Herr von Schuckmann, von welchen Innovationen verspricht sich ZF am meisten?
Wir sind sehr breit aufgestellt und setzen auf den Erfolg aller Technologien, die wir in unserem ganzheitlichen Portfolio weiterentwickeln. Es gibt grundsätzlich sehr positive Kundenresonanz. Unabhängig vom Einsatzbereich, zum Beispiel ob autonome Shuttles oder E-Mobilitätsprodukte – es gibt einige vielversprechende Felder, die wir intensiv bearbeiten.
Welche Bereiche wollen Sie mit der Inverter-Technologie abdecken?
ZF ist bei der Antriebstechnik schon seit vielen Jahren in der Leistungselektronik aktiv und dort ein wichtiger Player, beispielsweise bei Hybridgetrieben im Hochvoltbereich. Diese Kompetenz übertragen wir jetzt in unsere zukünftigen Lösungen in der Leistungselektronik in elektrischen Antriebssystemen. Wir sind dort im Hochvoltsegment im 400- und 800-Volt-Bereich sehr aktiv und setzen dabei zur maximalen Effizienzsteigerung strategisch auf Silizium-Karbid-Halbleiter. ZF wird einer der ersten Zulieferer sein, der einen 800-Volt-Silizium-Karbid-Inverter auf den Markt bringt.
Für wann erwarten Sie das?
Die 800 V Siliziumkarbid-Inverterplattform wird noch in diesem Jahr verfügbar sein. Wir sehen in unserer langjährig aufgebauten Gesamtkompetenz einen Wettbewerbsvorteil. Wichtig ist uns vor allem das Zusammenspiel von Software, Siliziumkarbid-Halbleitertechnologie und der Inverter-Hardware. Durch die optimale Interaktion der Einzelbausteine lassen sich signifikante Effizienzsteigerungen erzielen — ein wesentlicher Vorteil gegenüber Lösungen, die allein auf die Hardware fokussiert sind. Das Invertergeschäft bauen wir in den nächsten Jahren konsequent aus und es liegen bereits Aufträge vor. Früher wurde die Leistungselektronik wie gesagt standardmäßig in ein 8-Gang-Getriebesystem integriert. Heute legen wir unseren Schwerpunkt zum einen auf elektrische Antriebssysteme inklusive Inverter als Herzstück des Antriebs, zum anderen bieten wir Inverter als eigenständige Komponente an.
Welchen Umsatz erwarten Sie mit Invertern?
Wir nennen keine Zahlen zu einzelnen Produkten, aber wir erwarten ein signifikantes Wachstum. Wir werden in Europa auf jeden Fall zu den Marktführern gehören.
Wo gibt es weiteres Wachstum in Ihrem Bereich?
Wir verzeichnen zum Beispiel ein signifikantes Wachstum auch beim E-Motor – vor allem bei Applikationen im Hochvoltbereich für reine E-Mobilitäts-Lösungen. Dieses Geschäftsfeld bauen wir kontinuierlich aus. Auch dies ist kein neues Feld für uns, weil wir schon seit vielen Jahren eigene E-Motoren für unsere Hybridgetriebe entwickeln und herstellen. Der E-Motor mit der sogenannten Hairpin-Technologie ist für uns eine eigenständige Komponente, die wir jetzt sukzessive als Stand-Alone-Lösung in den Markt bringen. Vor allem dank unseres effizienten Kühlsystems und der daraus resultierenden extremen Leistungsdichte stößt diese Technologie auf großes Kundeninteresse. Stark wachsen wird auch unser Bedarf an Siliziumkarbid-Chips. Über unsere jahrelange und mittlerweile sehr enge Kooperation mit dem Halbleiterhersteller Wolfspeed haben wir in diesem Feld wichtige Kompetenzen aufgebaut. Diese Kooperation werden wir künftig noch weiter intensivieren.
Designt Wolfspeed dabei die Halbleiter nach Ihren Vorstellungen?
Wir entwickeln heute schon in gemeinsamen Teams Halbleiter- und Modullösungen, die perfekt auf die Inverterplattform abgestimmt sind. Um die maximale Effizienz zu erreichen, muss der Halbleiter optimal in die gesamte Inverter-Architektur integriert werden. Dabei müssen wir auch immer die Software im Blick behalten, die für die Ansteuerung des Gesamtsystems ein elementarer Baustein ist.
Wann werden die Umsätze für die E-Mobilität, die für die Verbrenner übertreffen?
