Herr Hartung, Messen verlieren an Bedeutung. Warum wären Sie trotzdem noch nach Genf gegangen?
Für uns als Zulieferer ist der Genfer Automobilsalon als Auftaktveranstaltung des Jahres ein wichtiger Termin im Kalender. Traditionell haben Messen in der Automobilindustrie eine hohe Bedeutung. Es sind wichtige Plattformen für uns – wir treffen dort zahlreiche Kunden oder auch Mitbewerber und können in kurzer Zeit viele Gespräche führen. Für Konsumenten liegt der Charme von Automessen nach wie vor darin, an einem Ort die ganze Vielfalt automobiler Neuheiten zu sehen. Klar, auch die Automessen verändern sich, die Themen werden spezifischer. Aber sie haben ihre Berechtigung.
Wo würden Sie sich als Bosch-Konzern die IAA wünschen?
Das ist die Sache des VDA. Aber es gilt: Wenn man sich für einen Standort entschieden hat, dann sollten auch alle dabei sein und dahinterstehen.
Mit der Bosch Connected World haben Sie ein eigenes Format geschaffen. Liegt darin die Zukunft?
Die Bosch Connected World in Berlin ist der Branchentreff für das Internet der Dinge. Es ist ein Treffpunkt von Experten und der Community für vernetzte Produkte und Lösungen. Eine solche Veranstaltung rein auf unsere Autothemen zu übertragen, ist ungleich herausfordernder. Allein die Vorstandschefs aller Hersteller an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zu versammeln, ist aufgrund der vollen Terminkalender quasi ein Ding der Unmöglichkeit. Eigene Formate bleiben daher vor allem eine sinnvolle Ergänzung zu den Messen.
Der Bosch-Konzern wandelt sich rasant zum Software-Konzern. Wie weit ist der Umbau bereits vorangeschritten?
Bosch ist längst auch ein Software-Unternehmen. Wir beschäftigen mehr als 30.000 Software-Entwickler, davon allein 14.000 im Unternehmensbereich Mobility Solutions. Jedes Jahr investieren wir 3,7 Milliarden Euro in die Software-Entwicklung. Für uns geht es in erster Linie darum, auf der einen Seite die Arbeitsweisen und die Agilität aus der Software-Welt zu übernehmen und auf der anderen Seite klassische Themen wie die automobile Qualität und die funktionale Sicherheit zu behalten. Damit verbunden ist vor allem ein Kulturwandel – und durchaus auch eine Herausforderung. Es ist jedenfalls nicht damit getan, einfach mehr Software-Experten einzustellen.
Wie wichtig bleibt für Bosch das klassische Geschäft eines Zulieferers für die Autoindustrie?
Bosch ist mehr als Auto. Wir sind auch in der Fabrik oder im Gebäude zu Hause. Dennoch bleibt die Zulieferersparte eine tragende Säule, und es gelingt uns immer wieder, Kompetenzen oder Lösungen aus unseren Mobility Solutions in andere Sparten zu übertragen. Nehmen Sie zum Beispiel unsere Sensoren für die Landwirtschaft zur genauen Dosierung von Dünge- oder Pflanzenschutzmitteln. Die kommen aus der Fahrzeugtechnik. Genauso die Lambdasonde, die im Backofen als Sensor den Feuchtigkeitsgehalt misst und über eine App meldet, wann der Kuchen fertig ist.
Gerade bei der klassischen Verbrenner-Technologie sind im vergangenen Jahr bei Bosch viele Stellen weggefallen. Wie sieht es für dieses Jahr aus?
Wir rechnen vor 2025 nicht mit einer Steigerung der globalen Automobilproduktion und stellen uns jedenfalls auf ein gleichbleibendes Niveau in den kommenden Jahren ein. Wie viele Kunden und Wettbewerber auch, müssen wir deshalb unsere Strukturen und unser Personal anpassen. Wir gehen hier aber nicht pauschal vor, sondern Standort für Standort. Jeder Standort ist verschieden, jede Lösung ist verschieden. Das ist für uns der richtige Weg. Aktuell schrumpft der Markt für Diesel-Aggregate weiter, während der Benziner stabil bleibt. Manche Entwicklungen lassen sich aber auch nicht vorhersehen. Niemand konnte sich Plug-In-Hybride für Diesel vorstellen, doch jetzt verkaufen sie sich.
Eine Kompensation für den Verbrenner könnte die Brennstoffzelle sein. Warum glaubt Bosch an die Technologie?
