Herr Laier, welche Bedeutung hat die E-Mobilität bei Nutzfahrzeugen für Sie?
Wir sind der festen Überzeugung, dass E-Mobilität im Nutzfahrzeug kommen wird. Zunächst mehr im urban geprägten Umfeld, also bei Stadtbussen und Zulieferfahrzeugen, aber auch bei Bau-stellenfahrzeugen. Der Langstreckenverkehr ist sicherlich eine größere Herausforderung, aber wir möchten nicht ausschließen, dass die E-Mobilität auch dort kommen wird.
Und wie bereiten Sie sich darauf vor?
Zum einen bereiten wir unser bestehendes Produktportfolio auf die E-Mobilität vor, zum anderen schauen wir uns die Möglichkeiten an, die sich für uns aus der E-Mobilität ergeben. So haben wir Anfang 2017 die Kiepe Electric von Vossloh übernommen. Das Unternehmen bietet Systemlösungen für Schienenfahrzeuge und Busse an. Das bei Kiepe vorhandene Knowhow zur Elektrifizierung von Bussen möchten wir nutzen, um uns zukünftig als Zulieferer von Komponenten und Systemen für die E-Mobilität im Nutzfahrzeug zu engagieren.
Bietet für Sie die E-Mobilität mehr Chancen oder Risiken?
Sicherlich mehr Chancen. Auch in einem E-Fahrzeug wird es immer eine Bremse geben. Die sieht vielleicht etwas anders aus als bei einem Fahrzeug mit Verbrennungsmotor, aber es wird auch dort eine Reibbremse sein. Dabei wird Druckluft als Energiequelle auch weiterhin eine wesentliche Rolle spielen. Zum einen bei der Bremse, aber auch bei Themen wie Luftfederung und der Kopplung von Zugmaschine und Anhänger. Die Druckluftbremse der in erheblicher Anzahl im Feld befindlichen Anhänger benötigt auch in Zukunft komprimierte Luft, die aus dem Zugfahrzeug zur Verfügung gestellt wird. Aber vielleicht wird es irgendwann auch mal Fahrzeuge geben, die über andere Bremssysteme verfügen. Wir stellen uns diesen Herausforderungen und arbeiten auch hier an innovativen Lösungen für unsere Kunden.
Wie ist Knorr-Bremse beim Thema automatisiertes Fahren aufgestellt?
Neben der kontinuierlichen Weiterentwicklung unserer Fahrerassistenz-Systeme haben wir mit der Akquisition von Tedrive Steering im Jahr 2016 einen weiteren wichtigen Schritt hin zum automatisierten Fahren vollzogen. Denn beim automatisierten Fahren gibt es mit der Bremse und der Lenkung zwei entscheidende Aktuatoren im Fahrzeug. Mit der Kombination aus Lenkung und Bremse und einem Motion-Controller über den wir beide Aktuatoren koordiniert ansteuern, können wir die notwendige, spezifische Fahrdynamik für das automatisierte Fahren im Nutzfahrzeug darstellen. Mit automatisierten Fahrfunktionen wird auch der Absatz der Überlagerungslenkung, über die wir durch den Zukauf von Tedrive Steering verfügen, weiter zunehmen.
Wann rechnen Sie damit, dass sich das automatisierte Fahren durchsetzt?
Das automatisierte Fahren auf öffentlichen Straßen wird sich zunächst auf Autobahnen oder Highways durchsetzen. Das könnte Mitte der 20er Jahre so weit sein. Und mit unseren Kernkompetenzen bei der Bremse, in der Fahrdynamik, im Umfeld des Antriebsstranges und nun auch bei der Lenkung streben wir auch beim automatisierten Fahren an, der Systemlieferant im Nutzfahrzeug zu werden.
Wann rechnen Sie mit dem Platooning?
Wir unterscheiden zwischen dem Level-2-Platooning und Platooning der Level 3 und 4. Bei Level 2 wird der erste LKW von einem Fahrer gesteuert und in den folgenden Trucks sitzt ebenfalls ein Fahrer der noch lenkt. Die Längsführung wird aber vom System übernommen. Bei Level 3- und Level 4-Platooning wird auch die Querführung, und somit die komplette horizontale Führung der Trucks an Position zwei und Nachfolgende automatisiert. Level 2 sehen wir insbesondere in Nordamerika schon in näherer Zukunft. Mit Level 3 und 4 rechnen wir in den früheren 20er-Jahren.
Wann ist mit dem Einsatz des Highway-Piloten zu rechnen?
Da ist zunächst der Gesetzgeber gefordert, um Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen automatisiert gefahren werden darf. Technisch erwarten wir den Highway-Piloten inklusive der Absicherungsprozesse Mitte der 20-er Jahre. Zunächst für die rechte Spur und etwas später auch mit Überholfunktion.
Was wird der Highway-Assistent dann können?
Wir unterscheiden zunächst zwischen Assistent und Pilot. Der Highway-Assistent, der als Erstes kommen wird, ist noch eine Level 2-Funktion. Das heißt, der Fahrer ist in der Verantwortung und bekommt unter anderem Unterstützung etwa durch die Notbremse sowie Spurhalte- und Stau-Assistenzfunktionen. Mit dem Übergang auf Level 3 plus wird aus der Assistenz- dann eine Pilotfunktion. Das bedeutet, dass der Truck in bestimmten Situationen auf der Autobahn voll automatisiert fährt. Aber da es auch Mitte der 20er Jahre noch physikalische Grenzen in der Sensorik geben wird, wird das nicht bei allen Wetterbedingungen möglich sein. Vor allem mit dem Sprung von Level 2 auf Level 3 und höher, ab dem die Verantwortung beim Fahrzeug liegt und der Fahrer noch überwacht, verändern sich die Anforderungen an das Fahrzeug fundamental.
