Schon seine Ernennung signalisierte den Aufbruch in eine neue Antriebszeit: Thomas Ulbrich, zuvor im VW-Markenvorstand für Produktion und Logistik zuständig, übernahm am 1. Februar 2018 das neue Vorstandsressort E-Mobilität. Den Umbau von gleich acht Werken für die neuen E-Modelle bis 2022 sieht er als Chance für die Standorte – der auch die Beschäftigung sichert. Sorgen, die für 2025 angepeilten 1,5 Millionen ID-Fahrzeuge aufbauend auf dem Modularen E-Antriebs-Baukasten (MEB) könnten am Ende keine Käufer finden, macht er sich nicht.
Herr Ulbrich, Sie haben das Zwickauer Werk gerade komplett auf E-Autos umgestellt. Hat Ihnen der Umbau manchmal schlaflose Nächte bereitet?
Der ID.3 hat mich in der Tat seit mehr als zwei Jahren jeden Tag beschäftigt, oft bis tief in die Nacht und auch an den Wochenenden. Das ist schon ein besonderes Projekt, auch für jemanden wie mich mit 30 Jahren Erfahrung in der Automobilproduktion. Schließlich ist es nicht nur ein normaler Modellwechsel. Es ist die Kompletttransformation eines ganzen Werks vom Verbrenner auf Elektro. Und es ist das erste Mal weltweit, dass ein etablierter Hersteller ein bestehendes Werk komplett umstellt. Das markiert einen grundlegenden Wandel. Und liefert gleichzeitig auch wichtige Erfahrungen für die weiteren MEB-Standorte von Volkswagen, die nun schrittweise ebenfalls umgerüstet werden.
Was sind die Herausforderungen?
In Zwickau haben wir 8000 Mitarbeiter, die direkt oder indirekt künftig am MEB arbeiten werden. Sie zu qualifizieren war ein gewaltiger Kraftakt. Das fängt bei der Hochvolttechnik an, das geht bei der neuartigen Elektronikarchitektur weiter. Und wir haben das Werk ja quasi im laufenden Betrieb umgestellt. In der einen Hälfte des Werks haben wir noch auf voller Stückzahl Verbrenner gebaut, als wir in der anderen Hälfte schon mit den E-Fahrzeugen angefangen haben. Aber am Ende hat alles funktioniert. Trotz der gewaltigen Herausforderungen, die Corona uns allen abverlangt. Die Produktion läuft. Und im Oktober haben wir auch den Umbau der zweiten Montagelinie abgeschlossen – das alles in nicht einmal 20 Wochen.
Hat die Corona-Pandemie Sie stark im Zeitplan zurückgeworfen?
Der Lockdown im März und April war für uns wirklich schmerzhaft was den Projektplan angeht, gerade in der kritischen Hochlaufphase, in der wir aktuell immer noch sind in Zwickau. Mittlerweile sind wir aber wieder auf einem Level, das annähernd unserer Ursprungsplanung entspricht. Wir sind aktuell bei mehr als 600 Fahrzeugen am Tag und fahren nun schrittweise auch die zweite Produktionslinie hoch.
Schwingt nicht etwas Wehmut mit, wenn sich ein Standort komplett vom Verbrenner verabschiedet?
Es war schon ein bewegender Moment, als wir im Juni mit einer kleinen Feier den letzten Golf Variant als Verbrenner auf der Montagelinie verabschiedet haben. Für Zwickau ist es ja nun schon die zweite große Transformation: Wo vor 30 Jahren noch der Trabant geknattert hat, läuft nun die elektrifizierte ID-Familie vom Band. Das markiert auch den Aufbruch in eine neue automobile Epoche. Das erste Werk, das komplett aus der Verbrennerwelt aussteigt und komplett auf E umstellt. Das ist eine Riesenchance für den Standort. Und die Mitarbeiter sind hoch motiviert, diesen Wandel mitzugestalten.
Die Produktion soll um bis zu 20 Prozent produktiver werden als bei bisherigen Verbrennern. Wie erreichen sie das?
