Zum Jahresanfang hat der Bosch-Konzern die neue Einheit Cross-Domain Computing Solutions eingerichtet. Sie soll mehr Rechenpower und einfachere Elektronik-Architekturen im Auto ermöglichen. Im Doppelinterview mit der Automobilwoche erklären Geschäftsführer Harald Kröger und Mathias Pillin, Leiter des Geschäftsbereichs, warum sie mit zweistelligen Wachstumsraten rechnen, von Alleingängen der Hersteller nichts halten und mit dem Namen Bosch bei autonom fahrenden Robo-Taxis zu rechnen ist.
Herr Kröger, warum braucht Bosch eine solche Einheit?
Die Anforderungen an die Elektronik-Architekturen der Fahrzeuge haben sich in den vergangenen Jahren dramatisch verändert. Heute muss eine Vielzahl an Funktionen parallel laufen. In Zukunft sollen dafür wenige Zentralrechner ausreichen, die quasi das Gehirn des Autos bilden und alle Denkaufgaben lösen. Diese neue Architektur lässt sich mit den bisherigen Strukturen bei Zulieferern, die auf die oft geforderten Einzellösungen unserer Kunden ausgerichtet waren, nicht mehr so einfach darstellen. Jetzt wollen wir die neue Architektur im Auto, also die zentrale Steuerung aller Bereiche, auf unsere Organisation übertragen.
Herr Pillin, was ist ihre größte Aufgabe als Leiter der Einheit?
Wir integrieren hier unterschiedliche Unternehmenseinheiten mit jeweils einer ganz eigenen Tradition zu einer Erfolgsgeschichte. Da ist die Multimedia-Einheit genauso dabei wie Body-Electronics oder auch Fahrassistenzsysteme. Wichtig wird es sein, die Gemeinsamkeiten etwa bei den Rechenfunktionen zwischen Multimedia und Fahrassistenz zu finden und außerdem die spezifischen Kompetenzen der einzelnen Säulen auch für die anderen nutzbar zu machen. So bringen wir mit der neuen Einheit noch mehr PS auf die Straße.
Der neue Bereich hat 17.000 Mitarbeiter. Suchen Sie noch Software-Spezialisten oder sind Sie da gut aufgestellt?
Pillin: Wir haben 8000 Software-Entwickler an Bord, damit spielen wir bereits in der Top-Liga. Wir haben sehr viele Aufträge an Land gezogen und sehen großes Wachstumspotenzial. Ich bin aber überzeugt, dass wir dies mit der bestehenden Mannschaft bewältigen können. Alles andere wird die weitere Entwicklung des Geschäfts zeigen.
Kröger: Der Job, den Mathias Pillin antritt, ist sicher einer der anspruchsvollsten, aber auch einer der begehrtesten, den wir derzeit im Konzern haben. Der Vorteil ist, dass er schon in mehreren dieser spannenden Domänen Leitungsfunktionen innehatte, wie etwa bei den Fahrassistenzsystemen oder im Multimedia-Umfeld. Seitdem wir die Gründung des neuen Bereichs angekündigt haben, sehen wir ein starkes Interesse auch von externen Talenten, die hier mitmachen wollen. Insofern sehe ich da für die Zukunft kein Problem.
Wie viel Umsatz wollen Sie in diesem Bereich bis 2025 machen?
Kröger: Wir machen keine konkreten Angaben zum Umsatz. Wir haben gesagt, dass bereits Aufträge im mittleren bis höheren einstelligen Milliardenbereich vorliegen. Aber klar ist, dass der Bereich einmal in der gleichen Liga spielen soll wie unsere Antriebstechnik, und die ist heute der größte Bereich in der Mobilitätssparte.
Pillin: Wenn wir auf die Fahrzeuge und den Markt schauen, sehen wir wachsende Ausstattungsquoten. Bei der Fahrassistenz wird dies auch durch steigende Sicherheitsanforderungen etwa beim NCAP getrieben. Mit jedem Level steigt hier die Zahl der Rechenfunktionen enorm an. Das gleiche gilt für das Infotainment, in dem sich die Hersteller immer stärker differenzieren wollen. Deshalb rechnen wir mit zweistelligen Wachstumsraten pro Jahr.