Wir unterscheiden hier zwischen stationären und mobilen Anwendungen. Bei der stationären Brennstoffzelle sehen wir jetzt schon ein Geschäftsmodell. Sie hat einen sehr hohen Wirkungsgrad und kann – eingesetzt in einem dezentralen Kraftwerk – beispielsweise für große Rechenzentren sinnvoll sein, die große Energiemengen und eine abgesicherte Stromversorgung benötigen. Das lässt sich mit einer Brennstoffzelle elegant lösen.
Aber Sie wollen die Brennstoffzelle ja auch ins Fahrzeug bringen, oder?
Ursprünglich war die Idee, eine Technologielücke für den Schwerlastverkehr auf der Langstrecke zu schließen. Rein batterieelektrische Lösungen ergeben aufgrund des hohen Batteriegewichts, das zu Lasten der Zuladung geht, und der eingeschränkten Reichweite wenig Sinn. Deshalb setzen wir auf die Brennstoffzelle und glauben, dass sie in Zukunft auch für die Pkw interessant wird. Das wiederum hängt allerdings auch von der Energiepolitik eines Landes ab.
Inwiefern?
Die größte Herausforderung liegt darin, die Heizungen in den Haushalten und die Stromversorgung der Industrie klimaneutral zu bekommen. Solar- oder Windstrom geben das wegen der enormen benötigten Menge allein nicht her. Zumal die Sonne im Winter kaum scheint, und Wind ist auch nicht immer ausreichend verfügbar. Bleibt also nachhaltig hergestellter Wasserstoff, der sich auch wunderbar als Speicher für erneuerbare Energien eignet. Wenn erst einmal eine H2-Infrastruktur aufgebaut ist, dann wird es auch für Brennstoffzellen-Pkw wesentlich leichter.
Mit dem von Iveco gebauten Nikola Tre soll ab 2023 ein erster Brennstoffzellen-Lkw in Deutschland an den Start gehen. Kommt das System von Bosch?
Wir haben gemeinsam mit Nikola einen Brennstoffzellenantrieb für den Elektro-Schwerlaster Nikola Two Alpha entwickelt und stehen bezüglich weiterer Zusammenarbeit im engen Austausch. Eine Entscheidung für die geplanten Serien-Modelle ist noch nicht gefallen. Bei Bosch wollen wir mit der industriellen Serienfertigung der Brennstoffzelle spätestens 2023 beginnen.
Braucht es regulatorische Eingriffe, um der Technologie zum Durchbruch zu helfen?
Die gibt es ja schon, etwa die Befreiung von der Maut für Elektro-Lkw. Auch die CO2-Bepreisung wird sich positiv auswirken. Doch die Unterstützung kann nur für eine Übergangszeit funktionieren. Am Ende muss es sich rechnen. Es ist ja nicht Aufgabe des Steuerzahlers, künstlich Märkte zu schaffen. Deshalb müssen in der H2-Erzeugung und -Verteilung sowie bei der Brennstoffzellentechnik die Kosten soweit runter, dass ein Geschäftsmodell daraus wird. Ich bin überzeugt, das wird funktionieren.
Nach Tesla bei den E-Autos macht mit Iveco auch bei der Brennstoffzelle ein ausländischer Hersteller Schlagzeilen. Verschlafen die Deutschen wieder einen Trend?
Nein, das sehe ich weder bei der E-Mobilität noch bei der Brennstoffzelle so. Daimler etwa hat bei der Entwicklung der Brennstoffzelle bereits einen sehr langen Atem bewiesen. Auch bei Bosch haben wir frühzeitig Wissen und hohe Finanzmittel eingesetzt, um der Elektromobilität zum Durchbruch zu verhelfen. Allein in diesem Jahr wendet Bosch für die Elektromobilität – inklusive der mobilen Brennstoffzelle – rund 500 Millionen Euro auf. Außerdem belebt Konkurrenz das Geschäft – das ist gut so.
Der Druck auf die Branche ist groß, jetzt kommt noch der Coronavirus hinzu. Wie wirkt sich das auf Bosch aus?
Momentan ist es noch zu früh, sich zu Auswirkungen auf das Geschäft zu äußern. Ein Großteil unserer Standorte hat zwischenzeitlich wieder langsam mit der Produktion begonnen. Die nächsten Wochen werden hier mehr Transparenz bringen. Am wichtigsten sind uns aber die Menschen. Es geht darum, unsere rund 60.000 Mitarbeiter in China zu schützen. Das hat oberste Priorität.
Das Interview führte Michael Gerster.
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