"Apple oder Tesla denken vom Kunden her"

Bettina John

Die Autobauer digitalisieren ihren Vertrieb – und das Marketing muss Schritt halten. Für den Handel gibt noch viel zu tun – zum Beispiel bei der Bearbeitung von Leads.

Donnerstag, 13. April 2017, 15.13 Uhr

Der digitale Wandel hinterlässt Spuren: Schon heute recherchieren 97 Prozent der Verbraucher im Internet über Fahrzeuge, 90 Prozent derjenigen, die einen Autokauf planen, besuchen zunächst die Marken- oder Händlerwebsites, 85 Prozent der Kunden erwarten, dass Hersteller und Händler digital mit ihnen interagieren und mehr als als drei Viertel der Kunden in Deutschland können sich mittlerweile vorstellen, ihren Neuwagen im Netz zu kaufen, sagte Audi-Vertriebschef Martin Sander im Frühjahr auf der Automobilwoche-Konferenz.

Gleichzeitig wollten aber auch 60 Prozent der sogenannten Generation Y nicht auf das Erlebnis im Autohaus verzichten. "Wir müssen es gemeinsam mit dem Handel schaffen, beide Welten in Verbindung zu bringen", so Sanders Fazit.

"Das große Thema der Digitalisierung ist, dass sich die Verhältnisse zwischen Konsumenten, Hersteller bzw. Marke und Handel verändern", sagt René Menzel, Managing Director bei der Werbeagentur Saatchi & Saatchi. "Das verändert auch das Marketing. Je teurer und erklärungsbedürftiger ein Produkt ist, umso mehr spricht dies für den Handel."

Neues Spannungsfeld zwischen Hersteller und Handel

Die Düsseldorfer Agentur betreut den Kunden Toyota beim Händlermarketing und man

diskutiere viel über die Folgen der Digitalisierung, sagt Menzel. Es entstehe ein neues Spannungsfeld zwischen Hersteller und Handel, "weil sich die Bedürfnisse der Kunden verändern und sie zum Beispiel lieber direkt online kaufen".

Die Nutzung neuer Medien und Kanäle sei aber nur ein erster Schritt. Spannender bei der digitalen Entwicklung sei die Frage "Wozu braucht man überhaupt noch einen stationären Händler? Wir wissen", sagt Menzel, "dass heute schon zwischen 25 und 35 Prozent der Kunden ein Auto online ohne Probefahrt kaufen würden."

Umso wichtiger ist es, die Kontakte, die mit dem Kunden noch stattfinden, zu pflegen. "Heute geht ein Kunde vor dem Autokauf nur noch 1,3 mal ins Autohaus, er ist bestens vorinformiert, weiß oft mehr als der Verkäufer. Wer bereit ist zur Probefahrt, ist ein unfassbar wertvoller Lead", betont Menzel.

Doch diese Erkenntnis hat sich offenbar noch nicht überall durchgesetzt. "Die größte Krux ist, dass zu viel verloren geht zwischen dem gewonnenen Lead und seiner lokalen Bearbeitung", sagt Marketingexperte Menzel. Der Hersteller versuche über alle Kanäle Leads von potenziellen Kunden zu generieren, der Handel erwarte, dass ihm die Leads gut vorqualifiziert geliefert werden und der Kunde wolle sofort bedient werden. "Passiert das nicht, ist er weg."

Keine Durchgängigkeit im Prozess

Auch Wolf Ingomar Faecks von der Digital-Agentur SapientRazorfish in München staunt: "Bei aller Digitalisierung, die wir schon haben, ist es teilweise abenteuerlich und steinzeitlich, wie Leads behandelt werden. Was fehlt, ist die Durchgängigkeit im Prozess."

Feldversuche bei großen Herstellern,bei denen Autos virtuell eingekauft werden, hätten "sehr fragmentierte" Prozesse gezeigt: "Zum Beispiel will ein Kunde ein Fahrzeug leasen, landet aber beim falschen Ansprechpartner, und ein möglicher Lead ist verloren. Oder ein OEM schreibt eine Aktion aus, die Leads gehen an die Händler. Der Hersteller kann nur hoffen, dass der Händler mit den Informationen über den Interessenten sinnvoll umgeht."

