Herr Schrickel, wie fällt Ihre Bilanz nach dem ersten halben Jahr als neuer Chef bei Brose aus?
Der konjunkturelle Abschwung in der Branche und die heftigen Auswirkungen der Corona-Pandemie haben mich von Beginn an voll gefordert. Immerhin hatte ich Brose schon in den Monaten zuvor als Geschäftsführer Exterieur kennengelernt und bin durch meinen Vorgänger Kurt Sauernheimer gut eingearbeitet worden. Unser Familienunternehmen hat ein attraktives Portfolio. Durch den Einsatz von Sensorik und Software werden unsere Produkte intelligent und vernetzungsfähig und somit für Kunden noch interessanter. Erste Bestellungen bestätigen unsere Strategie. Zudem besitzt Brose eine solide finanzielle Basis und eine Gesellschafterfamilie, die der Geschäftsführung großes Vertrauen entgegenbringt. Ich bin zuversichtlich, dass wir diese schwierige Zeit ebenso überstehen werden wie viele andere Krisen in unserer Unternehmensgeschichte.
Mit Future Brose hat das Unternehmen ein Programm zur Effizienzsteigerung gestartet. Bis Ende 2022 wollen Sie 2000 ihrer rund 9000 Mitarbeiter in Deutschland abbauen. Was wollen Sie an Einsparungen erreichen?
Bei Future Brose geht es keinesfalls nur um Effizienzsteigerung und die Reduzierung von Stellen. Es geht um eine zukunftsfähige Ausrichtung des Unternehmens. Brose muss wettbewerbsfähiger werden und gleichzeitig die Innovationskraft stärken. In der Wachstumsphase der vergangenen Jahre ist die traditionell unternehmerische Ausrichtung von Brose etwas aus dem Fokus geraten. Deshalb wollen wir zum Unternehmertum zurückkehren und wirtschaftliches Denken auf allen Ebenen fördern. Durch die Corona-Pandemie und den damit verbundenen Umsatzeinbruch ist Future Brose noch wichtiger geworden. Wir werden nur mit organischem Wachstum sicher noch zwei oder drei Jahre brauchen, um wieder auf das Niveau von 2019 zu kommen. Deshalb ziehen wir einige Maßnahmen des Erneuerungsprogramms vor.
Welche wären das?
Wir werden zum Beispiel die Digitalisierung unserer Prozesse in Produktion und Verwaltung beschleunigen und so die Effizienz steigern. Hierarchieebenen werden reduziert, Führungsspannen erhöht und Bürokratie abgebaut. Bis 2025 haben wir uns vorgenommen, jährlich rund 600 Millionen Euro einzusparen. Bis Ende 2021 sollen es bereits 300 Millionen Euro sein. Das ist ein ambitioniertes Ziel. Deshalb haben wir uns für eine stringente Umsetzung von Future Brose McKinsey an die Seite geholt. Ein externer Partner blickt einfach mit einer gewissen Distanz und Unabhängigkeit auf die Themen.
Und wo investieren Sie?
Wir halten an allen wichtigen Zukunftsprojekten fest und investieren insbesondere in die Entwicklung neuer Produkte wie dem elektrischen Kältemittelverdichter. Unser Know-how bei Elektronik und Sensorik bauen wir aus, zum Beispiel bei der Radartechnologie. Dafür stellen wir in Bamberg Softwareingenieure und Elektrotechniker ein und erweitern Kompetenzen und Kapazitäten an unseren Standort im indischen Pune.
Brose nutzt die Radartechnologie bereits für die Gestenerkennung beim berührungslosen Öffnen und Schließen von Heckklappen. Für welche zukünftigen Projekte wollen Sie die Radartechnologie noch nutzen?
Radar lässt sich vielseitig einsetzen, zum Beispiel zur Personenerkennung im Innenraum oder als Kollisionsschutz beim automatisierten Öffnen und Schließen der Seitentüren. Dieses kann sowohl bei People Movern als auch bei konventionellen Fahrzeugen zum Einsatz kommen. Für solch eine Anwendung hat uns ein amerikanischer Kunde gerade den ersten Auftrag erteilt. Die Radartechnologie ist ein wichtiger Baustein unserer Strategie zur Systemerweiterung. Brose hat zwar unbestritten mechatronische Kompetenz, aber mit Sensorik, Elektronik und Software gehen wir den nächsten Schritt: Intelligente und vernetzte Produkte schaffen echten Kundennutzen. Denken Sie nur an die Verknüpfung von Fahrzeugzugang und Interieur für mehr Komfort beim autonomen Fahren. Brose ist das einzige Unternehmen, dass diese Systeme aus einer Hand anbieten kann.
