In welchen Bereichen sich die Risikolage für Zulieferer verändert hat

Derzeit sehen sich die Automobilzulieferer mit den Nachwirkungen verschiedener Herausforderungen wie der COVID-19-Pandemie und der weltweiten Halbleiterkrise konfrontiert. Auch künftig werden hohe Rohstoff- und Energiekosten, ein anhaltendes hohes Zinsniveau sowie eine mögliche Rezession die Industrie vor weitere Komplexitäten stellen, so einige Aussagen des Supplier Risk Monitor 2023 der Unternehmensberatung Deloitte.

Gleichzeitig müsse die Transformation der automobilen Wertschöpfungskette hin zu alternativen Antrieben unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsanforderungen vorangetrieben werden. In diesem Umfeld sei es entscheidend, die verschiedenen Unternehmens- und Marktrisiken zu kennen, um frühzeitig Gegenmaßnahmen einzuleiten und zielgerichtet zu transformieren.

Die Kosten der Transformation werden zu großen Teilen durch die Zulieferindustrie getragen. Zeitgleich konnten die OEMs ihre Gewinnmargen in den letzten ein bis zwei Jahren steigern, während vor allem die mittleren und kleinen Zulieferer eine rückläufige Profitabilität verzeichneten. "Die Bilanzen sind nachhaltig geschwächt und viele Zulieferer haben kaum genug finanzielle Rücklagen, um die zukünftigen Herausforderungen der Transformation meistern zu können“, heißt es in der Studie.

Für Philipp Kinzler, Partner Turnaround & Restructuring bei Deloitte und Mit-Autor der Studie haben vor allem die kleinen Unternehmen unter der Krise stark gelitten. „Zulieferer, von denen die Fahrzeughersteller künftig keine Innovationen erwarten, dürfen kaum noch mit der Unterstützung der OEMs rechnen“, sagte er im Gespräch mit Automobilwoche. In der Zulieferindustrie gebe es gerade einen Ausleseprozess. „Die Fahrzeughersteller geraden zudem derzeit selber unter Druck und geben diesen weiter“, sagt Kinzler.

In vielen Fällen sei die Lagerhaltung für Unternehmen zum Problem geworden. „Hier sind die durchschnittlichen Lagerreichweiten bei den kleineren Zulieferern von 56,6 Tagen in der Krise auf jetzt 71,5 Tage angestiegen.“ Einen Grund dafür sieht er unter anderem in der schlechteren Vorhersehbarkeit der Abrufe durch die Fahrzeughersteller. „Hier müssen die Zulieferer innovative Konzepte erarbeiten, um der hohen Kapitalbindung entgegenzuwirken“, ist er überzeugt.

Den Ernst der Lage bei den Zulieferern macht Daniel Montanus, ebenfalls Partner Turnaround & Restructuring und Studien-Autor, klar: „13 Prozent der von uns untersuchten Unternehmen sind in ernsten finanziellen Problemen und nur 56 Prozent gesund.“ Zu den Herausforderungen für die Unternehmen zähle die Finanzierung: „Für traditionelle Technologien verlangen die Banken bei Krediten einen Risikoaufschlag von den Zulieferern. Das ist für viele Unternehmen in diesem Bereich ein Riesenthema.“

Die aktuelle Situation berge für viele Zulieferer jedenfalls enorme Risiken: Unternehmen, die zu langsam sind, um die neuesten Technologie- und Verbrauchertrends umzusetzen oder neue Vorschriften einzuhalten, riskieren zu scheitern. Dazu zählen vor allem die spezifischen Herausforderungen, die sich beispielsweise aus der Elektrifizierung und Digitalisierung, aber auch aus Nachhaltigkeitsanforderungen ergeben. Insbesondere Produkte rund um den Verbrennungsmotor stehen unter starkem Druck, während die Elektromobilität stark an Bedeutung gewinnt“, so die Autoren. Doch die verschiedenen Zulieferer sind unterschiedlich stark externen und internen Risiken ausgesetzt:

Zu den externen Risiken zählen die Autoren unkontrollierbare Faktoren wie beispielsweise Wettbewerbsdruck oder regulatorische Entwicklungen, die einen Einfluss auf die gegenwärtige oder zukünftige Performance eines Unternehmens haben, aber weitgehend dem Einfluss des Managements entzogen sind. Anders die internen Risiken, die grundsätzlich vom Unternehmen beeinflusst werden können.