Können Sie das erläutern?
Es werden Redundanz-Architekturen notwendig, die dann im Fahrzeug vorhanden sein müssen, damit sicherheitsrelevante Komponenten auch bei Ausfall vollwertig ersetzt werden. Das einfachste wäre es, jede Komponente zu verdoppeln. Das ist aber zu teuer.
Geht es auch billiger?
Wir haben Konzepte entwickelt, wie sich eine solche Redundanz durch intelligente Anordnung und Verknüpfung der Komponenten und Systeme erreichen lässt, um kostengünstig zu bleiben. Wir haben intelligente Systeme geschaffen, bei denen man beispielsweise mit der Bremse lenken kann. Das ist eine Technik, die wir im Moment intensiv mit unseren Kunden besprechen und übrigens im September auf der der Nutzfahrzeug-IAA vorstellen.
Die Übernahme von Haldex ist gescheitet, aber Knorr-Bremse hält noch Anteile an den Schweden. Was wird daraus?
Aus unserer Sicht besteht kein Grund, an der aktuellen Situation etwas zu verändern. Wir sind weiterhin Shareholder dieses Unternehmens.
Welche Alternativen bieten sich Ihnen statt Haldex?
Unsere Strategie ist es, Zukäufe zu tätigen, um unser Portfolio strategisch zu erweitern oder uns hinsichtlich unseres Systemansatzes zu verstärken. Die Haldex-Akquisition wäre eine solche Möglichkeit gewesen. Wir werden unsere Strategie auch in Zukunft konsequent weiterverfolgen, der Systemlieferant für unsere Kunden in allen vier Megatrends der Nutzfahrzeug Branche, also der Verkehrssicherheit, dem automatisierten Fahren, der Konnektivität und der Emissionsreduzierung beziehungsweise E-Mobilität zu sein. Dazu haben wir beispielsweise unsere Engineering-Kompetenz durch den Aufbau von Personal weiter gestärkt. Wir legen zum einen unseren Fokus auf organisches Wachstum, vor allem hinsichtlich der genannten Megatrends aber auch hinsichtlich der weiteren Marktdurchdringung unserer Kernprodukte wie beispielsweise der Scheibenbremse in Nordamerika oder Asien. Andererseits halten wir natürlich Augen und Ohren offen und halten Ausschau auf dem Markt nach möglichen Zukäufen, die unter den genannten Kriterien zu uns passen.
Wie gut ist die Kriegskasse für Akquisitionen gefüllt?
Wir haben erst vor einigen Wochen eine Anleihe über 750 Millionen Euro begeben. Neben unserem starken Cashflow vergrößert die zusätzliche Liquidität den Handlungsspielraum von Knorr-Bremse, um künftig in Wachstumschancen zu investieren. Aber wir akquirieren keinen Umsatz des Umsatzes wegen, sondern wir kaufen Unternehmen in unseren beiden Divisionen, die strategisch zu uns passen, die uns auf der Systemseite weiterbringen und die neue Technologien ins Unternehmen bringen.
Welche Bereiche sind für Sie technologisch interessant?
Das sind insbesondere Technologien im Zusammenhang mit den genannten Trendthemen Fahrsicherheit, automatisiertes Fahren, Konnektivität sowie Emissionsreduktion und E-Mobilität. Aber auch Ergänzungen in unserem bestehenden Produktportfolio in bestimmten Märkten können interessant sein.
Welche Bedeutung haben für Sie Kooperationen?
Das ist für uns ein ganz wichtiges Thema. Die hohe Anzahl an Aufgaben, die durch die Megatrends auf die Branche zukommen, machen es notwendig, miteinander zu kooperieren. Beispielsweise ist für das automatisierte Fahren ein erweitertes Sensorspektrum im Fahrzeug notwendig, um beispielsweise die Umfelderkennung abdecken zu können. Um Skaleneffekte zu nutzen, arbeiten wir mit Partnern aus dem Pkw-Zuliefererbereich zusammen, deren Produkte wir auf die nutzfahrzeugspezifischen Anforderungen adaptieren, um kostengünstige und zuverlässige Systeme anbieten können. Es gibt einige Nutzfahrzeughersteller, die wollen von uns Subsysteme beispielsweise für das automatisierte Fahren kaufen, und es gibt einen erheblichen Anteil an Kunden, die wollen Gesamtsysteme. Bei Gesamtsystemen kooperieren wir mit Partnern, sind aber als Systemlieferant für die Systemintegration verantwortlich. Mit unseren Entwicklungen und Systemen insbesondere bezüglich der Megatrends sind wir jedenfalls auf sehr viel positive Marktresonanz gestoßen. Ich bin mir sicher, dass Knorr-Bremse bei den Themen Technologieführerschaft und Content per Lkw weiter Fortschritte machen wird.
Zuletzt war zu hören, dass eine Entscheidung über einen Börsengang von Knorr-Bremse im September fallen soll. Bleibt es dabei?
Das Unternehmen prüft die Option eines Börsengangs. Nach der Sommerpause wird darüber entschieden werden.
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