Vor gut einem Jahr hingen dunkle Wolken über der deutschen Autoindustrie. Die Lieferketten wegen der Corona-Pandemie gerissen, die Autohäuser geschlossen, dazu eine ohnehin schwierige Phase in der Transformation hin zur Elektromobilität, die in vielen Unternehmen zu Sparmaßnahmen führte. Die Börsenkurse rauschten in den Keller, die Zukunft von VW, BMW, Daimler und Co. schien ungewisser denn je. Jetzt aber deutet alles auf ein fulminantes Comeback der deutschen Hersteller in diesem Jahr hin. Dafür gibt es gleich mehrere Gründe.
ANALYSE – Sechs Gründe für die Wende:
Das starke Comeback der Autoindustrie
Die schnelle Erholung der deutschen Autohersteller hat in erster Linie mit der Stärke des chinesischen Markts zu tun. Dieser verspricht vor allem im Premiumsegment ein unaufhaltsames Wachstum, wie die jüngsten Zahlen von BMW und Daimler belegen. In China verkaufte BMW im ersten Quartal 2021 rund 230.000 Autos – gut 60.000 mehr als im ersten Quartal 2019 und fast so viel wie in Europa insgesamt. In Asien insgesamt erreichte der Konzern mit 287.000 verkauften Fahrzeugen ebenfalls eine Bestmarke.
Auch Mercedes erzielte mit 222.520 ausgelieferten Fahrzeugen und einem Plus von gut 60 Prozent einen neuen Absatzrekord in China. Bei Audi dürfte es kaum anders aussehen, auch wenn die Zahlen noch nicht vorliegen. Sollte sich der Markt weiter auf diesem Niveau erholen, könnten die drei Premium-Hersteller erstmals in die Nähe von einer Million verkaufter Fahrzeuge in China rücken. Zwar erhöht sich damit auch die Abhängigkeit von Asien, was im Falle eines weiteren Lockdowns oder einer anderen Krise dort erhebliche Folgen hätte. Doch auf lange Sicht bleibt China ein Garant für gute Geschäfte. Vor allem die hochpreisigen Fahrzeuge wie S-Klasse von Mercedes oder der X7 von BMW sind gefragt. Dies trägt auch zu einer Renditesteigerung bei. Hätte der Chipmangel nicht die Produktion gebremst, wäre das erste Quartal vermutlich noch besser ausgefallen.
Die Elektrowelle rollt, und die deutschen Hersteller sind mittendrin. Während vor gut einem Jahr noch hauptsächlich über CO2-Strafzahlungen und verpasste Chancen diskutiert wurde, ist Deutschland plötzlich weltweit eines der Zugpferde. "Deutschland ist im ersten Quartal 2021 nach China der zweitgrößte Einzelmarkt der Elektromobilität und kann damit zunehmend eine Schrittmacherfunktion für die neue Antriebsform entwickeln", sagt Autoexperte Stefan Bratzel. Dies hat auch damit zu tun, dass die Elektromobilität endlich im mittleren Preissegment angekommen ist und dank üppiger staatlicher Subventionierung für eine breite Käuferschicht attraktiv wird. Mit dem ID3 oder ID4, dem Corsa e oder auch einem Mercedes GLA stehen plötzliche eine Vielzahl an bezahlbaren Modellen zu Verfügung. So lassen sich auch Kunden anderer Marken erobern.
Damit zeigt sich, dass die deutsche Autoindustrie, anders als oft vorhergesagt, die neue Technologie nicht verschlafen hat, sondern genau zum richtigen Zeitpunkt durchstartet. Der Mercedes EQS, der am 15. April Premiere feiert, setzt sich mit 770 Kilometer Reichweite nach WLTP, seiner Rekord-Aerodynamik und dem riesigen Hyperscreen im Cockpit gar an die weltweite Spitze der Elektro-Bewegung. Damit hat Tesla nach dem Porsche Taycan einen weiteren Wettbewerber aus Deutschland, der technologisch mindestens ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen ist. Auch die chinesische Konkurrenz um Nio oder amerikanische Start-ups wie Lucid muss mit erhöhter Gegenwehr rechnen.
Wie andere Industriezweige auch hat die Autoindustrie während der Corona-Krise enorm von staatlicher Unterstützung profitiert. So hat etwa der Daimler-Konzern in dieser Zeit für Kurzarbeit 700 Millionen Euro an Förderung in der Pkw- und Truck-Sparte erhalten. Dazu kam ein Hilfspaket in Höhe zusätzlich drei Milliarden Euro. So wurde beispielsweise die sogenannte Innovationsprämie bis 2025 für den Kauf von Elektroautos und Plug-In-Hybriden verlängert, was etwa einer Milliarde Euro an Hilfen für die Industrie entspricht.