Um diese steigenden Anforderungen in den Griff zu bekommen, wollen Sie die Zahl der Rechner reduzieren. Wie sieht das im Fahrzeug konkret aus?
Kröger: Ich glaube nicht, dass wir am Ende nur bei einem Rechner landen, denn dafür müsste man einen unnötig hohen Verkabelungsaufwand quer durchs Auto betreiben. Vermutlich ist eine Dreiteilung am sinnvollsten. Außer es handelt sich um ein ganz einfaches Fahrzeug, in dem vielleicht auch nur ein oder zwei elektronische Gehirne ausreichen. Das Ziel ist aber nicht eine bestimmte Zahl, sondern möglichst viele Funktionen für möglichst wenig Geld. Klar ist, dass der Anspruch der Kunden in diesem Bereich stark zunimmt.
Viele Hersteller wie Mercedes oder VW wollen ihre Betriebssysteme selber machen. Wo genau ist da die Rolle für Bosch?
Kröger: Ich halte es nicht für sinnvoll, dass jeder diese Aufgabe alleine angeht. Das wäre extrem unwirtschaftlich. Wir haben hier eine große Software-Mannschaft, die hat das Problem schon gelöst. Wer das Rad nochmals neu erfinden will, kann das natürlich tun. Aber er muss viele gute Leute vom Markt einsammeln, die kaum noch verfügbar sind. Das wird zu schmerzhaften Lernkurven führen. Und ob die Käufer der Autos am Ende bereit sind, dafür zu zahlen, wird sich zeigen.
Pillin: Die Ankündigungen sind auch eine Antwort auf das Problem der Integration. Die Hersteller haben viele einzelne Lieferanten beauftragt und gemerkt, dass die Software-Module in dieser komplexen Landschaft nicht immer genau zusammenpassen. Die Antwort mancher OEM darauf war ein eigenes Betriebssystem. Meine Erfahrung ist aber, dass dies nicht differenzierend ist und über viele Generationen gepflegt werden muss, was auch Komplexität schafft. Wir sind der Meinung, dass wir hier die bessere Antwort haben, weil wir die komplette Domäne von der Hardware bis zur Anbindung an die Cloud aus einer Hand lösen können. Wir müssen nicht immer alles zur Verfügung stellen, aber wir können es.
Wer sind denn die Wettbewerber im Markt?
Kröger: Über unsere Wettbewerber sprechen wir nicht. Viele machen hier einen guten Job und mit manchen werden wir im Tandem zusammenarbeiten. Aber ich bin so selbstbewusst zu sagen, dass kein anderer das Auto in der Komplexität und in allen Domänen so gut abdeckt wie wir. Das geht runter bis zu den Halbleiter-Sensoren. Da haben wir große Vorteile.
Gibt es bei den Anfragen marktspezifische Unterschiede? Wo ist die Nachfrage am stärksten?
Pillin: Wir sind eigentlich in allen Regionen gut positioniert. Natürlich kommen manche Funktionen in China schneller wie etwa das automatisierte Fahren auf Level 2+, bei dem die Hände vom Lenkrad genommen werden können. Das hängt auch von der Regulierung durch die Behörden ab. Aber bei anderen Funktionen und somit Kunden geht es vielleicht in Europa oder den USA schneller.
Kröger: Es kommt eigentlich aus allen Ecken der Welt eine sehr gute Resonanz. Das zeigt, dass wir einen Nerv getroffen haben.
Ein solches System ist bei Tesla ja angeblich schon seit vielen Jahren verbaut. Warum kommen deutsche Hersteller da erst jetzt drauf?
Kröger: Tesla hat unbestritten einen tollen Job gemacht und ist mit einer am Reißbrett entworfenen Architektur angetreten, die anders ist. Man muss im Kopf behalten, dass die hiesigen großen Autohersteller seit vielen Jahren Modelle entwickeln und es bei Nachfolgern immer große Überlappungen gibt. Was sich bewährt hat, wird übernommen. Wirtschaftlich hat das sehr gut funktioniert. Aber ich sehe bei allen Herstellern den Willen, auf diesen neuen Ansatz umzuschwenken.
Bis wann werden sich solche Systeme in der breiten Masse der Autos durchsetzen?
