Herr Osterloh, im Rückblick auf eine schwierige Phase der Zusammenarbeit mit Herbert Diess haben Sie vor zwei Jahren gesagt: „Wir hatten eher ein Gewitter als einen Platzregen“. Wie würden Sie die Großwetterlage bei VW heute beschreiben?
Als heiter bis wolkig. Ich fühle mich wohl, die Belegschaft fühlt sich mit uns als Betriebsrat und IG Metall wohl. Aber: Das Verhältnis zwischen Belegschaft und Vorstand könnte besser sein.
Was hören Sie von den VW-Beschäftigten, welche Themen treiben die Mitarbeiter um?
Viele fragen sich, ob die Elektromobilität, wie sie gerade aufgesetzt wird, auch tatsächlich fliegt. Schließlich bauen wir ja dafür einen unserer Standorte nach dem nächsten um. Die Politik macht Gesetze. Die 95-Gramm-Vorgabe zum CO2-Ausstoß, später rund 60 Gramm, können wir nur mit E-Mobilität erreichen. Doch was nützt es, wenn wir als Unternehmen jetzt die Hardware hinstellen – und im Land fehlt es an der Ladeinfrastruktur? In Deutschland ist das Mittel- und Niederspannungsnetz noch ein großes Problem. Auch das haben wir als Hersteller mit Zulieferern und Energieversorgern jüngst bei Bundeskanzlerin Merkel besprochen. Wenn die Ladeinfrastruktur da ist, werden unsere E-Fahrzeuge auf ganzer Linie überzeugen. Denn der VW ID.3 etwa ist ein tolles Auto, mit viel Platz und bis zu 550 Kilometer Reichweite.
Was erhoffen Sie sich von der Kooperation zwischen VW und Ford?
Dass wir gemeinsam Produkte auf den Markt bringen, mit denen wir bei Entwicklungsaufwand, Laufzeit und Stückzahlen auf uns allein gestellt keinen vernünftigen Ergebnisbeitrag erwirtschaften würden. Der nächste Amarok ist dafür ein gutes Beispiel. Vielleicht auch die Transporter-Reihe bei den leichten Nutzfahrzeugen und das Segment der Stadtlieferwagen.
Die deutschen VW-Werke in Wolfsburg, Emden, Ingolstadt und Neckarsulm sind nicht ausgelastet. Warum plant der Konzern dennoch ein neues Mehrmarkenwerk in der Türkei oder Bulgarien?
Ich kenne dazu noch keine Beschlussvorlage. Und es gibt derzeit keine Präferenz. Volkswagen ist noch in der finalen Standortauswahl. Es geht um Kosten, Beihilfen, Absatzchancen und so weiter. Die Frage, was schließlich den Ausschlag gibt, ist offen. Unsere Position als Arbeitnehmer in diesem Zusammenhang steht aber schon seit Langem fest: Wir brauchen Klarheit über die Auslastung unserer bestehenden Standorte. Und die haben wir noch nicht.
Die VW-Führung rügt, dass einige Geschäftsbereiche des Konzerns und manche Werke noch nicht effizient genug laufen. Akzeptieren Sie das?
Auch der Vorstand arbeitet noch längst nicht effizient genug. Vorschläge, etwa zur Hebung von Synergien, kommen meistens von der Belegschaft, nicht von den Beratern des Vorstands. Wir haben jetzt wieder neue Consultants im Unternehmen, die das Thema Zukunftspakt zu Ende bringen und dann mit digitaler Transformation weitermachen wollen. Denen habe ich gesagt, dass sie die Umsetzung ihrer Anregungen hoffentlich auch bis zum Schluss begleiten. Die VW-Beschäftigten sind die wahren Experten für Verbesserungsideen. Gute Impulse in die betriebliche Realität zu überführen, das ist hier ein großes Problem.
Herbert Diess hat vor Kurzem gefordert: „Volkswagen braucht mehr Führungsstärke!“. Teilen Sie seine Einschätzung?