Für die Weiterentwicklung Ihres Portfolios beabsichtigen Sie eine Partnerschaft mit Volkswagen für Komplettsitze. Warum will Brose bei Sitech einsteigen?
Wir sind ein führender Anbieter von Sitzstrukturen und haben langjährige Expertise bei Verstell- und Komfortkomponenten. Sitech hat Stärken in der Entwicklung, Produktion und Logistik von Komplettsitzen. Diese Kompetenzen soll das geplante Gemeinschaftsunternehmen verbinden und ein weltweit relevanter Systemlieferant werden. Brose und Volkswagen werden je 50 Prozent an dem Joint Venture halten. Dafür haben wir eine Absichtserklärung unterzeichnet. An diesem Tag waren auch Arbeitnehmervertreter von Volkswagen und Sitech in Coburg. Allen Beteiligten ist es sehr wichtig, dass das geplante Joint Venture eine breite Unterstützung erfährt. In den kommenden Monaten geht es darum, eine Vertragsbasis für das mögliche Gemeinschaftsunternehmen auszugestalten. Unser gemeinsames Ziel ist eine langfristige, erfolgreiche Partnerschaft.
Trägt der Einstieg bei Sitech bereits Ihren Stempel?
Nicht von Anfang an, da die Planungen dazu schon vor meinem Start begannen. Als das Projekt konkret wurde, habe ich meine Vorstellungen natürlich eingebracht. Ich bin fest von der Zukunftsfähigkeit des geplanten Gemeinschaftsunternehmens überzeugt.
Im weltweiten Markt für Komplettsitze bekommen Sie es mit einigen Schwergewichten wie Faurecia oder Adient zu tun. Welche Position wollen Sie einnehmen?
Zu Beginn würde das Joint Venture noch nicht zu den größten Anbietern zählen, hätte aber auf jeden Fall eine relevante Größe. Zudem soll das geplante Gemeinschaftsunternehmen nicht nur mit Volkswagen als Kunden, sondern auch mit anderen Fahrzeugherstellern wachsen. Erste Reaktionen zeigen, dass sie diesem Angebot aufgeschlossen gegenüberstehen. Für das künftige Geschäft – mit Volkswagen und mit Drittkunden – gibt es jedenfalls ein klares Ziel: Wir wollen langfristig zu den Top 3 Anbietern im Sitzmarkt gehören.
Brose hat in der Vergangenheit immer seine finanzielle Unabhängigkeit betont und dass es ein Familienunternehmen bleiben will. Daran halten Sie fest?
Unsere grundsätzliche Einstellung zur finanziellen Ausrichtung des Unternehmens hat sich nicht geändert. Wir wollen nachhaltig wirtschaften und das künftige Wachstum und die technologische Entwicklung von Brose aus eigener Kraft gestalten. Bedingt durch Corona und in Anbetracht der massiven Investitionen greifen wir aber besonders im zweiten Halbjahr auch auf Kredite mit sehr guten Konditionen zurück. Der Umsatzeinbruch in diesem Jahr sorgt zudem dafür, dass wir unsere Liquidität besonders im Auge behalten müssen.
Ist die Entscheidung der Politik, die Elektromobilität zu fördern, in diesen Zeiten der richtige Schritt gewesen?
Das ist ein Thema, dass mich emotional sehr berührt. Als Ingenieur kann ich nicht nachvollziehen, dass in Brüssel ein Elektroauto so behandelt wird, als würde es zu 100 Prozent CO2-neutral hergestellt und betrieben. Das entspricht einfach nicht der Realität. Ein modernes Dieselfahrzeug ist bei der CO2-Bilanz durchaus wettbewerbsfähig. Mit synthetischen Kraftstoffen schlägt der Diesel sogar das E-Auto. Hinzu kommen Emissionsziele, die im Gesamtkontext nicht dem Umweltschutz dienlich sind. Und es wird eine Antriebsform gefördert, deren Anteil an den Neuzulassungen im einstelligen Prozentbereich liegt, weil sie die Bedürfnisse der Nutzer noch nicht erfüllt. Die aktuelle Politik hilft also weder der Industrie noch der Umwelt und stellt etwas infrage, was Deutschland richtig gut kann – die besten Motoren der Welt entwickeln und produzieren. Ein weiteres Feld sind Wasserstoffantriebe. Wir verfügen in Deutschland über eine breite Palette an Antriebsvarianten und nutzen diese nicht mit vernünftigen Rahmenbedingungen im freien Wettbewerb. Jede Antriebsform hat ihre Stärken und Schwächen. Wir könnten alle Segmente mit Best-in-Class-Technologie bedienen. Das muss unser Anspruch sein. Stattdessen verunsichern die unklaren und wenig nachvollziehbaren Vorgaben unserer politischen Führung potenzielle Autokäufer.
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