Kröger: Das ist ein stufenloser Prozess. Diese Gehirne sammeln immer mehr Aufgaben von den kleineren Steuergeräten im Auto ein. Eine Klimaanlage hatte bisher immer ein eigenes Steuergerät. Das wird in Zukunft Teil der Rechenlast eines anderen Steuergeräts sein, das nebenbei noch ganz andere Funktionen übernimmt. Jeder Hersteller fängt da woanders an, aber wir sind schon gut unterwegs.
Pillin: Bei der Fahrassistenz kommt beispielsweise immer mehr Künstliche Intelligenz dazu. Dafür brauchen wir gewaltige Rechnerleistungen und eine leistungsfähige Cloud-Anbindung. In der Entwicklung können somit auch disruptive Schritte dabei sein, auch wenn der Umstellungsprozess insgesamt evolutionär verläuft. Bei Bosch sind wir hierfür sehr gut aufgestellt.
Ein Zauberwort sind Updates Over the Air. Auch hier war Tesla Vorreiter, oder?
Pillin: Prinzipiell sind alle unsere Geräte heute update-fähig, können also aus der Ferne aktualisiert werden. Wir haben beispielsweise heute schon Projekte in der Entwicklung, bei denen Parkfunktionen wie das Einparken in bestimmte Parklückensituationen nachträglich über die Software in den Steuergeräten integriert werden können. Da sehen wir in den nächsten Jahren durchaus lukrative Geschäftsmodelle.
Kröger: Es ist aber nicht wie beim Smartphone, bei dem jeden Tag neue Apps geladen oder auch wieder gelöscht werden. Es geht darum, dass wir Verbesserungen wie eine solche Parkfunktion unkompliziert ins Auto bekommen. Dies wird dramatisch vereinfacht. Aber ich sehe nicht, dass Kunden ständig für jede Funktion extra bezahlen wollen. Das Auto muss in sich stimmig sein.
Wenn ein Auto länger aktuell bleibt, brauchen dann Kunden seltener eins?
Kröger: Ich glaube das nicht. Wenn man es nüchtern betrachtet, dann hätte man die letzten fünf Smartphone-Generationen auch auslassen können, weil der Zugewinn an Funktionen nicht sehr groß war. Menschen haben Lust, etwas Neues zu kaufen. Autos sind heraldische Produkte, die über den Nutzwert hinausgehen. Das wird sich auch durch Update-Funktionen nicht ändern.
Ein Treiber für neue Betriebssysteme ist das automatisierte Fahren. Wie weit ist Bosch da?
Pillin: Hier müssen wir trennen. Gerade durch die Covid-Krise haben Hersteller ihre Mittel in Angebote gesteckt, die schneller in die Fahrzeuge kommen. Dazu gehört beispielsweise das freihändige Fahren auf Level 2+. Wir halten trotzdem an unserer Strategie für Robotaxis fest und sind vor Kurzem mit einem unserer Versuchsträger gefahren. Es ist erstaunlich, was mittlerweile schon möglich ist. Flottenbetreiber sehen hier nach wie vor ein Geschäftsmodell, wenn sie dadurch weniger Fahrer benötigen – zumal es auch nicht genug Fahrer gibt. Der Zeitpunkt für den Einsatz hat sich allerdings etwas verschoben.
Kröger: Es gibt viele Firmen, die lautstark kommunizieren, weil sie an der Börse bestimmte Ziele erreichen wollen. Wir sind etwas ruhiger, aber ich behaupte, nicht viele Autos können das, was wir bereits in schwierigen deutschen Städten und in Kalifornien zusammen mit Daimler erreicht haben. Viele haben sich bereits verabschiedet aus dem Rennen. Bosch dagegen hat viel Energie darauf verwendet und es grundsolide aufgesetzt. Mit unserem Namen muss man rechnen.
Aber einen Zeitpunkt trauen Sie sich nicht mehr zu, oder?
Kröger: Wir sind nicht drauf aus, das erste Zirkuspferd zu haben, sondern ein Produkt, das sicher ist und verlässlich funktioniert. Wir wollen eine Lösung, die schon in der Anlage alles berücksichtigt und dann zu einem Produkt wird, das skalierungsfähig ist. Das haben wir bis jetzt besser hingekriegt als viele andere Firmen.
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