Alles vernetzt

Durch die Vernetzung von Reifen lassen sich Informationen generieren, die nicht nur der Fahrzeugsicherheit dienen, sondern auch für Flottenbetreiber und Werkstätten von großem Interesse sind. So bietet der finnische Hersteller Nokian Tyres ein digitales Reifenüberwachungssystem für Nutzfahrzeuge. "Als Wegbereiter bei Spezialreifen haben wir bei Nokian Tyres den ersten Schritt in Richtung digitales Echtzeit-Reifenmanagement unternommen", sagt Bahri Kurter, Senior Vice President Europa.

Der Nokian Tyres Intuitu kombiniert intelligente, mit Sensoren bestückte Reifen mit einer mobilen Anwendung, mit der die Daten aufgezeichnet werden. Der Benutzer erhält so Informationen über Reifendruck- und -temperatur. Die Intuitu-Lösung ist ab diesem Jahr im Handel verfügbar. "Nokian Tyres plant, die Digitalisierung auf seine gesamte Palette von Nutzfahrzeugreifen auszudehnen", sagt Kurter.

Auch für das assistierte Fahren spielt der vernetzte Reifen eine große Rolle. "Beim autonomen Fahren ist eine reibungslose Kommunikation mit allen sicherheitsrelevanten Fahrzeugkomponenten unerlässlich – dazu zählen vor allem die Reifen, die den einzigen Kontaktpunkt zwischen Fahrzeug und Fahrbahn darstellen", erklärt Kurter.

Werden die vom Reifen empfangenen Informationen beispielsweise mit Wetterdaten kombiniert, kann sich das Bordinformationssystem des Fahrzeugs ein "Bild" von den Straßenbedingungen machen und die Fahrweise entsprechend anpassen.

Die Reifensensoren können auch den Reifenverschleiß, den Luftdruck und die Temperatur im Reifeninneren überwachen. "Ein Anstieg der Innentemperatur kann beispielsweise ein frühzeitiger Hinweis auf einen Reifenschaden sein, so dass dieser behoben werden kann, bevor eine gefährliche Situation auf der Straße entsteht", so Kurter.

Aus wirtschaftlicher Sicht sind vernetzte Reifen vor allem für Flotten sinnvoll. Senden die Reifen ihre Daten selbstständig an das Flotten-Management, lässt sich viel Zeit einsparen, die zuvor in die Wartung und Überprüfung der Reifen investiert werden musste, sagt Kurter.

Der italienische Reifenhersteller Pirelli nimmt für sich in Anspruch, vor rund einem halben Jahr das erste Unternehmen gewesen zu sein, dass bei Reifentests Informationen über die Straßenoberfläche ermittelt und über das 5G-Mobilfunknetz an andere Fahrzeuge gesendet hat.

Im Mittelpunkt stand ein Fahrzeug, das mit sensorgestützten Pirelli Cyber-Reifen ausgestattet und an das 5G-Netz angeschlossen war. So lassen sich Informationen über das von den Reifen ermittelte Aquaplaning-Risiko an ein nachfolgendes Auto übertragen. Mit "Cyber Tyre" bietet der Zulieferer eine in das Fahrzeug integrierte Echtzeit-Technologie, die erweiterte Informationen über den Reifenstatus und die Straßenbedingungen liefert. Pirelli arbeitet bereits mit einigen Autobauern an der Integration von Cyber Tyre in neuen Modellen.

Das Portfolio enthält mit Cyber Fleet zudem eine Lösung für den Fuhrpark. Des weiteren profitieren die Reifenhändler von dem erhöhten Beratungsbedarf und den technischen Anforderungen bei der Montage, erklärt Pirelli.

Ab diesem Jahr betrifft die Vernetzung von Pkw-Reifen auch die Logistik- und Produktionsprozesse in der Automobilbranche. Der Schlüssel hierzu heißt RFID (Radio Frequency Identification). Hinter dem Kürzel verbirgt sich ein berührungslos ablesbarer Chip mit einem beschreibbaren und lesbaren Speicher.

Der Reifenhersteller Michelin produziert schon Pkw-Reifen mit RFID-Technologie. Bis 2023 wollen die Franzosen sämtliche Pkw-Reifen mit einem Chip versehen nicht zuletzt im Dienste schlankerer Fertigungsabläufe in der Automobilproduktion. "Mit Hilfe des Transponders lassen sich Fehler im Produktionsprozess nachverfolgen, wie etwa eine falsche Rad-Reifen-Kombination, und in Echtzeit Produktionszahlen und Lagerbestände abgleichen", sagt Michael Ewert, verantwortlich für den globalen Vertrieb in der Erstausrüstung.

