Wie Audi seine Werke zum Angriff auf BMW und Mercedes rüstet

Nach reichlich Kritik wegen fehlender neuer Modelle und zu wenig Innovationskraft soll 2023 für Audi zum Jahr des Aufbruchs werden. Ein Eckpfeiler der Pläne ist die neue Produktions­strategie von Vorstand Gerd ­Walker, die die Automobilwoche im August vergangenen Jahres exklusiv vorstellte.

Ziel ist die 360factory, wie sie Audi nennt. Das Konzept soll unter der Einrüstung von neuen Elektrofahrzeugen in bestehende Produktionsanlagen die Ziele Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit, Flexibilität und Attraktivität miteinander vereinen.

Den Anfang macht Audis Stammwerk in Ingolstadt, wo noch in diesem Jahr die Serienproduk­tion des Q6 e-tron anläuft, dem ersten Audi auf der neuen PPE-Elek­troarchitektur mit 800-Volt-Bordnetz. 2025 sollen dann mehr als 50 Prozent der in Ingolstadt gebauten Autos reine Elektrofahrzeuge sein.

Dafür bekommt der Standort nach dem Q6 e-tron innerhalb der nächsten zwei Jahre noch ein weiteres BEV-Modell – voraussichtlich in einem kompakteren Segment. Dazu passt: Die Verbrenner-Versionen des A3 und Q2 werden schon im Stammwerk in Bayerns fünftgrößter Stadt gefertigt. Bisher laufen Audis Stromer im VW-Werk in Zwickau (Q4 e-tron), Brüssel (Q8 e-tron) und in der ­Manufaktur Böllinger Höfe nahe dem Werk in Neckarsulm (e‑tron GT) vom Band.

Das Stammwerk des Premiumherstellers folgt jetzt in der zweiten Jahreshälfte. Danach sind die Elek­tri­fizierung von Neckarsulm, des ­mexikanischen Werks in San José Chiapa und Audis Antriebsschmiede in Györ an der Reihe, wo auch die Elektromotoren für die PPE-Fahrzeuge entstehen. In Ungarn ­arbeitet man bereits jetzt auch dem Standort Ingolstadt zu. 700 Mit­arbeiter sind im Dreischichtbetrieb in der Produktion der PPE-Antriebsstränge beschäftigt.

Audi-Vorstand Walker sagte der Automobilwoche über seine Zielsetzung: "Wir erneuern uns von innen heraus: Wir setzen auf unser bestehendes, weltweites Produktionsnetzwerk und transformieren unsere hoch qualifizierte Belegschaft. Für uns ist das gelebte Nachhaltigkeit – in ökologischer, wirtschaft­licher und sozialer Hinsicht."

Sein Plan sieht vor, dass 2029 ­alle Produktionsstandorte mindestens ein Audi-Elektroauto fertigen. Nur vier Jahre später steigen die ­Ingolstädter dann schon endgültig aus dem Bau von Verbrennern aus und produzieren nur noch Elektroautos.

Diesen technologischen Wandel nutzt Audi gleichzeitig für eine Anpassung seiner Produktionsstrukturen. 2033 sollen die jährlichen Betriebskosten pro Werk um 50 Prozent gesunken sein. So formuliert es Walker in seiner Strategie. Dafür will Audi die Komplexität seiner Fahrzeuge reduzieren und das Konzept der modularen Montage breiter ausrollen.

In Ingolstadt werden aktuell so bereits in einem Pilotprojekt Türverkleidungen für den A4 und den A5 verbaut. Bei der modularen Montage fahren Transportroboter je nach gebuchter Konfiguration des Kunden wirklich nur an die Stationen in der Werkhalle, die auch benötigt werden. Ist ein Lichtpaket mit Kabeln und Beleuchtungspanelen vom Kunden gewünscht, wird die Station dafür angesteuert. Ist das Paket nicht Teil des Kundenwunsches, wird sie ausgelassen. Die führerlosen Transportroboter erkennen dabei auch, welche Statio­nen eines Mitarbeiters frei sind und fahren die Positionen je nach Auslastung an. Das erhöht bei größerer Flexibilität auch die Effizienz in der Taktung der Produktion.