Laut Studie ist die Kombination aus Szenario-basiertem Denken und strategischem Handeln unerlässlich, um auf verschiedene Entwicklungen vorbereitet zu sein und diese zu reflektieren. Diese Kombination helfe Zulieferern, deren Kunden sowie auch Finanzierungspartnern, proaktiv Risikobereiche zu erkennen sowie eine priorisierte Reihe von Gegenmaßnahmen zu definieren und zu ergreifen, um auf die möglichen Bedrohungen für ihr Geschäft zu reagieren. Und zwar abhängig von der weiteren Entwicklung,

Beim Supplier Risk Monitor wurde der Automobilzulieferermarkt in 19 Fahrzeugkomponenten-Cluster aufgeteilt. Ziel ist es, die clusterspezifischen Risiken zu identifizieren, deren potenzielle Auswirkungen zu skizzieren und mögliche Gegenmaßnahmen aufzuzeigen. Dies soll Zulieferern und deren wichtigste Stakeholder – von den OEMs bis hin zu den Kapitalgebern helfen, Risiken zu managen und deren Auswirkungen zu mindern.

Zu den externen Risikofaktoren zählen Marktstruktur und -druck, das regulatorische und gesellschaftliche Umfeld sowie die zukünftige Marktrelevanz. Während alle Unternehmen innerhalb eines Clusters in gleichem Maße von diesen externen Faktoren betroffen sind, unterscheiden sie sich jedoch hinsichtlich ihrer internen Risiken. Diese umfassen die Möglichkeiten, Cash zu generieren, die Anpassungsfähigkeit und Innovationsfähigkeit innerhalb des Clusters sowie die Bonität. Der Wert, der den Risikokategorien zugewiesen wird, ergibt sich aus in Summe 25 verschiedenen Risikoindikatoren, die auf der Grundlage von Recherchen und Benchmarks von mehr als 750 Zulieferern bewertet werden.

Die größten Herausforderungen bestehen derzeit in Fahrzeugkomponenten-Clustern, die sich auf ICE (Internal Combustion Engine) und Chassis konzentrieren. So weist das Cluster ICE das höchste externe Risiko auf. Dieser Bereich ist gekennzeichnet durch ein sinkendes Marktvolumen, eine hohe Marktkonsolidierung und starker negativer Auswirkungen seitens der Gesetzgebung. Das höchste interne Risiko wurde auf Basis aktueller Auswertungen im Fahrzeugkomponenten-Cluster Axles identifiziert. Eine geringe Profitabilität und schlechte Bilanzstrukturen sind die Begleiterscheinungen.

Die geringsten Risiken sind laut Deloitte eindeutig in den Clustern ADAS & Sensors und Electric Drivetrain zu finden. Das Cluster ADAS & Sensors weist sogar in vier von sechs Risikokategorien das geringste Risiko auf. Besonders positiv wirken sich hier vor allem die Faktoren Anpassungs- und Innovationsfähigkeit (zum Beispiel Forschungs- und Entwicklungsausgaben oder Patente), Bonität und Innenfinanzierungskraft (unter anderem Profitabilität, Cashflow oder Working Capital) aus.

„Zulieferer müssen in die Bereiche ADAS und Sensorik oder Infotainment zwar viel in Forschung und Entwicklung investieren, aber die Innovationskraft wird hier von den Kunden vergütet“, erklärt Montanus. Er verweist darauf, dass Zulieferer im Bereich ADAS und Sensorik eine durchschnittliche Ebit-Marge von 10,1 Prozent erzielen. Im Bereich Infotainment und Communications liege der Wert bei 8,8 Prozent. „Im Vergleich dazu, liegt die Ebit-Marge bei den traditionellen Technologien wie beispielsweise Achsen bei 3,0 Prozent. Die durchschnittliche Profitabilität über alle Bereiche liegt bei 5,9 Prozent“, ergänzt Montanus.

Im Vergleich zur vorherigen Ausgabe des Supplier Risk Monitor weisen laut Deloitte die verschiedenen Komponenten des Verbrennungsmotors (beispielsweise ICE, Transmission und Exhaust System) weiterhin das höchste Risiko auf, während Technologien im Zusammenhang mit Connected Driving and Electronics (ADAS & Sensors und Infotainment) ein geringes Risiko aufweisen. „In der letzten Studie war überraschend, dass das Interior-Segment relativ risikobehaftet war. Ein wesentlicher Grund dafür war, dass sich das Interieur zu einem Commodity entwickelt hatte, weil immer mehr Ressourcen in die neuen Antriebsstränge geflossen waren und entsprechend der Kostendruck in anderen, scheinbar momentan weniger relevanten Bereichen, deutlich erhöht wurde“, analysiert Montanus.