Führungsstärke würde ich nicht sagen. Aber Entscheidungsstärke. Entscheidungskompetenz. Wir brauchen ein paar Manager, die auch mal wirklich etwas entscheiden.
Sie wünschen mehr Mut unter den Führungskräften. Auch ein höheres Tempo?
Ja. Wir kommen bei VW aus einer ziemlich streng hierarchischen Kultur. Und noch immer haben viele Kolleginnen und Kollegen das Empfinden, dass sich da nicht viel gebessert hat. Hören ihnen die Führungskräfte wirklich zu? Gehen sie auf Vorschläge ein? Ich will da jedoch nicht pauschal urteilen, wir haben auch viele richtig gute Leute im Management.
Viele VW-Beschäftigte sind zugleich VW-Anteilseigner. Bildet der aktuelle Aktienkurs den Wert des Unternehmens gerecht ab?
Die Börsenexperten sagen nein. Ich war erst Anfang des Jahres in New York zu Gesprächen mit Finanzinvestoren. Auch da war es die einhellige Meinung: Volkswagen ist eindeutig unterbewertet. Ich sage aber ganz klar: Wenn Pläne zur Steigerung des Aktienkurses die Beschäftigungssicherung berühren, kommen wir als Vertreter der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ins Spiel. Denn Wirtschaftlichkeit und Beschäftigung bleiben bei Volkswagen gleichrangige Unternehmensziele.
Der Vorstand hat jüngst fünf große Arbeitspakte geschnürt, von „Best Governance“ über „Best Brand Equity“ bis hin zu „Excellent Leadership“. Was erscheint Ihnen als besonders dringlich?
Das IT-Paket namens „Software-enabled car company“ hat eindeutig Vorrang. Wir haben auf diesem Gebiet heute schon sehr viele Fachleute im Unternehmen und müssen die große Kompetenz einfach bündeln. Wir sollten schauen, dass nicht jeder das macht, was er am besten kann, sondern, dass wir als Konzern sagen, welche die richtige Richtung ist. Über alle Marken hinweg. Und wir wollen ja mittelfristig 5.000 Experten für Informationstechnologie rund um das Fahrzeug an Bord haben, die in einer neuen Einheit zusammenarbeiten. Auch deshalb haben wir den Vorschlag unterstützt, eine Geschäftseinheit Car IT zu formen.
In China, auf dem für den VW-Konzern mit Abstand wichtigsten Einzelmarkt, gab es jüngst einen 15-prozentigen Einbruch beim Autoabsatz. War das ein einmaliger Ausrutscher oder droht da ein bedenklicher Trend?
Der Markt fällt stärker als der Marktanteil von VW. Schön ist die aktuelle Entwicklung im Reich der Mitte natürlich dennoch nicht.
Passt die italienische VW-Marke Lamborghini besser zu Audi oder zu Porsche?
Audi hat Lamborghini nach jahrelangen Verlusten aus der Krise geholt, besonders mit dem SUV Urus. Dies ist das Auto, mit dem Lamborghini derzeit richtig gutes Geld verdient. Ich glaube deshalb, dass es ganz gut ist, wenn Lamborghini noch eine lange Zeit bei Audi bleibt. Zumal Porsche-Chef Oliver Blume ohnehin schon genug zu tun hat mit Bentley und Bugatti.
Hat der Konzern seine Volumenmarken VW Pkw, Audi, Škoda und Seat scharf genug voneinander abgegrenzt?
Nein. Weder preislich noch in der Produktsubstanz. Und es muss auch endlich viel stärker darum gehen, welche Marke für welchen Markt zuständig ist. Nur als ein Beispiel: Wer kümmert sich denn um Mittel- und Osteuropa?
Der ursprünglichen Planung nach sollte Škoda das tun.
