Lange Zeit ist es Daimler erfolgreich gelungen, sich wegzuducken. Nur kurze Zeit nach dem VW-Diesel-Skandal um manipulierte Abgaswerte Ende 2015 rückten auch die Stuttgarter in den Fokus der öffentlichen Kritik. Erst waren es die Messungen der Deutschen Umwelthilfe, die den Verdacht aufbrachten, auch Mercedes habe bei seinen Diesel-Pkw Abschalteinrichtungen eingesetzt und damit in Kauf genommen, dass der Stickoxid-Grenzwert im Straßenbetrieb um ein Vielfaches überschritten wurde.
Dann folgten die zahlreichen Rückrufe des Kraftfahrtbundesamtes, das ebenfalls zu hohe Abgaswerte beanstandete. Doch wo immer der Vorwurf auftauchte, wehrte sich Daimler vehement und berief sich stets auf den Motorschutz. Ganz nach dem Motto: Wir haben nur den Gesetzesspielraum ausgenutzt, aber nicht getrickst wie VW. Zwar erlauben die Zulassungsvorschriften der Europäischen Union tatsächlich eine Drosselung der Abgasreinigung, um Schäden an Bauteilen zu vermeiden. Doch diese Ausnahme gilt nur innerhalb sehr enger Grenzen.
Dass Daimler diese Grenzen zumindest bei fast 700.000 Fahrzeugen fahrlässig allzu weit ausgelegt hat, belegt nun der Bußgeldbescheid der Staatsanwaltschaft Stuttgart über 870 Millionen Euro. Zuvor mussten schon Bosch, Audi und Porsche Strafen zahlen. Eine Verletzung der Aufsichtspflicht habe dazu geführt, dass für Dieselfahrzeuge behördliche Genehmigungen erteilt wurden, obwohl deren Ausstoß von Stickoxiden teilweise nicht den regulatorischen Anforderungen entsprach, heißt es darin.
Daimler hat gegen den Bescheid keine Rechtsmittel eingelegt. Auch wenn der Betrug anders als im VW-Konzern nicht mit Vorsatz geschah und nur die Abteilungsleiterebene einige Ebenen unterhalb des Vorstands betraf, so macht dies Daimler neben VW zu einem weiteren Hauptakteur im Diesel-Skandal und entlarvt die vielen Unschuldsbeteuerungen der vergangenen Jahre als scheinheilig. Die technischen Möglichkeiten für eine saubere Abgasreinigung waren längst vorhanden. Das hat BMW bewiesen, dessen Autos nur ganz vereinzelt mit zu hohen Abgaswerten aufgefallen waren.
Zwar ist die Akzeptanz des Bußgeldbescheids ein wichtiger Schritt für Daimler bei der Bewältigung der unrühmlichen Vergangenheit. Der Diesel-Skandal dürfte damit aber noch nicht beendet sein. Zum einen laufen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen einzelne Personen im Unternehmen weiter. Zum anderen sieht sich Daimler auch in den USA noch mit Verfahren des Justizministeriums und der Umweltbehörde EPA konfrontiert.
Der ähnlich gelagerte Fall von FiatChrysler, der auch im Risikobericht der Stuttgarter als Referenz herangezogen wird, dürfte ein Fingerzeig sein. In einem Vergleich zahlte der italienisch-amerikanische Autobauer im Januar dieses Jahres fast 800 Millionen Dollar an die US-Behörden und an geschädigte Autofahrer. Eine ähnliche Summe dürfte auch auf den Daimler-Konzern zukommen. Mit den Zivilklagen von Autofahrern wird der Konzern dagegen noch viele Jahre beschäftigt sein.
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