Enthalten ist darin auch ein Flottenerneuerungsprogramm für den Nutzfahrzeugverkehr. Zudem soll ein "Zukunftsfonds Automobilindustrie" den Wandel des zentralen Industriezweigs längerfristig unterstützen. Vor allem das einbehaltene Kurzarbeitergeld ist angesichts der für 2020 erzielten Gewinne nicht ohne Kritik geblieben. Vor allem der Daimler-Konzern musste sich dafür rechtfertigen, warum er den Aktionären eine höhere Dividende auszahlt und gleichzeitig staatliche Hilfen in Anspruch nimmt. Unbestritten ist aber, dass die Elektromobilität in Deutschland ohne die Kaufprämie deutlich langsamer Fahrt aufgenommen hätte.
Die Corona-Krise hat die ohnehin schon eingeleiteten Sparmaßnahmen zusätzlich beschleunigt. Das während der Pandemie erlernte strikte Kostenmanagement mit deutlich weniger Ausgaben etwa für Reisen oder Messeauftritte zahlt sich nun aus. Nahezu alle Unternehmen haben den Free Cashflow steigern können und kommen dadurch deutlich gestärkt aus der Krise. Das dürfte sich in diesem Jahr auch bei den erzielten Renditen bemerkbar machen, da der Break Even bei den Fahrzeugen nochmals deutlich gesenkt werden konnte.
Paradebeispiel dafür ist Porsche. Dem Sportwagenhersteller ist es gelungen, sogar im Krisenjahr 2020 die strategische Rendite von 15 Prozent praktisch zu erreichen. "Unser Kosten- und Liquiditäts-Management war Benchmark. Wir haben unser Geschäft geschützt, um nach der Krise wieder mit voller Kraft durchstarten zu können", sagte Porsche-Finanzchef Lutz Meschke bei der Jahrespressekonferenz. Ein Satz, der stellvertretend für die gesamte deutsche Autoindustrie steht.
Dass die deutschen Autokonzerne trotz der hohen Belastungen für Zukunftsinvestitionen in Digitalisierung, Elektrifizierung oder autonomes Fahren bei Investoren keineswegs abgeschrieben sind, zeigt sich auch an der Entwicklung der Börsenkurse. Der VW-Konzern hat ein fulminantes Comeback hingelegt. Die Aktie notierte zuletzt bei rund 240 Euro und fast zweieinhalb Mal so hoch wie beim Tiefpunkt vor rund einem Jahr. Sie nähert sich damit dem Allzeitrekord von 2015.
Daimler hat seinen Wert im Vergleich zum Tiefstand im März vergangenen Jahres bei 22,80 Euro sogar mehr als verdreifachen können. Bei BMW wurde er zumindest mehr als verdoppelt. Ein Ende des Aufwärtstrends ist derzeit nicht in Sicht. Dies bedeutet, dass auch die Anleger wieder Vertrauen in die Stärke der deutschen Autoindustrie gewonnen haben und Zukunftsfähigkeit nicht mehr ausschließlich mit dem Namen Tesla verbunden wird.
Die Corona-Krise hat der Automobilindustrie einen der schwersten Umsatz-Einbrüche der vergangenen Jahrzehnte beschert. Sie könnte umgekehrt aber auch zur Rettungsanker vieler Unternehmen werden. Denn überall auf der Welt zeichnet sich eine Renaissance der individuellen Mobilität ab. Weil viele Menschen noch immer Angst vor einer Infektion in einem öffentlichen Transportmittel oder einem Mitfahrdienst haben, vertrauen sie verstärkt auf das eigene Fahrzeug. Nach einer Umfrage des ADAC gab ein Sechstel der Befragten an, das eigene Auto in Zukunft häufiger nutzen zu wollen.
Das bekommen Plattformbetreiber wie Uber deutlich zu spüren. Der Umsatz des von der Pandemie ausgebremsten Fahrdienst-Hauptgeschäfts brach um rund 47 Prozent einbrach, nur die Liefersparte um den Essensbringdienst Uber Eats verzeichnete ein starkes Wachstum. Zwar dürfte dieser Effekt nach der Pandemie wieder abklingen. Doch zumindest kurzfristig kann die Autoindustrie davon profitieren, dass die Menschen sich lieber im geschützten Raum von A nach B bewegen. Hinzu kommt, dass viele Menschen während des Lockdowns deutlich weniger Geld ausgegeben haben, etwa für Reisen oder andere Anschaffungen. Dieses Geld könnte nun verstärkt in den Autohandel fließen.
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Aus dem Datencenter:
Aktuelle Nutzung von Verkehrsmittel im Vergleich zur Zeit vor Corona