Wir haben jedenfalls mal eine Marke gekauft, die genau das tun sollte. Die aber nun ihre Autos dort verkauft, wo sie viel Geld verdient, was jede andere Marke auch kann. In vielen Märkten hingegen, wo Hyundai, Kia oder Dacia stark agieren, sind wir gar nicht mehr vertreten oder mit sinkendem Marktanteil. Wir haben klar definierte Markenaufgaben. Bei deren Erfüllung muss dringend nachgeschärft werden. So müssen wir schauen, in welchem Land wer unterwegs sein soll und wie, mit welchen Produkten. Seat-Chef Luca de Meo hat da mit dem Sub-Label Cupra einen super Job gemacht.
Seat hat VW zuvor allerdings viele Jahre tiefrote Zahlen geliefert.
Ja, aber de Meo hat die Marke gut entwickelt, ihr zum Aufwärtstrend verholfen und zu jüngeren Kunden. VW-Käufer sind im Durchschnitt 55 Jahre alt, die von Seat um die 40.
Kommt VW mit Autos für Schwellenmärkte voran?
In China haben wir dafür jetzt die Sub-Marke Jetta. Und Škoda ist in Indien auf einem guten Weg. Wenn dort das Produkt so gut wird, wie ich es gesehen habe, könnte man sogar überlegen, ob die Marke VW mit einem darauf basierenden Update auf den Markt geht.
Im wachstumsträchtigen ASEAN-Raum, wo der VW-Konzern bisher kaum eine Rolle spielt?
Klar. Die ASEAN-Region darf bei uns kein weißer Fleck auf der Landkarte bleiben.
Wird der VW-Konzern weltweit tendenziell Beschäftigung auf- oder abbauen?
Das entscheiden die Kunden. Im Konzern hatten wir mit Stand Ende März insgesamt 665.300 Beschäftigte. Die zentralen Fragen sind, läuft der ID. oder läuft er nicht? Und ist die Ladeinfrastruktur da, ja oder nein? Wenn wir mehr ID. verkaufen und gleichzeitig mehr Diesel und Benziner, werden wir nochmals einen Volumenzuwachs haben. Dann brauchen wir mehr Menschen. Doch auf die Ladeinfrastruktur hat VW nur bedingt Einfluss. Wenn die nicht funktioniert, dann wird sich das nicht rechnen mit den ID.-Modellen. So gesehen ist auch der Staat in der Verantwortung, etwas zu tun, damit es hier genug Arbeitsplätze gibt.
Wie positionieren Sie sich für die Tarifrunde 2020?
Erst mal wird es um mehr Geld gehen. Und wir wollen die Möglichkeit für alle Beschäftigten, das neue tarifliche Zusatzgeld in freie Tage umzuwandeln. Jene sechs Tage, die besonders Belastete – das sind Kolleginnen und Kollegen in Schichtarbeit oder solche, die kleine Kinder erziehen oder Angehörige pflegen – jetzt schon wählen können, sollen für alle Beschäftigten zugänglich werden. Wenn jemand sagt, ich verzichte auf 1.000 Euro und nehme dafür lieber sechs freie Tage, dann ist das doch völlig okay.
Das Interview führte Henning Krogh
Weitere Exklusivmeldungen der Automobilwoche:
Massenfertigung von Flugtaxis geplant: Daimler prüft Beteiligung an Volocopter-Produktion
Spitzenmarke des VW-Konzerns: Bugatti erwägt Bau eines High-End-SUV
Digitalisierung: Audi schafft gedruckte Kataloge ab
Lesen Sie auch:
EXKLUSIV – Rede vor 500 Konzern-Managern: VW-Chef Diess fordert von Audi schnelle Fortschritte
EXKLUSIV – Für neue Geschäftsmodelle rund um Bits und Bytes: VW gründet eine Daten AG
EXKLUSIV – Vorstand für E-Mobilität bestätigt neue Option: VW könnte Stromer für Konkurrenz fertigen
Aus dem Datencenter: