Daimler-Finanzchef kam vom Aufsteiger zum Absteiger

Schon als Finanzvorstand bei Airbus brauchte Harald Wilhelm gute Nerven: Da stockte schon mal die Produktion, weil Triebwerke für den A320 neo fehlten. Ein nagelneuer Militärtransporter des Typs A400M stürzte 2015 noch vor der Auslieferung an die türkische Luftwaffe bei einem Testflug ab. Später gerieten einige der A400M-Systeme in den Blick der Sicherheitsbehörden. Allein 2016 stellte Airbus 2,2 Milliarden Euro für A400M-Verluste zurück, was zum damaligen Gewinneinbruch beitrug.

Und kurz bevor Wilhelm zu Daimler wechselte, musste Airbus bekanntgeben, dass die Produktion des mit großen Hoffnungen und Vorschusslorbeeren gestarteten Riesenfliegers A380 schon 2021, 14 Jahre nach dem Erstflug, schon wieder eingestellt wird, weil nicht nur Aufträge fehlten, sondern sogar Bestellungen storniert wurden.

Wilhelm soll bereits Ende 2014 vor Analysten laut über eine Einstellung der A380-Produktion nachgedacht haben. Schon bevor mit dem Flieger – laut Airbus 2015 – die Gewinnschwelle überschritten wurde. Wobei zu berücksichtigen ist, dass Berichten zufolge ein gutes Drittel der Entwicklungskosten von zwölf Milliarden Euro vom Steuerzahler finanziert wurden – rückzahlbar abhängig vom Erfolg des Fliegers. Die Reißleine zog Airbus dann erst Anfang 2019.

Aber immerhin konnte Airbus trotz aller Probleme insgesamt mit seinen Geschäften die Anleger überzeugen. Die Aktienkurse von Airbus und Daimler entwickelten sich in den letzten fünf Jahren gegenläufig: Airbus aufwärts, Daimler abwärts.

Denn noch könnte der 53-jährige Harald Wilhelm bei den Problemen, mit denen sich nun bei Daimler herumschlagen muss, Ähnlichkeiten zu den Schwierigkeiten bei Airbus entdecken: Das 500 Millionen Euro teure Pick-up-Projekt X-Klasse wird – frühzeitig – eingestampft. Fehlerhafte Airbags von Takata könnten Kosten von einer Milliarde Euro verursachen. Und die Vorwürfe in Sachen Diesel, die Daimler zu Rückstellungen zwangen, könnten Wilhelm an die Affäre zum Verkauf von Airbus-Jets über Mittelsmänner erinnern.

Dass er es bei Daimler nicht leichter haben würde, dürfte Wilhelm geahnt haben, als er sich für den Job in Stuttgart entschied. Hatte es doch mit der Gewinnwarnung Mitte 2018 schon einen Vorboten des Sturms gegeben, der sich in den folgenden zwölf Monaten zusammenbraute.

Heute mussten Daimler-Vorstandschef Ole Källenius und Finanzvorstand Wilhelm erstmals gemeinsam die – schlechten – Quartalszahlen präsentieren: 1,6 Milliarden Verlust nach 2,6 Milliarden Gewinn im Jahr zuvor. In den Wochen zuvor hatte er bereits zweimal die Prognosen senken müssen. Nun ist es allerdings nicht ungewöhnlich, dass neue Spitzenmanager zum Start ihrer Amtszeit Tabula rasa machen und vielleicht auch schlechte Nachrichten auf den Tisch legen, die sie eher unter der Tischplatte gehalten hätten, wenn sie dafür Verantwortung zu übernehmen hätten. Umso stärker glänzen schließlich die eigenen Erfolge – wenn es wieder aufwärts geht. Und in diesem Fall sind sowohl Källenius wie auch Wilhelm neu in ihren Jobs.

Beide sind erst seit der Hauptversammlung Ende Mai im Amt. Doch während Källenius sein ganzes Berufsleben bei Daimler verbracht hat und schon seit 2017 im Vorstand saß, blieb Harald Wilhelm wenig Zeit, sich einzuarbeiten und mit dem Konzern vertraut zu werden. Er wurde erst im April als designierter Nachfolger von Finanzvorstand Bodo Uebber in den Vorstand geholt – zunächst ohne Ressort, um dann bei der Hauptversammlung den Job von Uebber offiziell zu übernehmen.

Dass Wilhelm schon einmal bei Daimler gearbeitet hat, kann ihm kaum bei der Eingewöhnung helfen. Denn das war direkt nach seinem in München absolvierten BWL-Studium, als er bei der Daimler-Tochter Deutsche Aerospace AG – bekannter als Dasa – in den Bereich Finanzen/Controlling einstieg und bald für Mergers & Akquisitions zuständig war. Über diverse Namensänderungen und Verschmelzungen – Daimler Aerospace, DaimlerChrysler Aerospace, EADS, Airbus – blieb er dem Unternehmen treu und stieg weiter auf. 1998 etwa wurde er Vice President M&A bei DaimlerChrysler Aerospace. Zehn Jahre später wurde er CFO von Airbus Commercial Aircraft, 2012 CFO des Airbus-Konzerns und Mitglied des Executive Comittees.

Wieder zurück bei Daimler hat der gebürtige Münchner nun auch die Aufgabe, Investoren und Analysten von der Aktie des Autobauers zu überzeugen. Mit der Berufung von Wilhelm trage man der gewachsenen Bedeutung von Kapitalmärkten und Investoren Rechnung, hatte Aufsichtsratschef Manfred Bischoff betont, als die Personalie Anfang des Jahres bekannt wurde.

Dabei muss Wilhelm sich nicht nur mit trockenen Zahlen und sparen, mit der Steigerung von Margen und Cashflow befassen. Ihm als Vorstand untersteht auch die Daimler Financial Services AG. Dort hat der Konzern seit einiger Zeit seine Zukunftsaktivitäten etwa bei Mobilitätsdienstleistungen und Digitalisierung gebündelt. Von der Strategie in diesem Bereich könnte das künftige Wohlergehen von Daimler nicht unerheblich abhängen. Falls er infolge der Kooperation mit BMW bei den Mobilitätsdienstleistungen gelegentlich zu Terminen nach München muss, würden für ihn das sicherlich keine unangenehmen Reisen werden. Denn Entspannung sucht der verheiratete Vater einer Tochter an Wochenenden ohnehin in seiner Heimatstadt, wie es heißt. Von dort bricht er dann auch zu Fahrrad- oder Motorradtouren durch die Alpen auf.

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