Es gehe darum, verschiedene Datentöpfe zu verbinden, "aber OEM und Händler tauschen sich oft nicht aus". Faecks fordert daher einen Umdenkprozess. "Die Hersteller haben ihre Geschäftsmodelle am Produkt Auto ausgerichtet, zentrales Element ist die Fahrzeug-Identifikationsnummer."

Notwendig sei aber eine Ausrichtung am Kunden. "Der Kunde muss das Zentrum im Ecosystem der Anbieter sein, aber das ist noch nicht in den Köpfen verankert", kritisiert Faecks, der auch Präsident des Gesamtverbandes Kommunikationsagenturen (GWA) ist. "Unternehmen wie Apple oder Tesla haben das verstanden. Sie denken vom Kunden her und bieten ihm individualisierte Services an."

Der OEM als Anbieter, der ein Netzwerk orchestriert

Faecks sieht die Rolle der Hersteller im Umbruch: "Die OEMs entwickeln sich von einem reinen Hardwarehersteller zu einem Anbieter, der ein Netzwerk orchestriert." Dies setze ein neues Selbstverständnis voraus, "weil dabei auch Dienstleistungen von Fremdanbietern als Mobilitätsbausteine eingebunden werden."

Er verweist auf neue Spieler: "Apple und Google bringen neue Regeln in den Markt, Tesla macht vor, was schon möglich ist: Updates in Echtzeit über Nacht und nicht erst bei der nächsten Wartung oder komplett digitales Tuning. Das geht nur, wenn es offene Schnittstellen gibt. Die gewünschten Services kann der Kunde dann zukaufen."

An Serviceideen mangelt es dabei in der Branche nicht – wohl aber an der technischen Umsetzung. "Das Problem ist momentan noch, dass ein Kunde, der mehrere Services einkauft, bei jeder Dienstleistung eine andere Identität hat", erläutert Faecks. Jemand sei zum Beispiel Kunde bei einem BMW-Händler und bei DriveNow. "Was fehlt, ist die kombinierte Sicht auf diesen Kunden."

Hauptproblem dabei sei, „dass der Händler den Kunden nicht hergeben will“. Die Hersteller versuchten daher, direkt mit dem Kunden in Kontakt zu treten, zum Beispiel in der Audi City. "Doch die Händler verteidigen ihre Rechte gegen den Direktvertrieb." Und weil sie "das Produkt in die Fläche bringen, haben sie hier auch eine Machtposition."

Marketingausgaben im deutschen Autohandel 2011 bis 2016

Der alte Car Guy zieht nicht mehr

Mit der steigenden Komplexität im Marketing verändere sich auch die Bedeutung der Medien. TV und Print seien "nach wie vor wichtige Bausteine im Marketing, aber sie nehmen in der Bedeutung ab", ihre Treffsicherheit werde geringer, sagt Faecks. Das Bewegtbild wandere vom Fernsehen in die sozialen Medien, bei Print zeichne sich eine „Konsolidierung in Richtung Fachmedien“ ab.

Zudem setzten viele Unternehmen nicht mehr auf reine Produktspots, sondern auf die inhaltliche Argumentation. "Die alte Car-Guy-Attitüde zieht bei der jungen Generation nicht mehr", sagt Faecks. Individualisierte Services rückten ins Zentrum. "Das kann digital sehr gut funktionieren." Mit einer konkreten Handlungsaufforderung an Kunden (call-to-action), beispielsweise über Newsletter, lasse sich "schneller und direkter Umsatz generieren".

Der Einsatz digitaler Marketingtools im Handel habe bisher aber noch prototypischen Charakter: "Viele experimentieren damit. Der Handel versteht sich eher als Empfänger denn als Kreateur", findet der Digitalexperte. Die VR-Brille zum Beispiel sei zwar ein spannendes Tool, "das jedoch mit hohen Investitionen verbunden ist, die der Handel nicht bereit ist zu tätigen."