Produktionsvorstand Walker: "Smarte Technologien sind die Grundlage für eine zukunftsfähige Produktion in allen Audi-Werken weltweit – und damit fester Bestandteil der Audi 360factory, unserer voll vernetzten, effizienten und nachhaltigen Fabrik der Zukunft." Um die Flexibilität zusätzlich zu erhöhen, wird der Q6 e-tron in ­Ingolstadt auf der Montagelinie 1 zusammen mit dem A4 und dem A5 gebaut. Erst in einer Mischfahrweise, später dann mit immer stärkerer Fokussierung auf das Elek­tromodell. Eine Strategie, der sich auch BMW für seine Elektrofahrzeuge bedient, um je nach Kundennachfrage die Produktion entsprechend anpassen zu können.

Audis Fabriken sollen sich verändern. Das gilt auch bei den Ansprüchen an die Nachhaltigkeit in der Produktion. Bereits bekannt war das Markenziel, alle Audi-Werke ab 2025 bilanziell CO2-neutral produzieren zu lassen. Die Standorte Böllinger Höfe, Györ und Brüssel haben das bereits erreicht. Ziel der 360factory-Vorgaben ist jetzt zusätzlich eine Halbierung der Umweltauswirkungen eines Werks bis 2030 um ebenfalls 50 Prozent verglichen mit 2018. Dazu gehören unter anderem der Energieverbrauch, CO2-Emissionen, Luftschadstoffe, Abfallaufkommen und Wasserverbrauch. Als einen Hebel für dieses Ziel will Audi den Anteil von Rezyklaten in der Produktion stetig erhöhen. So ­werden beim Q4 e-tron aktuell 27 Bauteile mit Recyclinganteil ­verwendet – diese Zahl soll weiter steigen.

Bei der Energieversorgung der Standorte wird gleichzeitig der Ausbau erneuerbarer Energiequellen vorangetrieben. In Györ betreibt Audi bereits die mit 160.000 Quadratmetern größte Dach-Solaranlage Europas. Auch das Werk in Brüssel wird mit Solarenergie versorgt (107.000 Quadratmeter Fläche). Das Stammwerk in Ingolstadt kommt aktuell nur auf 23.000 Quadratmeter Solarpanele. Audi will die erneuerbaren Energiequellen in Ingolstadt aber ausbauen. Der neue Technologie-Campus im ­Süden der Stadt erhielt bereits eine große Solaranlage auf den Dach­flächen.

Im Mittelpunkt des Wandels der Audi-Werke zur 360factory soll die Belegschaft stehen. Hier ­erprobt der Premiumhersteller neue Konzepte, die Teilzeit-­Modelle erstmals auch in Schichtarbeit zulassen. In der Lackiererei des Werks Ingolstadt können ­Beschäftigte trotz taktgebundener Aufgaben in Teilzeit arbeiten. ­Möglich macht das eine ausgeklügelte Personal­planung und eine Gruppe von Freiwilligen, die einspringt, wenn Mitarbeiter durch ­ihre Teilzeit-Vereinbarung in einer Schicht nicht verfügbar sind. Audis Betriebsratschef Peter Mosch ­zeigte sich zufrieden: "Die gemachten Erfahrungen emp­fehlen diese Methode für andere Bereiche bei Audi."

Klar ist: Mit der Strategie der 360factory will Audi in diesem Jahrzehnt wieder den Anschluss an die Premium-Rivalen BMW und Mercedes schaffen und auch Elek­troautopionier Tesla stärker unter Druck setzen als bisher. Die Aufholjagd beginnt in den Werken.

Aus dem Datencenter:

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