Das haben wir vor allem dem Modularen E-Antriebs-Baukasten zu verdanken. Der wurde von vornherein für hohe Stückzahlen ausgelegt. Die Plattform haben wir schon in der Entwicklung so ausgelegt, dass wir bei unterschiedlichen Fahrzeugen und verschiedenen Modellen weitreichende Synergien durch baugleiche Teile haben. Wir haben dieses Mal markenübergreifend bei den Karosserien auf Konzeptgleichheit geachtet, damit wir im Design ausreichend differenzierte Fahrzeuge haben, die wir dann aber trotzdem auf einer Montagelinie bauen können. In Zwickau sollen so bis Ende 2021 insgesamt sechs Modelle von drei Konzernmarken vom Band rollen.
Wird auch mehr automatisiert?
Alles, was die Technologie derzeit hergibt, haben wir in Zwickau zum Einsatz gebracht. Durch den Komplettumbau bot sich uns die Chance, die Produktion der neuen MEB-Produktfamilie so zu gestalten, dass ein höherer Mechanisierungsanteil möglich ist. Gerade in der Montage ist die Automatisierung ja traditionell noch nicht so hoch. Die haben wir beim MEB jetzt deutlich erhöht.
Sie wollen in Zwickau trotzdem alle 8000 Mitarbeiter an Bord behalten?
Wir haben in Zwickau eine Beschäftigungsgarantie bis 2029 ausgesprochen. Dazu fühlen wir uns auch verpflichtet. Es wird eine natürliche Fluktuation entlang der viel zitierten demografischen Kurve geben, weil Jahr für Jahr Mitarbeiter in den Ruhestand gehen werden. Unser Konzept sieht aber vor, dass wir die verbleibende Belegschaft auf jeden Fall beschäftigen werden.
Wie gelingt Ihnen das?
Wir haben zum Beispiel in Zwickau ein neues Presswerk gebaut, in dem Pressteile, die früher von anderen Standorten zugeliefert wurden, nun vor Ort in Sachsen produziert werden – und damit Beschäftigung auffangen. Wir haben zudem die allgemeine Fertigungskapazität gesteigert. So kann man mit höherer Produktivität die Beschäftigung am Standort auslasten. Das zeigt, dass es bei dem grundlegenden Wandel in Richtung E-Mobilität nicht zwingend um Jobabbau geht – sondern um das genaue Gegenteil: Wir sichern damit die Zukunft!
Sie hatten in Zwickau für 2020 ursprünglich 100.000 MEB-Fahrzeuge geplant. Werden Sie das schaffen?
Nein. Diese Ursprungsplanung werden wir allein schon wegen Covid-19 nicht halten. Ich denke, dass es in diesem Jahr rund 80.000 Fahrzeuge sein werden.
Und im nächsten Jahr?
Wir gehen davon aus, dass wir Mitte nächsten Jahres eine Tageskapazität von 1350 erreichen werden und wir in dem Jahr dann erstmalig bei 300.000 Fahrzeugen ankommen werden. Das entspricht dann dem Produktionsniveau vor der Umstellung auf den MEB. Nach dem finalen Hochlauf wird das Werk sogar eine Kapazität von 1500 Fahrzeugen am Tag haben, also etwa 330.000 Fahrzeuge pro Jahr.
Wie geht der Aufbau an den anderen Standorten dann weiter?
Noch in diesem Jahr laufen die beiden Werke in China an, Anting und Foshan. Ebenso die Produktion bei Škoda in Mladá Boleslav. Anfang 2021 folgt dann Dresden, 2022 Emden und Hannover. Im zweiten Halbjahr 2022 wird dann auch Chattanooga in den USA anlaufen.
Mit dem gleichen Automatisierungsgrad wie in Zwickau?
Die Fahrzeuge geben das auf jeden Fall her. Und in Emden, Hannover und Chattanooga investieren wir ebenfalls kräftig in die Automatisierung. Für die drei Standorte haben wir gerade 2200 Roboter für Karosseriebau und Batteriemontage bestellt. Aber das ist natürlich von Region zu Region unterschiedlich. Das ist immer auch eine Frage der Wirtschaftlichkeit, und da sieht es in Deutschland ganz anders aus als zum Beispiel in China aufgrund unterschiedlicher Lohnkosten. Aber die Produkte sind in jedem Fall drauf vorbereitet. Wir können über die Laufzeit dann noch das eine oder andere nachmechanisieren, je nachdem, wie sich die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung insgesamt entwickelt.
