Am Anfang war der Akku

In der Luft über dem Times Square liegt ein leises Surren, von Autoabgasen ist auf der Fifth Avenue wenig zu riechen, und wer auf dem Broadway in ein Taxi springt, fährt elektrisch durch Manhattan. Was klingt wie eine noch ziemlich ferne Utopie, ist ­eine selige Erinnerung an alte­ ­Zeiten.

Denn die von Männern wie ­Tesla-Chef Elon Musk angezet­telte elektrische Revolution, die mittlerweile auch die Manager in Wolfsburg oder Stuttgart erfasst hat, ist beileibe keine neue Mode. Schon vor über 100 Jahren hatte das Akku-Auto einen Höhenflug, weil es einfacher zu bedienen war, besser fuhr als der Verbrenner und es mehr Lademöglichkeiten gab als Apotheken, in ­denen Benzin verkauft wurde. Dass die Reichweite schon vor 100 Jahren geringer war, hat dem Erfolg keinen Abbruch getan: 40 Prozent aller Fahrzeuge in New York fuhren damals mit Batterie statt mit Benzin, und Taxis mit Treibstoff gab es überhaupt keine.

Die Entwicklung des Elektrofahrzeugs reicht weit ­zurück und beginnt lange, bevor Carl Benz 1886 das Patent für seinen Motorwagen anmeldet. Schon in den 1830er-Jahren fahren erste Lokomotiven und Boote mit Elek­troantrieb, und 1881 präsentiert der Franzose Gustave Trouvé auf der Elektrizitätsmesse in Paris ein Dreirad mit Akku-Antrieb, das alserstes elektrisches Straßen­fahrzeug gilt und immerhin eine Geschwindigkeit von 12 km/h ­erreicht. Das erste Elektro­auto ­entsteht sieben Jahre später in Deutschland bei der Maschinen­fabrik A. Flocken, die ein vierrädriges Kutschgestell mit einer E-Maschine ausrüstet. Während Flocken aber nur kleine Stückzahlen baut, gilt die Elektrokutsche des Amerikaners William Morrison als erstes kommerziell erfolgreiches Modell. Sie fährt mit einem 2,5-PS-Motor, der aus acht Batterien unter den ­Sitzen gespeist wird und ebenfalls 12km/h ermöglicht.

Danach geht es Schlag auf Schlag. Überall eröffnen Manufakturen für Elektrofahrzeuge, zwischen 1896 und 1939 werden weltweit fast 600 Hersteller gezählt, und Namen wie Morrison in den USA oder Kriéger in Frankreich sind so geläufig wie heute Chrysler oder Peugeot. Allein Detroit Electric baut von 1907 bis 1941 fast 40.000 Autos und schafft es damit nicht nur in die Garagen von Thomas Edison und John D. Rockefeller, sondern auch in den Fuhrpark des Konkurrenten Henry Ford, der selbst mit einem elektrischen Prototypen des Modell T experimentiert hatte.

Zwar müssen sich seine Erben heute von Tesla treiben ­lassen. Doch ­einer der wichtigsten Protagonisten des Elektroautos war ausgerechnet ­Ferdinand Porsche. Als Konstrukteur des Wiener Hofwagenfabrikanten Lohner hat er für die Weltausstellung in Paris im Jahr 1900 den „Lohner-Porsche“ mit den ersten Radnabenmotoren entwickelt, damit Zwischengetriebe, Zahn­räder und Riemen überflüssig gemacht und so das Fahren dramatisch vereinfacht. ­Außerdem hat der Wagen für seine zwei jeweils 2,5 PS starken E-Maschinen zusätzlich einen Benzinmotor an Bord, der Strom für den Akku erzeugt und letztlich die ­Erfindung des Hybridantriebs vorwegnimmt.

Noch vor Porsche hat aber 1899 ein Belgier wichtige ­Impulse für den Erfolg der E-Mobilität gegeben: Mit seinem selbst entwickelten Akku-Rennwagen „Ja Jamais Contente“ („Die nie Zufriedene“) schafft Camille Jenatzy auf einer Landstraße bei Achčres atemberaubende 105,882 km/h. Als erster Mensch erreicht er an Land eine Geschwindigkeit von mehr als 100 km/h und demonstriert mit seinem 2 x 25 kW starken Torpedo eindrucksvoll die Überlegenheit der jungen Technologie über den vermeintlich rückständigen Verbrenner.

Doch genauso schnell, wie die E-Mobile in Fahrt gekommen sind, so schnell werden sie vom Verbrenner auch wieder abgehängt. Die Erfindung des Anlassers macht den Start der Benziner ohne lästige Kurbelei zum Kinderspiel. Die Preise für die Fahrzeuge fallen mit der Einführung der Fließbandproduktion, und mit dem ersten Ölboom schießen die Zapfsäulen wie Pilze aus dem Boden. Zwar fahren die E-Mobile in den Nischen weiter, bringen den Briten morgens geräuschlos die Milch, wuchten Pakete über deutsche Bahnsteige oder chauffieren Amerikaner über den Golfplatz. Doch bei den Autoherstellern will man von den Akkus über Jahrzehnte erst einmal nichts mehr wissen.

Das ändert sich erst wieder in den 1990er-Jahren, als die Ölkrisen den Autoherstellern ihre Abhängigkeit von den natürlichen Ressourcen und der Preispolitik der OPEC klarmachen. Außerdem entsteht in der Gesellschaft ein Umweltbewusstsein. Und geplagt vom Dauersmog über Los Angeles schreibt sich die Politik in Kalifornien die Luftreinhaltung auf die Fahnen und gründet das California Air Resources Board (CARB), das Schrittmacher der Entwicklung umweltfreundlicher Autos wird. 100 Jahre nach der ersten elektrischen Revolution beginnt deshalb mit Fahrzeugen wie dem EV1 von General Motors, dem CityStromer auf Basis des VW Golf, dem BMW E1 und der Mercedes A-Klasse die zweite. Allerdings kommen diese Fahrzeuge nicht über Kleinserien hinaus. Und von Privatleuten initiierten Projekten wie dem Think oder dem Hotzenblitz geht schnell das Geld aus. Deshalb bekommt diese neuerliche Welle erst 2005 mit dem Debüt des Tesla Roadster Schwung, der nicht in Pilotprojekten gefahren, sondern zum ersten Mal an Privatkunden verkauft wird und die ­Bewegung so in die Breite trägt.

Doch selbst wenn es mittlerweile wieder zwei Dutzend Marken und Modelle gibt: Bis in der Luft über dem Times Square wieder ein leises Surren liegt, von Abgasen auf der Fifth Avenue wenig zu riechen ist und auf dem Broadway nur noch elektrische Taxen fahren, wird es wohl noch ein wenig dauern.