Der beispiellose Shutdown in der Automobilindustrie weckt in der Branche Hoffnungen auf eine Verschiebung der CO2-Regulierung und auf eine Minderung der drohenden Milliardenstrafen.
Der ehemalige EU-Kommissar und Politikberater Günther Oettinger (CDU) sprach sich im Gespräch mit der Automobilwoche für eine Lockerung der CO2-Ziele für die Autobranche aus, falls die Corona-Krise noch länger anhalten sollte. "Die Politik darf dann nicht auf Vorgaben beharren, die unter anderen Geschäftsgrundlagen beschlossen wurden", sagte Oettinger. Es dürfe keine Denkverbote geben, um eine existenzielle Schwächung der Unternehmen zu verhindern.
Während sich die Hersteller und die meisten Automobilverbände noch bedeckt halten, werden offenbar hinter den Kulissen bereits Berechnungen angestellt. "In den Investor-Relations-Abteilungen mehrerer Automobilunternehmen wird diskutiert, ob es nicht an der Zeit wäre, die für 2021 vereinbarte nächste Stufe der CO2-Regulierung in der EU zu verschieben", sagte Frank Schwope, Automobilanalyst bei der NordLB. "Für 2020 wünschen sich die Hersteller zumindest eine Stundung der möglicherweise fälligen CO2-Strafzahlungen", sagte Schwope zur Automobilwoche.
Ex-EU-Kommissar Oettinger betonte, eine mögliche Verschiebung um ein oder zwei Jahre müsse an bestimmte Voraussetzungen geknüpft werden. Niemand könne vorhersehen, wie sich der Mix der Fahrzeuge und der Anteil an Elektroautos in diesem Jahr angesichts der Krise verändern werde.
Deshalb sollten die Hersteller ihre Verkäufe und den CO2-Ausstoß transparent machen und das Gespräch mit Brüssel suchen, falls sich abzeichne, dass die Ziele durch die Krise unerreichbar geworden sind. "Wir reden hier über eine Schlüsselindustrie mit vielen Millionen Arbeitsplätzen in ganz Europa, deren Wettbewerbsfähigkeit es unbedingt zu erhalten gilt."