Und wann kommt Wolfsburg an die Reihe?
Mit der gesamten Golf-Familie, inklusive des aus Zwickau übernommen Golf Variant und dem Volumenmodell Tiguan, ist das Werk Wolfsburg derzeit gut belegt. Der unternehmensweite Umstieg auf die Elektromobilität ist keine einmalige Veränderung, das ist ein langfristiger Prozess über Jahre. Wir werden ja sukzessive unser gesamtes Fahrzeug-Portfolio elektrifizieren - und dementsprechend auch alle unsere Standorte. Konkrete Entscheidungen gibt es für Wolfsburg aber noch nicht.
Auf welches Volumen werden Sie kommen, wenn alle Standorte in Betrieb sind??
Unser Ziel ist es, 2023 eine Million E-Fahrzeuge allein der Marke Volkswagen zu bauen und 2025 schon auf einen weltweiten Ausstoß von 1,5 Millionen zu kommen. Es kommen dann noch die MEB-Fahrzeuge der anderen Konzernmarken hinzu. Wir gehen davon aus, dass wir dieses ambitionierte strategische Ziel allein schon aufgrund der aktuellen politischen Zielsetzungen erreichen werden. Und wir sind überzeugt, dass der Markt dieses Volumen auch abnehmen wird.
Was macht Sie da so sicher?
Seit unserer Entscheidung, die Produktion umzustellen, hat sich das gesamte Umfeld für die E-Mobilität überaus positiv entwickelt. Vom Interesse der Kunden bis hin zu den politischen Rahmenbedingungen in ganz Europa. Das zeigt uns, dass wir mit unserer Strategie von Anfang an richtig lagen. Wichtig ist es jetzt, dafür die richtigen Produkte zu haben. Und das ist neben dem ID.3 auch das im September weltweit vorgestellte SUV ID.4. Es wird das eigentliche Volumenmodell und unser erstes Weltauto, das wir auf drei Kontinenten gleichzeitig produzieren.
Was macht den ID.4 so wichtig?
Es ist gerade zu Beginn unserer Elektrooffensive wichtig, dass wir die Volumensegmente bedienen. So schaffen wir es am besten, Skaleneffekte zu erzielen und unsere Werke auszulasten. Und der ID.4 wird unser Volumenträger, auf den mit 500.000 Einheiten immerhin ein Drittel unseres weltweiten MEB-Absatzes 2025 entfallen wird. Der ID.4 liegt als SUV voll im Trend, die Karosserieform ist weltweit gefragt. Deshalb bauen wir das Fahrzeug auch nicht nur in Zwickau, sondern ebenso in China, den USA und ab 2022 dann in Emden.
In Emden zusätzlich zu Zwickau?
Die Produktion des ID.4 wird ab 2022 von Zwickau nach Emden verlagert. Das zeigt, wie flexibel unser Ansatz in der Produktion ist. Wenn Fahrzeuge ein entsprechendes Volumen erreichen, sind wir in der Lage, sie auch an einen anderen Standort zu verlagern. Beim ID.4 wird sich die Produktion in Emden und Zwickau aber eine Zeitlang überlappen. Es wird da einen gleitenden Übergang geben, schon, damit das Volumen nicht vorübergehend sinkt. Das würde gar nicht zu unserer Planung passen.
Als Nächstes hat VW bereits den ID.5 angekündigt, als Coupé-Variante des ID.4. Wird das dann Ihr zweites Weltauto?
Dafür wäre es noch zu früh. Und aktuell ist das auch nicht geplant. Weltweit kommt erst einmal das Grundmodell, und das ist der ID.4. Trotzdem haben wir natürlich noch weitere Pfeile im Köcher.
Dieses Interview stammt aus der Edition "Volkswagen ID", die am 16. November erscheint. Zu bestellen hier: www.automobilwoche.de/shop
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