Den Wendepunkt erwarten wir Mitte der Dekade. Dann wird der Hochvoltanteil das klassische Verbrennergeschäft überholen. Ende der Dekade wird der weltweite Anteil von Hochvoltlösungen mindestens 70 Prozent erreichen. Für reine Verbrenner haben wir die Entwicklungsaktivitäten komplett gestoppt. Das 8-Gang-Getriebe der jüngsten Generation wird dieses Jahr zur Serienreife entwickelt und industrialisiert - danach gibt es nur noch Applikationsentwicklungen, aber keine Neuentwicklungen mehr. Das heißt, wir fokussieren in der Entwicklung schon jetzt ausschließlich auf reine E-Mobilitätsprodukte. Dies ist aber keineswegs ein kompletter Abgesang auf die Verbrennertechnologie! Auch wenn wir nach 2022 keine neuen Getriebe mehr entwickeln, wird dieser teilelektrifizierte Anteil mittelfristig stark wachsen aufgrund der vorhandenen weltweiten Nachfrage.
Beunruhigen Sie die Insourcing-Bestrebungen der Fahrzeughersteller?
Zwar gibt es bei den Herstellern eine Entwicklung zum Selbermachen, aber wir sehen das nicht als besorgniserregend an. Ein Blick auf die globale Getriebelandschaft zeigt, dass Fahrzeughersteller Komponenten immer wieder einmal selbst entwickelt und auch hergestellt haben. Den Fahrzeugherstellern kommt es zunächst darauf an, eigene Kompetenz aufzubauen. Die Entwicklung und Industrialisierung ist dabei aber auch sehr investitions- und kapitalintensiv. Ich sehe daher derzeit nicht die Gefahr, dass es für ZF weniger Geschäft geben könnte. Im Gegenteil. Es gibt im Moment im sich wandelnden Markt sehr viele Chancen. Nicht nur in der E-Mobilität, sondern auch beim autonomen Fahren, bei der Digitalisierung und im Softwarebereich. Wir haben enorm viele Anfragen nach Komponenten und Systemlösungen. Der Wettbewerb ist zwar hart, aber aufgrund unserer Gesamtkompetenz sind wir zuversichtlich, dass vom Gesamtkuchen genug für ZF bleibt.
Woran arbeiten Sie im Bereich Brennstoffzelle?
Die Brennstoffzelle ist für uns vor allem im Lkw-Bereich ein wichtiger Faktor. Wir unterscheiden hier zwischen der Kurz- und Mittelstrecke sowie der Langstrecke. Speziell für die Langstrecke sehen wir gute Chancen für E-Antriebe auf Basis der Brennstoffzellentechnologie. Auf der Kurz- und Mittelstrecke setzt sich bei Nutzfahrzeugen wohl eher die rein batterieelektrische Elektrifizierung durch, ähnlich wie bei den Pkw.
Wie sehr bremsen der Chip- und Rohstoffmangel ihre Planungen im Bereich der E-Mobilität aus?
Aufgrund der Chipkrise überlegen wir, wie wir uns künftig strategisch ausrichten. Wenn man auf die E-Mobilität fokussiert, dann ist dabei der Silizium-Karbid-Halbleiter ein wesentlicher Baustein. Um dort erfolgreich zu sein, haben wir die strategische Partnerschaft mit Wolfspeed geschlossen. So wollen wir unsere Versorgung auch zukünftig mit Halbleitern absichern.
Welche Impulse erhoffen Sie sich von der neuen Bundesregierung?
Zunächst müssen alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um die Klimaziele zu erreichen. ZF will bis zum Jahr 2040 komplett klimaneutral sein. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir auf Innovationen setzen. Ein wesentlicher Hebel, um die Elektrifizierung voranzubringen, ist die Ladeinfrastruktur. Dabei sollte die Bundesregierung noch konsequenter unterstützen. Ein weiterer Hebel besteht darin, Brückentechnologien wie Plug-in-Hybride weiter zu nutzen, den Verbrenner also nicht völlig aus dem Mix der Antriebstechnologien zu verbannen. Das muss natürlich technisch sinnvoll gemacht werden, beispielsweise mit Hybrid-Antrieben mit elektrischer Reichweite von rund 100 Kilometern. Zudem muss ein zukunftsfähiger öffentlicher Nahverkehr aufgebaut werden. Hier wünschen wir uns politische Unterstützung für den Betrieb von autonomen Shuttles. Auch der Antriebsmix künftiger Lkw sollte von der neuen Regierung mitgedacht werden. Rund zwei Drittel des Güterverkehrs in Deutschland wird über die Straße transportiert. Umso wichtiger ist, dass auch in diesem Bereich Voraussetzungen für Klimaneutralität geschaffen werden. Dazu benötigen wir den Aufbau einer Lkw-spezifischen Tank- und Schnellladeinfrastruktur.
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