Captain Futures Raumschiff

Bentley wird 100 und macht sich das buchstäblich größte Geschenk kurzerhand selbst. Denn pünktlich zum runden Geburtstag hat Firmenchef Adrian Hallmark jetzt das Tuch von der Studie EXP 100GT gezogen: Imposante 5,80 Meter lang und fast schon irre 2,40 Meter breit, wirft dieses Schaustück den Blick nicht zurück, sondern weit nach vorn und zeigt, wie sich die Briten einen adäquaten Gran Turismo für das Jahr 2035 vorstellen.

"Denn auch wenn sich die Welt für uns Autohersteller gerade dramatisch ändert, hat Luxus eine Zukunft", ist Hallmark überzeugt. "Man muss nur mit der Zeit gehen."

Bentley werde deshalb seine alten Werte zwar nicht aufgeben, aber neue hinzufügen, sich der Digitalisierung und der Elektrifizierung stellen die Chance nutzen, den Kunden auch künftig das zu bieten, was sie seit 100 Jahren von einem Bentley erwarten: Eine außerordentliche Reise.

Dabei kommt die Zukunft wie immer bei Bentley ziemlich fett. Denn nicht nur die Abmessungen sind imposant, sondern vor allem der Auftritt lebt von einer gewissen Grandezza.

So verwachsen Scheinwerfer und der aus transparenten Stäben gewobene Kühlergrill zu einem riesigen Leuchtfeld, das beim Anlassen funkelt wie eine Kristallgrotte. Rund um das große Glasdach schimmert Kupfer, und wenn sich die endlos langen Türen schräg nach oben öffnen, ragen sie wie Engelsschwingen fast drei Meter hoch in den Himmel.

Angst, dass man in diesem Auto übersehen wird, muss man jedenfalls nicht haben.

Auch innen lebt der Bentley-Fahrer von Morgen im gewohnten Luxus. Allerdings paart sich traditionelle Handwerkskunst diesmal nicht nur mit Hightech wie 360-Grad-Projektionen auf den Scheiben oder holographischen Bedienelementen, sondern auch mit nachhaltigen Materialien, die den Besserverdienern ein reines Gewissen machen sollen.

So ruhen die Füße auf Teppichen, die aus der Wolle englischer Bio-Schafe gewoben wurden; statt Leder gibt es teilweise einen Ersatz, der mit Reststoffen aus dem Weinbau hergestellt wird. Und weil für diesen Bentley kein Baum mehr gefällt werden soll, stammen die Furniere von 5000 Jahre altem Treibholz.

Zwar rühmt sich Bentley wie eh und je spektakulärer Fahrleistungen, verspricht knapp 1400 PS, einen Sprintwert von rund 2,5 Sekunden, ein Spitzentempo von 300 km/h und trotz der imposanten Maße und der üppigen Masse eine bislang ungeahnte Agilität durch einen neuartigen Allradantrieb und die nächste Generation Torque Vectoring. Doch im Jahr 2035 muss man natürlich nur noch fahren, wenn man Lust dazu hat.

Denn auch Bentley wird um das autonome Fahren nicht herum kommen und hat dafür einen digitalen Assistenten programmiert, der eher Privatsekretär ist als Chauffeur und den Insassen alle Wünsche – biometrischen Sensoren sei Dank– zum Teil buchstäblich von den Augen abliest.

Angetrieben wird die Studie, wie könnte es für das Jahr 2035 auch anders sein, natürlich elektrisch. Schließlich biegen die Briten gerade erst auf die Electric Avenue ein, lancieren zum Jahresende mit dem Bentayga Hybrid ihren ersten Plug-in, wollen bis Ende 2023 in jeder Baureihe ein Auto mit Stecker anbieten und spätestens 2025 ihr erstes echtes Elektroauto am Start haben.

Während der Bentayga mit Doppelherz eher enttäuscht hat, weil er sich dem sonst bei Bentley gepredigten Überfluss versagt, passt der Antrieb des Showcars besser ins Bild. Vier Motoren sollen zusammen 1360 PS leisten und mit einem vereinten Drehmoment von bis zu 1500 Nm die knapp zwei Tonnen Leergewicht vergessen machen.

Für einen Aktionsradius, der zum Begriff des "Gran Turismo" passt, sollen dabei neuartige Festkörper-Batterien sorgen, die bis zur Serienreife des Bentley längst verfügbar sein sollten. Sie liefern den Strom für bis zu 700 Kilometer und lassen sich binnen 15 Minuten zu 80 Prozent wieder aufladen, stellen die Briten in Aussicht.

Wer länger laden muss, der überlässt die Arbeit einem persönlichen Assistenten und wer weiterfahren möchte, muss auf den nächsten Entwicklungsschritt warten. Denn langfristig sieht Hallmark das Heil von Bentley in einem Hybrid-Konzept mit Batterien und Brennstoffzelle. "Nur so bekommen wir genügend Energie an Bord, um beim Format eines Bentley die erwarteten Fahrleistungen bieten zu können."

Zwar wirkt der EXP 100GT noch Lichtjahre entfernt. Doch wenn diese Vision tatsächlich bis 2035 wahr werden soll, sind das nur noch 16 Jahre. Bei gewöhnlichen Herstellern wären das gerade mal zwei Fahrzeuggenerationen und bei Bentley sogar noch weniger.

Wenn man sich die Laufzeiten von Continental & Co anschaut und im Sinn behält, dass der neue Mulsanne noch immer nicht präsentiert wurde, wird die ach so visionäre Studie plötzlich ein ziemlich aktueller Vorbote für das übernächste Flaggschiff der Briten.

Lesen Sie auch:

Nach 20 Jahren Pause: So soll der Explorer auch in Europa das Ford-Programm krönen

Kraftakt in der Kompaktklasse: AMG macht A-Klasse & Co zu Spitzensportlern

Bentley Bentayga Hybrid: Nur der Sechszylinder passt nicht