Das sind die Baustellen von Ola Källenius

Ola Källenius wollte nicht mehr warten. Noch als Leiter der Entwicklung lud der neue Daimler-Chef gut eine Woche vor seinem Amtsantritt die Journalisten nach Sindelfingen. Die Botschaft, die er in dem kleinen Besprechungsraum für die zukünftigen E-Modelle von Mercedes unter das Volk bringen wollte: Daimler macht Ernst mit dem Klimaschutz. Bis 2039 soll die Flotte der Pkw-Neuwagen keine schädlichen Treibhausgase mehr ausstoßen. Eine klare Ansage, die es so bisher noch nicht gab.

Der neue Konzernlenker gibt Gas. Auch das sollte der eilends anberaumte Termin signalisieren. 13 Jahre hat Dieter Zetsche (66) Daimler gelenkt und wieder an die Spitze der Premium-Hersteller geführt. Über viele Jahre eilte das Unternehmen bei Absatz und Gewinn von Rekord zu Rekord. Zuletzt aber häuften sich die Schwierigkeiten, die Marge bei den Pkw lag nur noch bei kümmerlichen sechs Prozent. Von Källenius hängt daher ab, ob Daimler auch in Zukunft eine Weltmarke bleibt oder von Tesla, Byton und Co. überholt wird. Die Liste der Herausforderungen ist lang.

Noch immer fährt Daimler im Dunst der Diesel-Krise. Staatsanwaltschaften und Behörden ermitteln wegen zu hoher Abgaswerte, weitere Rückrufe drohen. Källenius tritt daher die Flucht nach vorn an. "Wir wollen nicht nur Zuschauer, sondern Architekt der Wende sein", sagt der gebürtige Schwede selbstbewusst bei der Vorstellung des Klima-Programms "Ambition 2039". Im Jahr 2030 sollen 50 Prozent der Neuwagen rein elektrisch oder als Plug-In-Hybrid fahren, keine zehn Jahre später wird die Flotte klimaneutral sein.

Etwas anderes bleibt dem Unternehmen angesichts der scharfen Vorgaben der Europäischen Union auch kaum übrig. Der CO2-Ausstoß der Mercedes-Flotte samt Vans muss von derzeit 134 Gramm pro Kilometer auf nur noch 105 Gramm pro Kilometer im Jahr 2021 sinken. Bis 2030 soll dieser Wert nochmals um 37,5 Prozent reduziert werden. Ohne einen massiven Ausbau des Anteils an elektrifizierten Fahrzeugen ist das nicht zu schaffen. Andernfalls drohen Geldstrafen in Milliardenhöhe.

Für Ola Källenius steht fest, dass in Zukunft die "Kooperationsintensität eher zunehmen wird". Doch wie viel davon verträgt ein Unternehmen? Schon jetzt ist Daimler weltweit verbandelt. Während jahrelang die Zusammenarbeit mit Renault-Nissan gefeiert wurde, ist es aktuell still geworden um die Allianz. Zuletzt strich Daimler die Produktion der X-Klasse in einem Nissan-Werk in Argentinien wegen zu hoher Kosten. Auch bei Smart ist nach dieser Generation Schluss.

Dafür sind die Stuttgarter auf Kuschelkurs mit dem Rivalen BMW. Neben den Mobilitätsdiensten bündeln beide Premiumhersteller ihre Kräfte auch beim automatisierten Fahren. Dazu kommt der chinesische Autohersteller Geely, dessen Eigner Li Shufu auch zehn Prozent Anteil an Daimler besitzt. Mit ihm will Ola Källenius die Marke Smart neu aufsetzen und nach über 20 Jahren zum Erfolg führen.

Sollte sich, wie spekuliert wird, noch der chinesische Partner BAIC einen größeres Aktienpaket an Daimler gesichert haben, könnten auch hier bald Forderungen nach einer noch engeren Bindung auf dem Tisch liegen. Der neue Daimler-Chef muss aufpassen, dass er sich nicht verzettelt.

Während Handelskonflikte zwischen China und den USA, Konjunkturschwäche oder strengere Zulassungsanforderungen wie WLTP vom Unternehmen kaum beeinflussbar sind, häuften sich zuletzt die hausgemachten Probleme. So haben nicht zuletzt Engpässe in der Lieferkette das Ergebnis im ersten Quartal 2019 vermasselt.

Auswirkungen hat dies derzeit vor allem auf die Produktion des GLE im US-Werk Tuscaloosa. Bei der neuen Plattform kamen Zulieferer zum Zug, die bestimmte Komponenten nicht in der gewünschten Schnelligkeit und Qualität liefern konnten. Deshalb musste der Anlauf des margenträchtigen Modells deutlich langsamer als geplant erfolgen.

Ähnliche Schwierigkeiten gab es bei der A-Klasse in Mexiko und beim Sprinter in Charleston. Schon im vergangenen Jahr hatte Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht gefordert, das Unternehmen müsse seine Lieferkette in den Griff kriegen.

Früher hat ein Autohersteller in erster Linie Autos gebaut. Heute konkurriert er mit Tech-Firmen bei digitalen Services und Mobilitätsdiensten, muss das autonome Fahren vorantreiben und die Umstellung auf alternative Antriebe stemmen. All das kostet sehr viel Geld. So sind die Leistungen für Forschung und Entwicklung bei Daimler von fünfeinhalb Milliarden Euro im Jahr 2014 auf über neun Milliarden Euro im Jahr 2018 gestiegen.

Das Geld fließt nicht nur in effizientere Verbrennungsmotoren oder die Brennstoffzelle, sondern vor allem in die Elektromarke EQ. Wiederholt hatte Daimler-Chef Dieter Zetsche gewarnt, dass dies wegen der teuren Batterien die Rendite beeinträchtige. "Das Ziel muss sein, die Produktkosten auch ohne Incentivierung auf das Niveau eines Verbrenners zu bringen", lautet die Ansage von Källenius. Nur dann kann Daimler den Wandel zur E-Mobilität ohne größere Blessuren überstehen.

Soll die Rendite trotz der Umstellung im Zielkorridor von acht bis zehn Prozent bleiben, dann muss Källenius das Unternehmen schon jetzt auf Sparpotenziale hin abklopfen. "Die Transformation ist kapitalintensiv. Wir müssen effizienter werden", sagt Källenius, ohne aber konkreter zu werden. Das große Effizienzprogramm will er erst zu einem späteren Zeitpunkt verkünden, um seinen Start nicht mit einem negativen Vorzeichen zu versehen und sich bei den Arbeitnehmern unbeliebt zu machen. "Alles kommt auf den Prüfstand", hat Vorgänger Dieter Zetsche angekündigt.

Erste Einschnitte deuten sich bereits an. So sind die ehrgeizigen Ausbaupläne für das Pkw-Werk im ungarischen Kesckemet auf Eis gelegt. Hier wollte Daimler eine Milliarde Euro investieren, um zum Anfang des kommenden Jahrzehnts neue Kapazitäten zu schaffen. Auch bei Reisekosten und Beratern will der Konzern den Rotstift ansetzen.

Spekuliert wird über Milliardeneinsparungen in den indirekten Bereichen. Als Daimler-Chef Dieter Zetsche vor gut 13 Jahren bei Daimler als Chef antrat, da kürzte er als erste Maßnahme massiv Jobs in der Verwaltung. Sollte es Ola Källenius seinem Vorgänger nachtun, wäre es die erste große Bewährungsprobe in seiner noch jungen Amtszeit.

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