Das Chaos ist perfekt. Hunderte riesige Schiffe liegen im Hafen von Schanghai und dürfen weder beladen werden noch auslaufen. Auf der anderen Seite fahren Containerschiffe gar nicht mehr gen Schanghai. Die Zahl der Schiffe, die in Schanghai anlegen, ist laut der Beratung Project 44 seit dem Lockdown um die Hälfte zurückgegangen.
Chinas "Zero Covid"-Strategie führt gegenwärtig zu immensen Störungen der globalen Lieferkette. Sollte sich die Situation weiter zuspitzen, drohen erhebliche Auswirkungen auf die gesamte Branche. Denn nach Schanghai könnten weitere Metropolen folgen. Allein die Beschränkungen in der Industrie- und Finanzstadt Schanghai sollen bis mindestens Juni andauern.
"Die Lieferketten der Autohersteller sind durch den Lockdown in China akut gefährdet ergänzend zur Chipkrise, da gerade der Großraum Shanghai ein Zentrum in China ist für Zulieferer und auch Halbleiterzulieferer für Automobilindustrie weltweit", sagt Ingenics-Vorstand Andreas Hoberg. So können Autos einerseits vor Ort nicht gebaut werden, andererseits schaffen es Zulieferer aus der Region nicht, für Werke in anderen Teilen der Welt zu liefern.
Die Firmen, die wieder aufmachen, müssen die Mitarbeiter im Werk wohnen lassen, weil sie nicht mehr zurück nach Hause dürfen. Nur so kann die Produktion aufrecht erhalten werden. Im sogenannten "Closed Loop" befinden sich nach Informationen der Automobilwoche aktuell Tesla- und Volkswagen-Mitarbeiter. Eine extreme Belastung für die Belegschaft.
Hinzu kommt viel Bürokratie für Unternehmen, weil für alles eigene Genehmigungen eingeholt werden müssen. Und Ersatz für fehlende Bauteile aus der Region Schanghai zu finden, bindet ebenfalls hohe Kapazitäten. Die Einkaufsabteilungen arbeiten am Limit.
Die südliche Produktionsdrehscheibe Guangzhou könnte der nächste Ort eines umfassenderen Lockdowns sein und damit die Lieferketten weiter strapazieren. Hier bauen unter anderem Toyota und Nissan ihre Autos für den chinesischen Markt. In Guangzhou fehlen auch Komponenten, die eigentlich aus Schanghai kommen müssten. "Aufgrund der Pandemie in Schanghai kann die Logistik der Lieferkette nicht normal organisiert werden, was relativ große Auswirkungen auf den Produktionsplan von Dongfeng Nissan hat", sagte ein Nissan-Sprecher gegenüber der "Financial Times".
Ein Lockdown wird inzwischen auch für Peking befürchtet, wo unter anderem Mercedes-Benz produziert. Mercedes‘ Finanzchef Harald Wilhelm bestätigte bei der Vorstellung der Quartalszahlen, dass "im Werk Peking zurzeit Anpassungen der Schichten vorgenommen werden".
"Wenn weitere lokale Lockdowns kommen, wird es nochmals schlimmer", heißt es bei Ingenics. Die Lieferketten waren seit Jahrzehnten nicht so rissig wie heute.
„Besonders groß sind die Probleme immer noch im innerchinesischen Fernverkehr. Es mangelt an Lastwagen, um Produkte zu den Fabriken oder Häfen zu transportieren – entweder weil ihre Fahrer selbst in Quarantäne sitzen oder weil sie von den örtlichen Behörden keinen Passierschein bekommen", erklärt Stefan Böhler, General Manager bei Flexport Deutschland. Die für die Automobil- und Zulieferindustrie so wichtigen maritimen Lieferketten seien schon vor dem Lockdown in Shanghai aus den Fugen geraten. "Nun befürchten wir noch stärkere Verzögerungen, sollte es erneute Einschränkungen im Rahmen der No-Covid-Politik Chinas geben. Denn ab Juli beginnen viele chinesischen Fabriken bereits mit der Produktion der Konsumgüter für das Weihnachtsgeschäft. Diese müssen dann auch verschifft werden. Sollte die Phase der On/Off-Lockdowns bis dahin anhalten, ist davon auszugehen, dass dies auch schwerere Folgen für die Automobilindustrie haben wird.“