Der schwedische Automobilhersteller Volvo hat als erstes Unternehmen bei Michelin Reifen mit RFID-Tag für die Erstausrüstung geordert. Laut Michelin ein in der Automobilindustrie bislang einmaliger Schritt zur Effizienzsteigerung.

"Für Monteure, Reifenhändler und Großhändler halten RFID-vernetzte Reifen große Vorteile parat", sagt Ewert. So ermöglichen es diese, bereits beim Einrollen in die Werkstatt per Laser die Profiltiefe zu messen und dem Kunden damit rechtzeitig vor dem Erreichen der Verschleißgrenze ein auf ihn zugeschnittenes Angebot zu unterbreiten. Der Bedarf an Neureifen kann direkt mit den Lagerbeständen abgeglichen oder gleich ein Bestellprozess ausgelöst werden.

Die Sensorik bei Pkw-Reifen ist ein weiteres Thema, um die Vernetzung und V-2-X voranzutreiben. "Hier arbeiten wir im intensiven Austausch mit den Herstellern an möglichen neuen Vernetzungsmöglichkeiten. Im Motorsport ist die Sensorik bereits ein festes Thema", erklärt Ewert.

Mit dem Michelin Track Connect hat das Unternehmen bereits 2018 die erste voll vernetzte Lösung für die Reifenüberwachung eingeführt. Die über das Smartphone ansteuerbare Anwendung richtet sich speziell an sportlich ambitionierte Fahrer. Zugeschnitten auf schnelle Runden bei Track Days und auf abgesperrter Rennstrecke, sammelt die Track Connect App über im Reifen integrierte Sensoren Temperatur- und Luftdruckdaten. Daraus kann der Fahrer den optimalen Luftdruck für seine Reifen für eine schnellstmögliche Rundenzeit ermitteln.

"Wir arbeiten seit mehreren Jahren mit Chip- und Sensorikherstellern zusammen. Die für ein Auto erforderlichen reifenseitigen Anforderungen zum vollautonomen Fahren können wir in den derzeitigen Pilotprojekten gewährleisten", so Ewert. Die Frage des tatsächlichen Eintritts dieser Technologien richtet sich für ihn nicht nur nach dem jeweiligen Zeitplan der Automobilhersteller. Vielmehr müsse mindestens eine europaweite Gesetzgebung für die Rahmenbedingungen des autonomen Fahrens vorliegen, um beispielsweise die Haftungspflichten hersteller- und fahrerseitig zu definieren.

Für Ewert spielt der vernetzte Reifen beim autonomen Fahren eine wesentlich größere Rolle hinsichtlich des Eingreifens in das tatsächliche Fahrgeschehen als bei anderen Stufen der Fahrzeugvernetzung. Der Reifen werde quasi sehr viel intelligenter, denn nebst der Erfassung des Reifendrucks und der Temperatur messe er viele weitere Daten. "So erkennt der Sensor den Verschleißzustand, er misst das Grip-Niveau wie auch die Kontaktfläche des Reifens zur Straße. Zudem wird es möglich sein, dass der Reifen von selbst den Fahrbahnzustand erkennt", erklärt Ewert.

Der Sensor im Reifen leitet dabei die gesammelten Daten an den Onboard-Computer des Fahrzeugs weiter, dort wird dann ausgewertet, ob das Fahrzeug beispielsweise ein entsprechendes Bremsmanöver vornehmen müsste. Dadurch, dass die verschiedenen Onboard-Computer der unterschiedlichen Fahrzeuge auf der Straße miteinander kommunizieren werden, kann beispielsweise im Fall von Aquaplanning der Reifen mithilfe des Sensors durch die Informationsweitergabe des nassen Fahrbahnzustands an seinen Onboard-Computer die umgebenden Fahrzeuge warnen, dass eine entsprechende Beeinträchtigung auf der Fahrbahn vorherrscht. Ebenso müsse der Reifen darauf ausgelegt sein, dass sich ein fahrerloses Auto trotz Reifenpanne weiter fortbewegen und über seinen Sensor den entsprechenden Mangel an die nächstliegende Werkstatt melden kann.

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