top-20-Gruppen haben beim Absatz insgesamt zugelegt. Auf den Spitzenplätzen bleibt im Ranking nahezu alles beim Alten. Innerhalb der ersten 20 zeigen sich geringfügige Verschiebungen. Dies unter anderem deshalb, weil sich einige der großen Unternehmen in diesem Jahr nicht an unserer Umfrage beteiligt haben. Andere Gruppen wie etwa die AHG, die Scherer-Gruppe oder die Löhr-Gruppe haben sich – in der Regel aufgrund von Akquisitionen – im Ranking weiter nach vorne gearbeitet.
Die Erhebung fiel ja teilweise in die Corona-Zeit. Inwieweit hat das die Studie beeinflusst?Corona hat die Erhebung durchaus beeinflusst, da die Unternehmen mit den Folgen der Pandemie beschäftigt waren – und sind. Die Datenerhebung durch das IfA gestaltete sich daher deutlich schwieriger als in den Vorjahren. Insbesondere waren sehr intensive Nachfassaktionen nötig.
Wagen Sie angesichts der Verwerfungen durch Corona eine Prognose, wie das Ranking 2021 aussehen wird?
Ich gehe davon aus, dass sich die Top-20-Gruppen relativ stabil an der Spitze halten werden. Das war auch schon bei anderen Krisen in der Vergangenheit so. Wer betriebswirtschaftlich gut aufgestellt ist, übersteht auch diesen Sturm. Unter den ganz Großen rechne ich daher nicht mit gegenseitigen Übernahmen oder Zusammenschlüssen. Am Ende des Top-100-Felds, aber auch im Mittelfeld hingegen schon. Das war auch im Nachgang der Finanzkrise 2009 der Fall.
Wie steht denn der Handel im Vergleich zur Finanzkrise 2009 jetzt da?Die Auswirkungen der Corona-Krise werden weitaus schmerzhafter sein. Denn in der Finanzkrise gab es keinen kompletten Shutdown wie jetzt. Das komplette Herunterfahren war und ist – nicht nur für den Autohandel – ein extrem einschneidendes Ereignis, denn vor allem im Handelsgeschäft mit Neu- und Gebrauchtwagen sind die Absätze in weiten Teilen zum Erliegen gekommen. Vor allem das Werkstattgeschäft ist für die Stabilisierung deswegen besonders wichtig.
Beim Wiederhochfahren der Wirtschaft fordern ja viele, dass es kein Weiter-so-wie-bisher geben kann. Beschleunigt Corona die Transformation der Branche?Ja, denn die Krise wird zum Anlass genommen, bestimmte Sachverhalte umzustrukturieren. Das zeigt sich vor allem bei der Digitalisierung. Ich denke auch, dass viele Unternehmen ihre Personaldecke optimieren werden.
Dass Corona die Online-Autokäufe in Schwung gebracht hat, kann man aber nicht erkennen.Nein. Das Problem ist, dass es grundsätzlich noch eine zu geringe Bereitschaft zum digitalen Kauf gibt. Auch die Angebote sind noch nicht optimal. Ich denke aber, dass digitale Teilprozesse, die durch Corona forciert wurden – etwa die Online-Beratung – auch bleiben werden.
Und wie sieht es bei der Elektromobilität aus? Sie könnte von einer weiteren Kaufprämie doch profitieren.Ich glaube, dass es eine gestaffelte Kaufprämie geben wird, um die alternativen Antriebe zu pushen und den Druck für den Umstieg zu erhöhen. Doch auch eine solche Prämie eliminiert nicht die typischen Schwächen der E-Autos, also unzureichende Ladenetze und Reichweiten. Deshalb könnte der Erfolg der E-Fahrzeuge trotz Prämie ausbleiben – mit der Folge, dass schließlich doch die Verbrenner stärker gefördert werden.
Wie stehen Sie denn grundsätzlich zu einer Kaufprämie?Ich würde zu einer Prämie raten, weil eine Signalwirkung für die gesamte Wertschöpfungskette davon ausgeht. Und die Autoindustrie weist bezüglich der Beschäftigungseffekte enorme Verflechtungen auf, wie es sie in keiner anderen Branche gibt.
Abomodelle sind zurzeit in, gerade ist auch die AVAG auf diesen Zug aufgesprungen. Sind Auto-Abos ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell?Das Auto-Abo ist sicherlich ein innovatives Leistungsangebot, um das sich auch die Handelsebene kümmern muss, um neue Angebotsstrukturen zu etablieren. Die Zukunftsfähigkeit ist aber vor allem von der betriebswirtschaftlichen Tragfähigkeit aus Anbietersicht einerseits sowie von der Attraktivität des Angebots aus Kundenperspektive andererseits abhängig.
Und da sind Sie skeptisch?
Ich sehe einen Trade-off zwischen Flexibilität und Stabilität des Geschäftsmodells. Einerseits ist da die Grundidee der Abos, also eine temporäre und flexible Nutzung der Fahrzeuge. Andererseits gibt es die Erfordernisse eines stabilen Geschäftsmodells mit kalkulierbaren Erträgen.
Wo sehen Sie aktuell das größte Problem des Handels?Die große Zahl der Bestandsfahrzeuge und die daraus resultierenden finanziellen Belastungen. Noch kann ja niemand sagen, wie sich der Hochlauf gestalten wird. Ich vermute, die Kurve wird eher flach sein, zumal das Geschäft ja auch vor Corona schon schwach war. Hinzu kommt die massive Unsicherheit bei den Kunden, die ja selbst mit Job- oder Einkommensverlusten kämpfen.
Wann rechnen Sie mit der Rückkehr zur Normalität?Eine Prognose, wann die Branche wieder den Vorkrisenstand erreicht, ist derzeit nicht möglich. Das hängt von vielen Faktoren ab, von gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen und auch davon, wie sich die Märkte USA und China entwickeln werden. Ich befürchte, wir werden die Talsohle nicht so schnell verlassen, wie wir es uns erhoffen.
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