In der aktuellen Studie habe sich das Risiko für Interior nun wieder verringert. „Aktuell hat uns das vergleichsweise hohe Risiko in den Bereichen Chassis und Karosserie überrascht.“ Sein Kollege Kinzler ergänzt: „Wir sehen in Kundengesprächen, dass das Interieur vor allem im Hinblick auf das autonome Fahren an Bedeutung gewinnt und sich somit der Trend zum Commodity nach unserer Einschätzung wieder umkehren wird.“

Fast alle Fahrzeugkomponenten-Cluster mit traditionellen Technologien (beispielsweise Chassis, Karosserien und Achsen), verzeichnen im Vergleich zur letzten Ausgabe einen Anstieg des Risikos. Insbesondere zeichnen sie sich durch ein hohes internes Risiko aus. Dazu zählen eine geringe Profitabilität, hohe Zinsspreads oder ein schlechtes Rating. Gleichzeitig seien die externen Risiken im Bereich der traditionellen Technologien noch vergleichsweise gering, da beispielsweise ein Marktwachstum, wenn auch auf geringem Niveau, zu erwarten sei. Dennoch befinden sich diese Technologien laut Studie an einem entscheidenden Scheideweg: Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, um interne Schwächen zu beheben und sich für ein zukünftig noch schwierigeres Marktumfeld zu positionieren.

Zudem nehmen die Autoren die Konsolidierung im Markt unter die Lupe: „Konsolidierung findet insbesondere im Bereich der Verbrennertechnologie statt, wo einzelne Unternehmen einen größeren Anteil am an sich schrumpfenden Markt bekommen wollen“, analysiert Montanus. 65 Prozent der M&A-Transaktionen in diesem Bereich seien momentan auf Marktkonsolidierung zurückzuführen. Käufer aus anderen Bereichen, die in Verbrennertechnologie investieren, seien hier derzeit unterrepräsentiert. „Irgendwann werden die Fahrzeughersteller dieses, dann als Nische zu bezeichnende Segment, auch wieder besser vergüten müssen, damit die Zulieferer die Produkte, im Sinne einer Last Man Standing Strategie, auch bis zum Schluss fertigen.“

Zulieferer in den traditionellen Bereichen wie Chassis, Karosserien oder Achsen bewegen sich nach seiner Einschätzung derzeit noch in einem „relativ stabilen Markt. Jedoch ist deren Profitabilität und auch Bonität, wie unsere Analyse der Bilanzstrukturen und Ratings zeigt, oftmals unterdurchschnittlich und wir rechnen damit, dass zudem der Marktdruck zunimmt.“ Die Unternehmen sollten daher jetzt ihre Restrukturierung vorantreiben, um nicht selbst in den Strudel der Konsolidierung zu geraten.

„Unsere Analyse der Analystenratings, der Bilanzstrukturen aber auch der im Rahmen der Kreditverbgabe geforderten Zinsmargen zeigt, dass der Fremdkapitalmarkt zusehends skeptischer gegenüber der Verbrennertechnologien aber auch gegenüber anderen traditionellen Technologien wird.“ Probleme bei der Refinanzierung seien für viele Unternehmen in diesem Bereich ein großes Thema. „Überrascht hat uns hingegen, dass in diesen beiden Bereichen momentan teilweise noch ganz ordentliche Verkaufspreise im Rahmen von M&A -Transaktionen erzielt werden konnten“, ergänzt Montanus.

Der Deloitte-Partner empfiehlt den Zulieferern in Zeiten großer Unsicherheiten dringend in Szenarien zu planen und Maßnahmenpläne für den Fall des Eintritts eines Szenarios in der Schublade zu haben. „Für alle Zulieferer gilt gerade jetzt unverändert einen Fokus auf die Flexibilisierung der Kostenstrukturen zu legen und die Krisenresilienz durch die Freisetzung von Working Capital zu erhöhen. Abhängig von der Positionierung in unserer Risikomatrix sollen die Unternehmen mit geringer Finanzkraft auch Partnerschaften beispielsweise im Bereich Forschung und Entwicklung eingehen“, so Montanus. Die Zulieferer mit guter Marktpositionierung sollten hohe Markteintrittsbarrieren für mögliche Wettbewerber schaffen, indem sie ihre Innovationskraft stetig aufrechterhalten. „Das ist immens wichtig.“

Dazu aus dem Datencenter:

Die 100 umsatzstärksten Automobilzulieferer weltweit 2021