Herr Brecht, Daimler-Chef Ola Källenius setzt in seiner neuen Strategie voll auf Elektromobilität, es droht ein weiterer Jobabbau vor allem bei den Motorenwerken. Ist das aus Ihrer Sicht unvermeidlich?
Sparen oder Jobabbau ist keine Strategie. Bei der Strategie geht es darum, das Unternehmen langfristig erfolgreich zu machen. Zu einem erfolgreichen Plan gehört, dass unsere Standorte am Erfolg des Unternehmens weiterhin teilhaben und bei der Erschließung neuer Beschäftigungsfelder führend sind. Die Mercedes-Benz AG hat jetzt den Anfang gemacht. In welcher Dimension die Strategie Auswirkungen auf Beschäftigung haben kann, werden wir im Rahmen der Zielbilddebatte für unsere Standorte klären – da sind wir mittendrin. Klar ist aber auch, und so ehrlich müssen wir sein, dass ein Mehr an Elektromobilität ein Weniger bei Arbeitsplätzen bedeutet. Der Politik kann es auf einmal nicht alles schnell genug gehen. Nein, das geht so nicht. Wir brauchen einen realistischen Zeitplan, um die Transformation fair zu gestalten. Das geht nur mit den Beschäftigten gemeinsam, nicht gegen sie.
In der Vergangenheit hieß es stets, wegen der Plug-In-Hybride sei bis 2030 mit einem weiteren Wachstum bei Verbrennern zu rechnen. Warum jetzt die Kehrtwende?
Hier müssen wir zwischen Politik und Wirtschaft trennen. Wir haben einen Plan, der von einer Emissionsreduktion von 40 Prozent ausgeht. Wenn die EU jetzt weiter dieses Ziel verschärft in Richtung 55 Prozent, stellt uns das vor immense Probleme. Wenn die Politik die Spielregeln verschärft, wird es immer unwahrscheinlicher, dass wir die Transformation fair und in einem Tempo gestalten, bei dem die Menschen schritthalten können. Für Daimler hat Ola Källenius das Motto „Electric first“ ausgerufen. Nicht „Electric only“. Ich werde nicht müde zu sagen, dass wir den Verbrenner nicht verteufeln dürfen. Diese Technik muss – und wird – ein Teil der Lösung sein. Die Gesamtklimabilanz ist wichtig, nicht die Antriebsart. Wer ohne Verbrenner plant, schlägt all denjenigen Kolleginnen und Kollegen ins Gesicht, die seit Jahrzehnten in diesen Bereichen eine hervorragende Arbeit leisten und diese Technik weiter verbessern. Deshalb begrüße ich die Initiative von Unternehmen, die an der Entwicklung synthetischer Kraftstoffe arbeiten – für die man im Übrigen die bestehende Tankstelleninfrastruktur nutzen und auch ältere Fahrzeuge emissionsarm betreiben kann.
Ist es nicht konsequent, voll auf Elektromobilität zu setzen und dort zu investieren?
Konsequent ist, nicht alles auf eine Karte zu setzen. Elektromobilität ist wichtig, ja. Es ist aber auch ein Hype darum entstanden, der politisch und gesellschaftlich befeuert wird. Alle sprechen über den Zielzustand, in dem alle Fahrzeuge elektrisch mit phänomenalen Reichweiten betrieben werden. Aber wie soll der Weg – in den nächsten zehn Jahren – aussehen? Transformation ist ein komplexer, anstrengender und teurer Prozess, kein Wimpernschlag. Außerdem sprechen alle von Elektromotoren. Die Fragen sind doch, ob die Batterien in ausreichender Stückzahl verfügbar sind und woher die Rohstoffe dafür kommen, wie die Ladeinfrastruktur vorankommt und ob wir grünen Strom tanken. Nachhaltigkeit wird immer wichtiger. Auf all diese Fragen müssen wir entsprechende Antworten finden.
Wo könnte der Konzern sinnvoller sparen als beim Personal?
Die Personalkosten sind immer die emotionalste und am einfachsten zu nennende Maßnahme. Da kann sich jeder was drunter vorstellen und kommt am Kapitalmarkt gut an. Faktisch machen die Personalkosten weniger als 15 Prozent der Gesamtkosten aus. Da muss dem Unternehmen mehr einfallen, als uns jedes Mal die Personalkosten um die Ohren zu hauen. Wir sind nicht dagegen, Prozesse und Abläufe besser und effizienter zu gestalten. Da haben wir uns noch nie dagegen gewehrt. Wir hinterfragen permanent Dinge, die wir tun. Das nennen wir kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Was wir im Moment außerdem tun, ist auf die Krise zu reagieren. Wir kürzen Arbeitszeit und wir wandeln Geld in Freizeit. Wenn wir wieder in normales Fahrwasser kommen, dann werden solche Maßnahmen auch nicht mehr nötig sein.
Wo befürchten Sie weitere Einschnitte und wie viele Jobs werden am Ende bei Daimler verloren gehen?
Ich finde es müßig, jede Woche neue Zahlen zu kommentieren. Das lähmt uns und macht Diskussionen schwieriger. Nachdem Maßnahmen zur Senkung von Fixkosten hauptsächlich in der Verwaltung stattfanden, findet jetzt auch eine Debatte in den Produktionswerken statt. Die Debatte um die Transformation kommt jetzt an den Aggregatestandorten wie zum Beispiel Untertürkheim und Berlin hoch. Hier hat das Management Maßnahmen vorgeschlagen, die Standorte personell nach unten zu fahren, die für uns nicht akzeptabel sind. Klar ist, dass die momentanen Rahmenbedingungen auch nicht spurlos an den Produktionswerken vorübergehen werden. Wir kämpfen dafür, dass Jobs in Deutschland bleiben und der Mobilitätswandel für unsere Kolleginnen und Kollegen ein Erfolgsmodell wird, keine Endstation. Dafür kämpfen wir für die notwendigen Investitionen. Wir wollen doch Transformationsgewinner sein. Das geht nur mit einer klaren Ausrichtung und Perspektive für Produkte, Mitarbeiter und Kunden.
Wo ist aus Sicht des Betriebsrats die rote Linie? Sind betriebsbedingte Kündigungen wirklich ausgeschlossen?
Natürlich sind Kündigungen wie auch das Schließen von Standorten rote Linien für einen Betriebsrat. Das haben wir klargemacht und auch verhindert. Wir wollen Perspektiven für unsere Standorte. Dafür kämpfen wir.
Lesen Sie auch:
Mercedes soll luxuriöser und profitabler werden
Källenius' großes Streichkonzert
Mercedes-COO sieht "keine Möglichkeit, länger zu warten"
Daimler will in Motorenwerken Tausende Stellen abbauen
EXKLUSIV: Daimler soll Zellfabrik aufbauen
Daimler reduziert die Arbeitszeit und streicht die Prämie
Aus dem Datencenter: